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22.09.07 / Kalter Krieg im Kosmos / Mit dem künstlichen Erdtrabanten Sputnik I begann vor 50 Jahren das Raumfahrtzeitalter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-07 vom 22. September 2007

Kalter Krieg im Kosmos
Mit dem künstlichen Erdtrabanten Sputnik I begann vor 50 Jahren das Raumfahrtzeitalter
von H.-J. Mahlitz

Hollywood feierte mal wieder sich selbst: Mit der Verfilmung des Jules-Verne-Klassikers „Le tour du monde en quatre-vingts jours“ war den kalifornischen Zelluloid-Künstlern ein Meisterwerk des Gigantismus gelungen. Rund 70000 Komparsen hatten beeindruckende Massenauftritte in Szene gesetzt, ein halbes Hundert Leinwandstars – angeführt von Shirley MacLaine und David Niven – bescherte dem Publikum ein Feuerwerk schauspielerischer Spitzenleistungen, fünf Oscars waren der Lohn.

Doch der Titel der spektakulären Science-fiction-Verfilmung sollte die Oscar-Parties in Hollywood nicht lange überdauern. „In 80 Tagen um die Welt“ – das war, als Jules Verne 1873 seine höchst unterhaltsame Utopie zu Papier brachte, noch sensationeller als 1956, als der Film zum Buch auf den Leinwänden der Welt erschien. Wenige Monate später aber wurde die Utopie von der Wirklichkeit vollends in den Schatten gestellt – sozusagen ein Paukenschlag aus Amerikas antikapitalistischer Gegenwelt.

Das heißt, „Paukenschlag“ ist denn doch etwas übertrieben. Es war nur ein zartes „Piep piep piep“, mit dem Moskau aller Welt signalierte, daß nunmehr eineinhalb Stunden reichten, um eben diese Welt zu umrunden. Der erste, der die neuartigen Töne im nichtkommunistischen Westen Europas vernahm und richtig deutete, war Heinz Kaminski, Leiter der Volkssternwarte Bochum (siehe Beitrag links). Dem Chemiker und Amateurastronom war sofort klar: An diesem 4. Oktober 1957 hat ein neues Zeitalter begonnen, die Raumfahrt-Ära.

In der Tat, die Metallkugel namens Sputnik I – wesentlicher Inhalt: zwei jeweils ein Watt schwache Sender – war der erste von Menschenhand geschaffene künstliche Erdtrabant. Wie sein großes natürliches Pendant, der Mond, umrundete er unseren Heimatplaneten auf einer elliptischen Bahn, basierend auf der Balance zwischen Schwerkraft und Zentrifugalkraft (siehe Kasten unten).

Damit war aber schon Schluß mit den Gemeinsamkeiten. Sputnik brachte beim Start im kasachischen Baikonur knapp über 80 Kilogramm auf die Waage, die Masse des Mondes wurde auf nahezu das 1022-fache berechnet (das ist eine Zehn mit 22 Nullen; Namen für so große Zahlen gibt es in keiner Sprache – zum Vergleich: eine Million ist gerade mal 106). Der Mond hat einen Durchmesser von nahezu 3500 Kilometer, Sputnik gerade mal 58 Zentimeter. Gravierende Unterschiede auch bei den Umlaufbahn-Daten: Sputniks Flughöhe schwankte zwischen 225 und 950 Kilometer, der Mond ist zwischen 363000 und 405000 Kilometer von uns weg und braucht für seine Reise um die Erde, über 2,5 Millionen Kilometer, 27 Tage, sieben Stunden und etwas über 43 Minuten (bezogen auf den Fixsternhimmel). Um Sputnik einmal um die Erde zu jagen, reichte eine Flugstrecke von etwa 45000 Kilometer; das war in 96 Minuten zu bewältigen.

Vergleicht man also den Sputnik mit unserem guten alten Mond, so nimmt sich des Menschen Werk recht bescheiden aus. Freilich hat die Natur sich auch gut fünf Milliarden Jahre Zeit gelassen, um unser Sonnensystem samt Erde und Mond zu schaffen und so einzurichten, wie wir es heute wahrnehmen – nach einem göttlichen Plan, den zu verstehen unser kritischer Geist bislang nicht vermag.

Die streng wissenschaftliche Ausbeute ist, um es positiv zu formulieren, überschaubar; man könnte auch sagen: kaum wahrnehmbar. Auch wenn die sowjetischen Weltraumforscher Sputnik I stolz als Beitrag zum „Internationalen Geophysikalischen Jahr“ bejubelten – das einzige „wissenschaftliche“ Gerät an Bord war ein simples Thermometer für Innen- und Außentemperatur. Aus der Differenz der per Funk übertragenen Meßwerte – so die amtliche Experimentbeschreibung – ließ sich jederzeit ablesen, in welchem Maße der Satellit im Falle einer Kollision mit einem Klein-Meteoriten beschädigt würde. Der ohnehin höchst unwahrscheinliche Fall trat nicht ein, die Geschichte der Geophysikalischen Forschung mußte jedenfalls aufgrund dieser Versuchsanordnung nicht neu geschrieben werden. Und nach 96 Tagen mit etwa 1400 Erdumrundungen verglühte Sputnik in der oberen Erdatmosphäre und vermittelte somit wenigsten eine neue wissenschaftliche Erkenntnis, nämlich über die Dichte der irdischen Lufthülle in derartigen Höhen.

Bedeutender und somit auch erinnerungswürdig ist die technologische Leistung. Sergeij Koroljow, sozusagen der russische Zwillingsbruder des Deutsch-Amerikaners Wernher von Braun, wollte eigentlich einen tonnenschweren Großsatelliten mit zahlreichen wissenschaftlichen Experimenten in den Orbit schießen. Probleme mit der auf fünf Tonnen Nutzlast ausgelegten Trägerrakete R-7 machten diese Pläne zunichte.

Koroljows Auftraggeber im Kreml interessierten sich für das Vorhaben ohnehin nur unter dem Aspekt, den Vorsprung des Westens beim Bau von Interkontinentalraketen aufzuholen.

Das „Piep piep piep“, das Heinz Kaminski vor 50 Jahren auffing, signalisierte denn auch, daß die Sowjetunion nunmehr über die technischen Fähigkeiten verfügte, Nuklearwaffen, zum Beispiel Wasserstoffbomben, fast ohne Vorwarnzeit an jeden beliebigen Punkt der Erde zu transportieren. So hatte sich dem Kampf der Systeme und Ideologien ein neues Schlachtfeld erschlossen: der Weltraum. Oder, um das sowjetische Vokabular aufzugreifen: Mit Sputnik begann der Kalte Krieg im Kosmos.

Die erste Schlacht hatte Moskau gewonnen. Der Westen war dementsprechend geschockt, vervielfachte die Mittel sowohl für zivile als auch für militärische Raumfahrtprojekte, zum Beispiel Spionagesatelliten. Schon glaubte er, den Konkurrenten eingeholt zu haben, da folgte der nächste Schock: Am 12. April 1961 hob Juri Gagarin mit dem Raumschiff Wostok 1 ab zum ersten bemannten Raumflug – in 108 Minuten um die Welt. Amerika nahm die Herausforderung an und hatte nach acht weiteren Jahren die Nase vorn: Mit der Mondlandung begann eine lange Phase westlicher Dominanz in der zivilen wie der militärischen Raumfahrt.

Doch auch wenn die Eroberung des Weltraums durch den Menschen frei nach Heraklit („Der Krieg ist der Vater aller Dinge“) ein „Kind“ des Kalten Krieges ist – es ist nicht alles schlecht, nur weil es irgendwann einmal als militärisches Projekt begonnen hatte. In immer stärkerem, vielen Menschen aber gar nicht bewußtem Maße wird unser Alltag auf der Erde heute auch vom All aus bestimmt, durch weltraumgestützte Fernseh- oder Telekommunikationsstationen, durch Satelliten zur Erdbeobachtung und Wettervorhersage, durch metergenaue Navigationssysteme, durch neuartige Materialien. Und dabei stehen wir erst am Anfang, 50 Jahre sind in der Kulturgeschichte der Menschheit eine kleine Spanne. So wäre die Raumfahrttechnologie prädestiniert, völlig neue Konzepte zur Gewinnung, Übertragung und Speicherung von Energie zu entwickeln – davon sollten wir uns auch durch die gegenwärtige CO2-Hysterie nicht ablenken lassen.

Jenes erste „Piep piep piep“ in der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1957 signalisierte mehr als den „Sieg über den Kapitalismus“, den die gleichgeschaltete Ostblockpresse damals feierte. Es waren die ersten Herztöne einer neuen Ära – wie gut oder schlecht dieses Zeitalter wird, liegt in unser Hand.

Foto: Letzte Detailarbeiten: Techniker mit dem Sputnik I

 

Zeitzeugen

Heinz Kaminski, geboren am 15. Juni 1921 in Bochum, war Chemieingenieur, wurde einem breiteren Publikum aber durch sein Hobby bekannt. 1956 hatte der Amateurastronom in seiner Vaterstadt eine Schul- und Volkssternwarte eingerichtet. Dabei nutzte er auch seine im Kriege erworbenen Kenntnisse als Schiffsfunker; im Keller seines Hauses, direkt neben der Sternwarte, lauschte er mit selbstgebasteltem Equipment ins Weltall. In der Nacht zum 5. Oktober 1957 kam der Durchbruch. Freilich war, was er da vernahm, nicht das erhoffte Lebenszeichen ferner Welten, sondern das Funksignal des ersten künstlichen Erdtrabanten, das er als erster vernahm. Damit war Kaminski über Nacht weltberühmt. Zielstrebig nutzte er die Popularität und baute seine Volkssternwarte zur bedeutendsten Satellitenbeobachtungsstation Europas aus. Im Fernsehen war er bei Großereignissen wie den Apolloflügen als fachkundiger Experte gefragt, der wie kein anderer einem Laienpublikum die komplizierten Zusammenhänge verständlich machen konnte. 1972 wurde er Honorarprofessor; noch 2000 hielt er Vorlesungen zum Thema „Satelliten-Umweltforschung“. Am 17. Februar 2002 starb Heinz Kaminski. Die Sternwarte Bochum erinnert mit einer sehenswerten Ausstellung an Kaminski und den Sputnik-Start.

 

Sergej Koroljow, geboren am 12. Januar 1907 in der Ukraine, zählt zu den weltweit bedeutendsten Raumfahrtpionieren. 1934 startete er seine erste Rakete, fiel dann aber bei Stalin in Ungnade und verbrachte sechs Jahre in Straflagern. Erst nach 1950 wurde er zur „Nummer 1“ der sowjetischen Raumfahrt, fand aber weiterhin öffentlich kaum Anerkennung. Unter seiner Federführung hob 1956 mit der R-5 die erste Trägerrakete für nukleare Sprengkörper ab. Sein größter Erfolg war dann Sputnik I, auch wenn Parteichef Chruschtschow ein paar Tage brauchte, um das propagandistische Potential zu erfassen. Dann aber zeigte Koroljow, zu was er fähig war: Auf Befehl aus dem Kreml brachte er innerhalb von vier Wochen Sputnik II mit der Hündin Laika an Bord auf die Startrampe in Baikonur und ließ pünktlich zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution das erste Lebewesen in den Kosmos reisen. Einen weiteren spektakulären Erfolg verbuchte er am 12. April 1961 mit Juri Gagarins Erstflug, dem Beginn der bemannten Raumfahrt. Am 14. Januar 1966 starb Koroljow, möglicherweise eine Spätfolge der langen Lagerhaft. Daß er der führende Kopf hinter der sowjetischen Raumfahrt in ihrer erfolgreichsten Phase war, erfuhr die Weltöffentlichkeit erst nach dem Zerfall des Sowjetimperiums und der Öffnung der Kreml-Archive.


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