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22.09.07 / Russen feierten 200 Jahre Tilsiter Frieden / Nicht nur das Wetter machte den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-07 vom 22. September 2007

Russen feierten 200 Jahre Tilsiter Frieden
Nicht nur das Wetter machte den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung
von Hans Dzieran

Die emsigen Vorbereitungen auf das Jubiläum 200 Jahre Tilsiter Frieden begannen schon von dem Moment an, als der französische Botschafter nach Tilsit kam und nach Erinnerungsstätten an den Friedensschluß suchte, der für sein Land so viel bedeutete. Das war im Oktober 2005. Man spürte die europäische Dimension des Ereignisses und machte mobil. Das stadtgeschichtliche Museum erarbeitete das Projekt „Krieg und Frieden“, das den Segen der Europäischen Union fand und mit 53000 Euro von ihr unterstützt wurde. Das sich über drei Tage erstreckende Jubiläums-Programm ließ nichts zu wünschen übrig.

Doch schon bald mischten sich in den weiteren Verlauf der Vorbereitungen die ersten Wermutstropfen. Höheren Orts gab man zu verstehen, daß es eigentlich nichts zu feiern gäbe. Tilsit sei für Rußland eine Schmach gewesen. Auch die Franzosen verloren bald das ursprüngliche Interesse, zumal die Stadt nicht mehr jenen Namen trug, der in Frankreich zu Berühmtheit gelangte. Die Litauer sorgten ebenfalls für Ärger. Zur Darstellung des historischen Treffens der Monarchen auf dem Memelstrom verweigerten sie die Erlaubnis mit der Begründung, daß es sich um EU-Grenzgebiet handele. Die Auswirkungen waren spürbar. Aus Moskau kam kein Geld, aus Frankreich kamen keine Gäste, und das Treffen mußte nicht ganz stilgerecht auf den Mühlenteich verlegt werden. Aber das Schlimmste kam erst noch. An allen drei Tagen der Feierlichkeiten goß es wie aus Eimern und ein übler Sturm machte Darstellern und Zuschauern zu schaffen. Dessen ungeachtet wurde das Programm wie vorgesehen abgespult, wofür allen Beteiligten große Hochachtung gebührt.

Oberbürgermeister Swetlow und Stadtpräsidentin Sedych eröffneten die Feierlichkeiten mit dem Empfang der wenigen ausländischen Gäste. Zu ihnen zählte eine Abordnung aus der polnischen Partnerstadt Belchatow, aus der Bundesrepublik Deutschland der Vorsitzende der Stadtgemeinschaft Tilsit, Horst Mertineit, eine Delegation aus Potsdam, aus Litauen Konsul Kaminskas sowie Vertreter aus den benachbarten Ortschaften Pogegen und Tauroggen. Franzosen waren nicht zugegen.

Der erste Tag der Jubelfeier stand im Zeichen einer wissenschaftlichen Tagung, die im Konferenzsaal des renovierten Hotels Rossia stattfand. Oberbürgermeister Swetlow entbot den angereisten Wissenschaftlern aus Königsberg, Moskau, St. Petersburg, Polen, Litauen und der Bundesrepublik Deutschland einen Willkommensgruß und hob unmißverständlich hervor, daß es ihm nicht um die Bedeutung des Friedens für Rußland gehe. Ihm gehe es um seine Stadt, in der ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung stattgefunden habe, welches diese Stadt weltberühmt gemacht habe. Man hatte die Tagung unter das Motto „Der Tilsiter Frieden als Prototyp des Europäischen Hauses“ gestellt. Davon ausgehend versuchte Museumsdirektor Ignatow den Nachweis zu erbringen, daß in Tilsit die ersten Ansätze für ein einiges Europa entstanden seien und die Tilsiter Verträge die Leitsätze der Charta der Vereinten Nationen vorweggenommen hätten. Im Verlauf der Tagung ergriffen 20 Teilnehmer das Wort. Fazit war, daß der Friedensvertrag ein bedeutsames Beispiel außenpolitischer Kompromißbereitschaft darstellt, das auch in Zukunft Politiker wie Wissenschaftler gleichermaßen beschäftigen wird.

Ein kurzer Überblick soll die Vielfalt des weiteren Programms verdeutlichen.

11 Uhr – Zur Erinnerung an die Monarchen werden Gedenkstelen geweiht an den Stellen, wo einst die Häuser Deutsche Straße Nr. 21 und Nr. 24 standen, in denen 1807 Zar Alexander und Napoleon residierten,

12 Uhr – Bei strömendem Regen beginnt der Festumzug. Dazu ist alles aufgeboten, was nach Geschichte aussieht, nicht nur Soldaten der napoleonischen Zeit, sondern auch Kreuzritter, Kosaken, Trommler, Folkloregruppen, Blasorchester und Formationen der Partei „Einiges Rußland“ marschieren durch die Pfützen der Hohen Straße, huldvoll begrüßt von Napoleon und Königin Luise hoch zu Roß.

13 Uhr – An der Angerpromenade haben die Akteure von militärhistorischen Vereinen ihre Zelte aufgeschlagen. Teilnehmer aus Pr. Eylau stellen als zaristische Artilleristen und Soldaten des 5. Jägerregiments mitsamt ihren Marketenderinnen den militärischen Alltag in einem Feldlager dar. In Ermanglung echter Franzosen posieren aus Polen angereiste Teilnehmer in Uniformen der Grande Armee und veranstalten ein zünftiges Biwak.

15 Uhr – Schauspieler des Tilsit-Theaters begeben sich als Napoleon, Zar Alexander, König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise in historischen Gewändern, allerdings ausstaffiert mit Regenschirm, auf die im Mühlenteich verankerten Flöße. Sie inszenieren reichlich kurz ausfallende Verhandlungsgespräche und unterzeichnen die Verträge. Am Ufer des Teichs aufmarschierte Soldaten beenden das Spektakel mit Böllerschüssen und Hurrarufen.

16 Uhr – Wahl der Miß „Königin Luise“. 13 Bewerberinnen aus Tilsit und dem jetzt polnischen Heilsberg stellen sich der Jury, der Vizebürgermeister Burych und Museumsdirektor Ignatow angehören. Die jungen Damen stellen ihr Credo vor, müssen Fragen zur Geschichte beantworten und stellen festliche Luisengewänder vor, die vom hiesigen Bekleidungswerk gefertigt sind. Siegerin wird die Polin Anna Oborska. Der Vorsitzende von „Einiges Rußland“ Aberius überreicht ihr ein Diadem, das seine Partei gestiftet hat.

17 Uhr – Auf einem Filmfestival werden Kinofilme über die napoleonische Epoche vorgestellt. Zur Aufführung gelangen „Krieg und Frieden“, „Husarenballade“ von Rjasanow, und „Waterloo“ von Bondartschuk.

21 Uhr – Trotz prasselnden Regens warten Unentwegte am Hohen Tor auf das Erscheinen der Moskauer Rockband „Technologia“, die mit einiger Verspätung eintrifft. Mit dröhnenden Bässen kämpfen die Musiker gegen das Wetter an und bringen die Zuschauer zum Mittanzen und zu Beifallsstürmen.

23 Uhr – Ein Feuerwerk beschließt die Darbietungen des Tages.

Am nächsten Tag wird die wissenschaftliche Tagung fortgesetzt. Sie steht nun unter dem Thema „Das Kaliningrader Gebiet – eine Brücke zwischen Rußland und der Europäischen Union“. Horst Mertineit geht in seinem Beitrag auf die verbindende Aufgabe der geschichtsträchtigen Stadt ein. Hier, wo unlängst noch Raketen als Speerspitze gegen die Nato standen, muß ein Pfeiler zur werdenden Brücke nach Europa entstehen. An die Stadtoberen appelliert er eindringlich, der gemeinsamen Heimatstadt den Namen „Tilsit“ zurückzugeben.

Die ursprünglich auf der Freilichtbühne, dem ehemaligen Thingplatz, geplante Aufführung „Krieg und Frieden“ wird wegen des nicht aufhörenden Regens kurzfristig in das Kulturhaus verlegt. Die Zuschauer erleben eine gelungene Inszenierung. Die rußlandweit bekannten Künstler Larissa Golubkina und Wassilij Lanowoj lesen und spielen Szenen aus Tolstois Roman, begleitet vom Kaliningrader Philharmonischen Orchester um dem Ballettensemble „Luisa“.

Mit einer Laserschau gehen die Feierlichkeiten zu Ende. Das Echo der örtlichen Presse war sehr geteilt. Die Zeitung „Tilsitskaja Wolna“ würdigte den Ausflug in die Geschichte als wertvollen Beitrag zur Weckung patriotischer Gefühle. Der Chefredakteur von der „Chronik Amber“ dagegen wertete in seiner Kolumne das Spektakel eindeutig als mißlungen. Die Kontroversen im Vorfeld der Jubelfeier und dann auch noch das Wetter hätten sich auf die Beteiligung und eine lebendige Festtagsatmosphäre negativ ausgewirkt. Auch wurde beklagt, daß von der ursprünglichen Euphorie, die Stadt ins Blickfeld Europas zu rücken, nichts geblieben war. Ausgehend von dem Gedanken, daß in Tilsit die Grundlagen europäischer Politik gelegt worden seien, hoffte man auf eine rege internationale Beteiligung und auf die einmalige Chance, weltweite Bekanntheit zu erlangen. Ja, man hatte zunächst sogar mit der Teilnahme der Staatsoberhäupter von Frankreich, Deutschland und Rußland gerechnet, zumindest aber mit den Außenministern dieser Länder. All das war ins Wasser gefallen – nicht nur wegen des Regens.

Foto: Teilnehmer des Festumzuges: Die Europäische Union hat das Spektakel mit 53000 Euro unterstützt.


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