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29.09.07 / Sarkozys gewagtes Spiel / Die Franzosen sollen wieder schuften wie ihr unermüdlicher Staatspräsident 

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-07 vom 29. September 2007

Sarkozys gewagtes Spiel
Die Franzosen sollen wieder schuften wie ihr unermüdlicher Staatspräsident 
von Jean-Paul Picaper

Im Unterschied zu seinem Vorgänger und zu vielen Politikern will Nicolas Sarkozy seine Wahlversprechen einhalten. Bei jedem Interview beteuert er, daß er tut, was er in seinem Wahlkampf angekündigt hat. Im Wahlkampf hatte er immer wieder versichert, daß er keine leeren Phrasen dreschen werde. Er hat nichts verwässert, er steht zu seinen kühnsten Ankündigungen.

Nicht nur sein Stil, hemdsärmelig und ungezwungen, auf die Schultern der Männer klopfend und die Damen auf beide Wangen küssend, unterscheidet den quirligen Sarkozy von dem königlichen Jacques Chirac. Nein, inhaltlich auch will „Speedy Sarko“ ein erneuertes, effizientes Frankreich aus der Retorte herausziehen, und zwar nicht am Sankt Nimmerleinstag, sondern innerhalb einer Zeitspanne von 50 Tagen bis zwei Jahren. Sarkozy ist kein klassischer Politiker. Er redet Klartext. Er hat zu allen Fragen präzise, konkrete Antworten. Er scheut keine Kontakte. Gewerkschafter und Unternehmer geben sich im Elysée-Palast, seinem Amtssitz, die Türklinke in die Hand. Er ist nicht „der Präsident der UMP“, seiner Partei, betonte er letzte Woche. Er kann nach eigenen Worten seine treuesten Gefolgsleute enttäuschen und „Politik für alle“ machen. Er geht in die Betriebe, Verwaltungen, Kliniken und Altenheime, Schulen und Vereine, befragt Arbeiter, Insassen, Schüler, Mitglieder als Mensch wie du und ich. Er ist allgegenwärtig. Der nimmermüde kleine Mann verfügt über eine robuste Gesundheit und erfreut sich einer steigenden Popularität, wie kein Präsident vor ihm. Das muß auch in Deutschland gesagt werden, wo einige Medien ihn mit Häme verfolgen. Das gefällt seinen Landsleuten außerordentlich gut, denn so sind die Franzosen, und viele, die sich für seine Gegnerin entschieden hatten, bedauern jetzt ihre damalige Wahlentscheidung.

Aber er spielt ein gewagtes Spiel.  Die Fristen, die er sich gesetzt hat, sind sehr kurz. Einer seiner sozialistischen Widersacher, Lionel Jospin, sagte dieser Tage, er unterschätze vielleicht die Komplexität der Gesellschaft. Eines seiner Versprechen aus der Wahlkampfzeit war bis zum Jahresende die Abschaffung der Sonderregelungen in der Rentenversicherung von Beschäftigten der Staatsunternehmen wie der Staatsbahn SNCF, der Elektrizitäts- und Gasversorger EDF und GDF. Sie müssen nur 37,5 Jahre lang Beiträge bezahlen, während alle anderen Franzosen 40 Jahre lang einzahlen, und sie dürfen sich bereits mit fünfzig Jahren auf ihr Altenteil zurückziehen. Für diese Reform, die seine Landsleute als einen Akt der Gerechtigkeit betrachten, hat Sarkozy zwar die Mehrheit (75 Prozent) der Franzosen hinter sich. Aber die Gewerkschaften, die er laufend konsultiert, um dem Unglück seines Vorgängers Alain Juppé, der 1995 über dieses Reformvorhaben und die daraus resultierenden Massenstreiks stürzte, vorzubeugen, möchten Zeit gewinnen. Die Eisenbahner der einst kommunistischen CGT haben für den 17. Oktober einen Streik angekündigt. Wehe, wenn er über deren Köpfe hinweg entscheiden sollte.

Für diesen Fall haben Sarkozy und Fillon ein Gesetz geschmiedet, das eine Mindestversorgung der Bürger mit öffentlichen Verkehrmitteln im Streikfalle sichert. Aber die Zwangsverpflichtung von Bediensteten steht nicht im Text, der nur die Anmeldung des Streiks 48 Stunden im voraus und eine Urabstimmung aller Beschäftigten nach acht Tagen  vorsieht. Das Leitmotiv der Sarkozy-Regierung paßt aber dazu. Es ist die Absage an die Faulenzerei und an die Versorgung von Arbeitsunwilligen. Die Regel gilt jetzt, daß Mehrarbeit mehr Lohn bringt. Seine Finanz- und Wirtschaftsministerin Christine Lagarde hatte vor dem Parlament den Wert der Arbeit zur Identitäts- und Substanzbildung zelebriert und der These vom französischen Schwiegersohn von Karl Marx, Paul Lafarge, daß es ein „Recht auf Faulheit“ gibt, vehement widersprochen. Scheibchenweise wird das sozialistische Gesetz, das allen Betrieben eine Wochenarbeitszeit von höchstens 35 Stunden zur Pflicht machte, abgebaut. An das Ruhestandalter von 60 Jahren geht man noch nicht heran, aber Arbeit bis 65 und darüber hinaus wird möglich gemacht. Überstunden werden steuer- und beitragsfrei. In vielen Branchen konnten sie von den Gewerkschaften verhindert werden. „Es ist schon ein Unding, daß man den Arbeitswilligen verbieten kann zu arbeiten“, äußerte der Staatspräsident neulich. Da 45 Prozent der Staatsausgaben in die Gehälter und Pensionen der mehr als fünf Millionen Beamte fließen und die Kassendefizite historische Tiefpunkte erreichen, will Sarkozy jeden zweiten Staatsdiener nicht ersetzen, wenn er pensioniert ist. Die Aufgaben der nunmehr besser besoldeten „Überlebenden“ werden sich grundsätzlich ändern. Der Austausch zwischen privatem Sektor und Berufsbeamtentum wird intensiviert. Es ist da die Rede von einer „Kulturrevolution“. Arbeitslosenkassen und Beschäftigungsagenturen sollen fusionieren. Der Druck zur Übernahme von Arbeit wird verstärkt. Innerhalb von 14 Tagen wird eine Stelle angeboten. Zwei Absagen werden bestraft. Weiter gibt es Pläne, die Repräsentanz der Gewerkschaften und deren Finanzierung zu überprüfen. Mehr Dialog zwischen den Sozialpartnern, aber weniger Gewerkschaftsmacht: gelingt dies Sarkozy ebenso wie Margaret Thatcher?


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