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22.09.07 / Ein Kleinod des Jugendstils / In Schloß Ralswiek auf Rügen sind Spuren von Henry van de Velde zu finden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-07 vom 22. September 2007

Ein Kleinod des Jugendstils
In Schloß Ralswiek auf Rügen sind Spuren von Henry van de Velde zu finden
von Helga Schnehagen

Daß Badetücher, -mäntel und -schuhe, ja auch Aschenbecher an der Rezeption eines Hotels käuflich zu erwerben sind, erstaunt niemanden. Daß aber elegante Messing-Türklinken samt Beschlägen angeboten werden, ist außergewöhnlich. Wahrscheinlich würde niemand auf die Idee kommen, sie vor Ort abzuschrauben. Der Wunsch, einen solch eleganten Türbeschlag von dezenter vegetabiler Ornamentik zu Hause anzuschrauben, besteht allerdings. Handelt es sich bei den glänzenden Stücken von Schloß Ralswiek auf Rügen doch um Modelle, die auf Entwürfe des Jugendstilkünstlers Henry van de Velde zurückgehen.

Nach dem Erwerb des Anwesens 1999 durch das Ehepaar Raulff begann der Umbau des zu jener Zeit ziemlich maroden Gebäudes. Dabei setzten die passionierten Kunstsammler ihren persönlichen Ehrgeiz in den Erhalt der Inneneinrichtung. Die Entdeckungen, die sie dabei machten, waren eine Sensation. Selbst die Fachwelt war verblüfft. Denn seit der Eröffnung als Vier-Sterne-Hotel im März 2002 verfügt Mecklenburg-Vorpommern nicht nur über ein weiteres hervorragend restauriertes Schloß. Seitdem hat die Öffentlichkeit auch Zugang zu wertvollen Arbeiten des Jugendstilkünstlers Henry van de Velde (1863–1957), die erst jetzt ans Licht gekommen sind.

Bauherr des Neorenaissance-Baus, dem die französischen Loire-Schlösser als Vorbild dienten, war Hugo Sholto Graf Douglas, dessen Familie um 1700 aus Glaubensgründen von Schottland nach Deutschland ausgewandert war. Der 1837 in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) geborene Industrielle hatte in Berlin und Heidelberg Chemie und Kameralwissenschaften studiert und beruflich besonders im Kalibergbau Fuß gefaßt. 1884 gründete er die Consolidierten Alkaliwerke AG.

Der erfolgreiche Unternehmer fühlte sich der Allgemeinheit gegenüber stark verpflichtet. Er gründete die Zentralstelle für Volkswohlfahrt, einen evangelischen Trostbund, ließ in Aschersleben eine Kleinkinderbewahranstalt einrichten und war einer der Initiatoren des Deutschen Samariterbundes. Dafür erhob Kaiser Wilhelm II. ihn 1886 in den Freiherrenstand, ernannte ihn die Medizinische Universität Halle zum Ehrendoktor und seine Heimatstadt Aschersleben zum Ehrenbürger. Von 1882 bis 1906 war er Abgeordneter im Landtag und von 1902 bis 1906 Mitglied des Staatsrates. Mit dem Kauf des Gutes Ralswiek 1893 erwarb der umtriebige Staatsbürger auch noch den Grafentitel.

Seine Verbindung zu Henry van de Velde entstand durch die 1897 gegründete Firma Tropon GmbH, die einen neuartigen Nahrungszusatz auf Eiweißbasis herstellte und zu der er das Stammkapital von einer Million Mark aufgebracht hatte.

Der in Antwerpen geborene und vor 50 Jahren in Zürich verstorbene Jugendstilkünstler wurde – wie man heute sagt – als Werbegraphiker engagiert. Nach seinen Entwürfen entstanden Firmensignets, Briefpapier, Verpackungsmaterialien und Anzeigen. Von seinem Werbeplakat für Tropon befindet sich ein Original im Museum of Modern Art in New York. Es ist eines der berühmtesten des Jugendstils überhaupt.

Van de Velde war zu jener Zeit kein Unbekannter. So war er etwa 1897 mit vier Raumausstattungen auf der Dresdner Kunstausstellung vertreten und hatte bereits ab 1899 in Berlin eine Zweigstelle seiner Werkstätten für angewandte Kunst.

Graf Douglas schätzte das Allround-Talent offensichtlich. Denn nach van de Veldes Entwürfen entstand auch die Einrichtung seiner Firmenbüros in Mühlheim und Berlin sowie die seiner Berliner Privatwohnung. Schließlich lieferte der Belgier sogar die Modernisierungspläne für Schloß Ralswiek, den Alterssitz des Grafen.

Wann genau er damit begonnen hat, ist nicht überliefert. Aus einem Brief vom September 1912 geht jedoch hervor, daß der Künstler und der Graf über die Entwürfe noch diskutierten.

Die Ausführung sollte der Graf nicht mehr erleben. Am 19. April 1912 starb er in Berlin im Alter von 75 Jahren. Anscheinend ohne weitere Diskussion ließ Sohn Angus dann van de Veldes Arbeiten zügig umsetzen, 1913/14, genau zwei Jahrzehnte nach dem Bau des Schlosses. Warum das Werk danach im Dornröschenschlaf versank, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben.

Was heute auf Schloß Ralswiek zu bestaunen ist, wurde freigelegt, restauriert oder nach Originalentwürfen neu angefertigt. Dabei ist es der ständigen Nutzung des Gebäudes als Senioren- und Pflegeheim nach der Enteignung der Familie Douglas 1946 zu verdanken, daß so viele Details der Inneneinrichtung erhalten geblieben sind.

Henry van de Velde lieferte nicht nur den Entwurf für den Verbindungstrakt zwischen Schloß und Marstall, der – in den 1950er Jahren mit Wohnungen aufgestockt – den Bau zur Zweiflügelanlage machte.

Nach seinen Vorlagen bekam das Schloß auch eine „hypermoderne“ auffallend schlichte neue Inneneinrichtung,  war van de Velde doch der Meinung: „Die Zeit des Ornaments aus Ranken, Blüten, Weibern ist vorbei: Die Kunst der Zukunft wird abstrakt sein.“

Schloß Ralswiek bot Henry van de Velde Gelegenheit, diese Ideen weiträumig umzusetzen. Dabei überraschen nicht nur die einfachen abstrakten Linien auf dem für Graf Douglas entworfenen Wappen.

Auch wer die Vorgänger der heute so beliebten Strahler sucht, braucht in Ralswiek nur nach oben zu schauen. Dort hängen neben Kronleuchtern einfache Glühbirnen von der Decke. Bei aller Sachlichkeit, ganz verlor van de Velde den Schwung des Jugendstils nicht aus dem Auge. Wie ein Leitmotiv schmückt seine stilisierte Schnecke Wände und Böden des Schlosses.

Wen wundert’s, daß eine derart radikale Umgestaltung auch kuriose Blüten trieb. Wurde etwa ein Raum unverändert gelassen, blieben auch die Türbeschläge im Gründerzeitstil erhalten. Auf der anderen Türseite jedoch findet man Jugendstilbeschläge vor.

Der Gemütlichkeit des Schloß-Hotels mit 63 Zimmern und zwei Suiten, komplettiert durch Schwimmbad und Sauna, Beauty- und Wellnessbereich, tut der Stilmix keinen Abbruch. Im Gegenteil, er wirkt geradezu anregend.

Und das sicherlich ganz im Sinne des Bauherrn, dessen Geist in Ralswiek allgegenwärtig ist. Nicht nur, daß Graf Douglas seine Lebenserfahrungen der Nachwelt als Aphorismen-Sammlung hinterlassen hat, auch seine Tips zu gesunder Ernährung werden voller Überzeugung in der erlesenen Küche des Schloßhotels beherzigt und tatkräftig umgesetzt.

Weitere Informationen sind beim Schloß-Hotel Ralswiek, Parkstraße 35, 18528 Ralswiek, Telefon (0 38 38) 2 03 20, oder im Internet auf der Seite www.schlosshotel-ralswiek.de zu finden.

Foto: Schloß Ralswiek: Blick in das Treppenhaus


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