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06.10.07 / Berlins vergessene Helden der Freiheit / Späte Ehrung des Widerstands: An der Freien Universität erinnert jetzt ein Denkmal an die von den Sowjets ermordeten Studenten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-07 vom 06. Oktober 2007

Berlins vergessene Helden der Freiheit
Späte Ehrung des Widerstands: An der Freien Universität erinnert jetzt ein Denkmal an die von den Sowjets ermordeten Studenten
von Peter Westphal

Zum Beginn des Wintersemesters erwartet die Studenten an der Freien Universität (FU) Berlin nicht nur ein neues Studienjahr. Auf dem Campus erinnert seit September erstmals ein Denkmal an die ermordeten Erststudenten, die in der Gründungsphase der Universität wegen ihres Einsatzes für die Freiheit ermordet wurden. Sie zählen zu den fast eintausend deutschen Zivilisten, die zwischen 1950 und 1953 von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt und nach Moskau verschleppt worden waren, wo man sie hinrichtete.

Nach aktuellem Forschungsstand kamen allein 241 von ihnen aus Berlin, die meisten aus dem Westsektor der Stadt. Obgleich Rußland nach dem Mauerfall seine Archive teilweise öffnete, dauerte es noch einmal über ein Jahrzehnt, bis auch über das schreckliche Schicksal der verschollenen deutschen Studenten weitgehend Gewißheit herrschte. Möglich wurde dies vor allem durch die Aufklärungsarbeit von „Memorial International“ in Moskau und dem Historischen Forschungsinstitut „Facts & Files“ in Berlin.

Das Gedenken an die ermordeten Studenten der FU ist mit dem Selbstverständnis des universitären Lebens von Berlin untrennbar verbunden. Erfolgte doch die Gründung der Freien Universität Berlin während der sowjetischen Blockade am 4. Dezember 1948 - auf dem Campus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Dahlem. Die Neugründung war die freiheitliche Antwort auf die politische Uniformierung der 1810 (als Friedrich-Wilhelms-Universität) gegründeten Humboldt-Universität Unter den Linden. Die Perversion dieser Namensgebung war kaum zu überbieten, spielte doch in der Bildungsphilosophie Wilhelm von Humboldts dessen Freiheitsverständnis eine zentrale Rolle. Die Bestimmung der neuen Hochschule war für Humboldt wie die anderen Gründer, jungen Menschen freie Entfaltung zu ermöglichen. Dabei, so verdeutlichte FU-Präsident Dieter Lenzen während der Einweihung des Denkmals für die studentischen Sowjetopfer, sei Freiheit immer „das Resultat einer Entscheidung, frei sein zu wollen und Freiheit zur Geltung zu bringen“.

Genau dies hätten die jungen Menschen getan, die - nachdem sie den entsetzlichen Krieg überlebt hatten - „die Trümmer einer der berühmtesten europäischen Universitäten“ besuchten, nur um zu erfahren, „ein weiteres Mal betrogen zu werden“, so Lenzen. Von den heute insgesamt zehn namentlich bekannten Opfern der sowjetischen Militärtribunale studierte - offenbar nicht zufällig - ein Großteil an der damaligen Deutschen Hochschule für Politik (DHfP), die 1959 als Otto-Suhr-Institut in die FU eingegliedert wurde.

Verhaftet wurden die meisten von ihnen, weil sie Flugblätter verteilt oder Kontakt zu oppositionellen Bewohnern des Ostsektors unterhalten hatten. Allerdings reichte für die Aburteilung auch schon die Zugehörigkeit zur DHfP, wie im Fall von Günter Beggerow (Jg. 1928), der am 28. Mai 1952 in Moskau hingerichtet wurde. Zu den erschütternden Schicksalen gehört ebenso die Geschichte von Peter Püschel. Seine Schwester Britta Püschel erinnert sich, wie „der noch nicht 18jährige (...) unter dem gnadenlosen Beschuß der Russen bis zum letzten Augenblick auf den Landestegen von Kolberg aushielt“, um Menschenleben zu retten. Im November 1950, inzwischen Student an der Deutschen Hochschule für Politik, war er beim nächtlichen Flugblattverteilen vor einer sowjetischen Kaserne gefaßt worden. Von einem Mithäftling erfuhr die Schwester die letzten Worte ihres Bruders, die dieser vor seinem Abtransport aus Berlin durch Klopfzeichen an der Wand in die Nachbarzelle übermittelte: „Auf Wiedersehen - in Moskau oder im Himmel ...“. Erst 1998 wurde sein Schicksal aufgeklärt.

Seiner und der anderen ermordeten Gründungsstudenten der Freien Universität wird jetzt durch eine beeindruckende abstrakte Bronzeskulptur gedacht. Die aus zehn gleichmächtigen, balkenartigen Elementen bestehende Skulptur weist in verschiedene Richtungen, eine Formgebung, in der sich die abgebrochenen Lebensläufen der Studenten spiegelt. Befragt, was dieser Tag für die Geschichte der FU bedeute, erklärt ihr Präsident Dieter Lenzen gegenüber der Preußischen Allgemeinen, daß sich die Universität nunmehr „einer Ungeheuerlichkeit bewußt wird, der sie überhaupt erst ihre Existenz verdankt“. Der prominente FU-Historiker Arnulf Baring sieht in dem Gedenkakt die „couragierte Entscheidung Lenzens“, da „noch viele innerhalb der FU die Begleitumstände der Universitätsgründung nicht wahrhaben wollen, daß nämlich die Erststudenten für die Freiheit ihr Leben gaben.“

Für den Politikwissenschaftler Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat wird mit der Würdigung der von den Sowjets ermordeten Studenten endlich Abschied genommen von dem weitverbreiteten Glauben, der bis heute in dem 1967 erschossenen Studenten Benno Ohnesorg das erste Todesopfer in der Geschichte der Freien Universität sieht.

Übrigens: Bereits am 19. Mai 1954 hatte der Akademische Senat der FU eine Gedenktafel in Auftrag gegeben, ohne jedoch die Namen der Opfer zu kennen. Zur Ausführung war es jedoch nie gekommen.


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