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29.09.07 / Kostspieliges Abenteuer in Ungarn / Beim Zahnersatz aus dem Ausland ist Vorsicht angesagt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-07 vom 29. September 2007

Kostspieliges Abenteuer in Ungarn
Beim Zahnersatz aus dem Ausland ist Vorsicht angesagt
von Harald Fourier

Das Taxi rauscht durch die flimmernde Mittagshitze des Balkans. Je näher wir dem Zentrum der kleinen ungarischen Stadt kommen, desto öfter sind Schilder in deutscher Sprache zu sehen: „Zahnimplantete-Zentrum“, „Dentist hier“, „Zahnarztpraxis“ oder „Klinikum für Schönheitsoperationen“ steht auf den Schildern. Ich bin in Mosonmagyaróvár, dem Mekka der ungarischen Dentalmedizin.

Kaum fünf Minuten nach dem Einsteigen am Bahnhof endet die Taxifahrt vor einem Neubau. Unten ist eine Boutique, oben die Zahnarztpraxis L. Im Internet wirbt dieser Anbieter mit seinen günstigen Leistungen. Alles macht einen sehr seriösen Eindruck. Ich habe nicht lange gezögert und einen Termin vereinbart, bin nach Wien geflogen und habe von dort den Regionalzug ins das 70 Kilometer entfernte Grenzstädtchen Mosonmagyaróvár genommen.

So hatte alles angefangen: Für den Termin haben sich meine Zahnärztin und ihr Chef in der Berliner Zahnarztpraxis extra Zeit genommen. Gemeinsam erklärten sie mir anhand eines Modells die genaue Behandlung. Vor allem erläuterten sie den Heil- und Kostenplan. „Wie Sie das finanzieren, ist Ihre Sache, aber das ist die beste Behandlung, die Sie bekommen können. Sie sollten keine Zeit verschwenden.“ Diese Botschaft saß genauso wie der Preis: 14000 Euro.

Meine Ärztin hat eine starke Abrasion festgestellt, weil ich nachts viel mit den Zähnen knirsche. Teilweise schaut nur noch ein Millimeter Zahn aus dem Zahnfleisch hervor. „Das wird sehr schwer, da noch eine Krone draufzusetzen“, sagt sie. Ihr Vorschlag sieht so aus: Mit einer Schiene soll das Gebiß angehoben werden. Wenn ich lange genug diese Schiene getragen habe, dann kommen die Kronen rauf. „Am besten Sie nehmen Keramik“, rät sie mir. Sie hat auch den Preis für Metallkeramik errechnet. Damit würde ich vielleicht 1000 Euro sparen, dafür hielte das Material aber nicht so gut.

Früher hat die Krankenkasse einmal einen prozentualen Anteil der Gesamtkosten übernommen. Seit 2005 gibt es einen Festzuschuß, und der beträgt in meinem Fall etwa 3300 Euro. Das heißt, daß ich von den gut 14000 Euro fast 11000 selbst zahlen muß. Zahnersatz ist ein teures Vergnügen.

Die Behandlung mit der Ärztin in Berlin-Schöneberg läuft seit diesem Gespräch. Allein die Gebißanhebung mit der Schiene dauert Wochen, Monate.

So blieb mir reichlich Zeit, mit anderen über diese aufwendige und teure Behandlung zu sprechen. Mehrere Freunde hatten sofort den Vorschlag parat: Mach es in Ungarn!

Längst hat die Globalisierung auch das Gesundheitswesen erreicht. Zahnärzte und -techniker in Deutschland klagen deswegen über Umsatzeinbußen. Davon profitiert die europäische Billigkonkurrenz. Die Produktionskosten sind im Osten niedriger, die Lebenshaltungskosten, die Lohnkosten – also auch die Kosten für den Zahnersatz. Nach diesem Muster zieht ein Teil der Karawane bereits weiter Richtung Bulgarien oder Ukraine. Dort ist es schließlich noch billiger.

Die Ungarn genießen einen guten Ruf. Schließlich zahlt die deutsche Krankenkasse den besagten Festzuschuß ja auch an den ungarischen Arzt. Auf der Internetseite von L. steht, interessierte Kunden sollen ihren Kosten- und Heilplan per Fax an die Praxis schicken. Gesagt, getan.

Eine halbe Stunde später (!) kommt bereits eine detaillierte Antwort, wie gewünscht per E-Mail. Die Ungarn bieten folgendes an: Sie machen fast die gleiche Behandlung für nur 4000 Euro.

Ich kann es kaum glauben. Sofort vereinbare ich einen Termin. Dann erst fällt mir auf, daß dieser Heilplan den Einsatz der billigeren Metallkeramikverbindung vorsieht. Egal. Sicherlich machen die auch Vollkeramik. Das klären wir vor Ort, denke ich.

Mosonmagyaróvár hat ein biß-chen etwas von Las Vegas. Nur, daß es hier nicht um Glücksspiel geht, sondern um Zahnmedizin. Überall große Werbeschilder an den Praxen. Inzwischen hat sich eine ganze dazugehörige Wohl-fühl-Industrie entwickelt. Mit Schönheitsfarmen, Wellnessparks, sogar ein Thermalbad ist in Bau, dazu Freizeitaktivitäten – eine Stadt lebt auf, mit dem Geld von deutschen, österreichischen und schweizerischen Zahnpatienten.

In Mosonmagyaróvár angekommen, geht’s gleich zur Praxis von L. Als ich die Praxis betrete, bin ich wild entschlossen: Mach die Operation hier in Ungarn, auch wenn du dreimal oder viermal hinfliegen mußt, sage ich zu mir selbst.

Der erste Eindruck: Ich öffne die Tür und stehe sofort im Wartezimmer. Rechts sitzt die Sprechstundenhilfe, die sehr gut Deutsch spricht. „Guten Tag“, sage ich. „Guten Tag“, antwortet sie und bittet mich auf einem der tiefen Sessel Platz zu nehmen.

Die Wände sind orange gehalten. Das irritiert mich. Bei einem Arzt in Deutschland wäre es septisch-weiß. In der Ecke steht ein künstlicher Stein, aus dem Wasser hervorsprudelt. Kitschig sieht das aus. Dazu Ikea-Lampen. Unter dem Tischchen liegen deutsche Zeitschriften. Sie sehen abgegriffen aus. Der „Spiegel“ ist nicht mehr ganz neu. Wie bei meinem Frisör.

Als ich von Frau Doktor D. in den Behandlungsraum gebeten werde, steht für mich eine Minute später  fest: Hier lasse ich mich nicht behandeln. Das erste, was ein Patient beim Zahnarzt sieht, ist die Lampe, die auf ihn gerichtet ist. Diese Zahnarztlampe ist nicht sauber geputzt. Auf ihr sind Schlieren zu sehen, so als hätte jemand naß gewischt und dann nicht trockengerubbelt, sondern das ganze trock-nen lassen. Und Frau Doktor D. trägt einen durchsichtigen Schirm aus Plexiglas oder Plastik. Auch hier: Wasserspritzer und / oder andere Flecken. Die Ärztin gibt sich nicht die geringste Mühe. Ihr Deutsch ist gebrochen. Sie schaut sich kurz meine Zähne an und schickt mich zum Röntgen. Als ich wiederkomme, redet sie über die Herstellung der Brücken. Brücken? Ich will Kronen – nicht Brücken. „Nein, das machen wir nicht“, sagt die Blondine. Und macht obendrein eine neue Rechnung auf: Wenn ich auf Keramik bestehe, dann kostet es plötzlich mehr als 11000 Euro, also annähernd das Dreifache von dem, was mir zunächst angeboten worden ist. Der Kostenvorteil ist damit auf weniger als 3000 Euro zusammengeschrumpft.

In der Werbung von L. hieß es großspurig: „Nach der Diagnose erklären wir Ihnen eingehend den Behandlungsplan und die damit verbundenen Investitionen in Ihre Gesundheit. Wir beantworten dabei alle für Sie relevanten Fragen.“

„Wie lange dauert denn die Behandlung?“ „Zwei Wochen.“ „Und zahlt meine Krankenkasse den Zuschuß?“ „Das müssen Sie selbst herausbekommen.“ „Soll ich die Schiene meiner Ärztin in Berlin weitertragen?“ „Jaja.“

Alle meine Fragen werden zwischen Tür und Angel abgehandelt, so als ginge es nicht um einen aufwendigen (und teuren) Eingriff in meinen Kiefer, sondern um die Menüzusammenstellung in einem Schnellimbiß. Ich bekomme nicht mal einen Sitzplatz angeboten.

„Schöne Zähne sind der Schlüssel zum Erfolg“, heißt es in der Hochglanzbroschüre weiter. Ein freundlicher Umgang mit den Kunden auch, denke ich mir. Ziemlich desillusioniert verlasse ich nach einer Stunde die Praxis und fahre zurück nach Berlin.

Der Erfolg ungarischer Zahnärzte hat sicherlich seine Gründe. Wer als Kunde mehr will als das, was die Kasse zahlt, und trotzdem günstig davonkommen möchte, der wird das richtige Angebot vermutlich finden. Auch derjenige, der einen Zahnersatz von der Stange wünscht, spart wahrscheinlich Geld, ohne daß er große Qualitätseinbußen hinnehmen muß. Aber bei einem komplizierten Eingriff, der längere Zeit in Anspruch nimmt, empfiehlt es sich genau hinzuschauen.

Ich jedenfalls habe mich am Ende für meine Ärztin im Inland entschieden. Ein bißchen Globalisierung ist ja auch in meiner Behandlung in Berlin schon enthalten: Der Vorname der Chefin des Dentallabors, das die Kronen herstellt, lautet Agnieszka. Und die Ärztin, die mich behandelt, heißt mit Vornamen Arleta. Beide stammen aus Polen.

Foto: Verwirrendes Angebot: Auch in Ungarn muß man jedes Angebot genau prüfen.


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