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06.10.07 / Ukraine bleibt gespalten / Doch die Wähler sehen sich immer weniger als »Russen« oder »Europäer«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-07 vom 06. Oktober 2007

Ukraine bleibt gespalten
Doch die Wähler sehen sich immer weniger als »Russen« oder »Europäer«
von Wolf Oschlies

Am 30. September waren 37 Millionen Ukrainer zur Wahlurne gerufen - zum vierten Mal binnen drei Jahren. Ende 2004 hatte es zwei turbulente Runden der Präsidentenwahl gegeben, im März 2006 waren die 450 Parlamentarier der „Verchovna Rada“, des ukrainischen Parlaments, gekürt worden. Erstmalig sollte deren Mandat fünf Jahre währen, aber binnen weniger Monate entstand eine so umfassende politische Krise, daß vorgezogene Neuwahlen nötig wurden, die ersten seit der Unabhängigkeit 1991.

Die jetzige Wahl des sechsten Parlaments stand im Zeichen ukrainischer Wahlmüdigkeit: 57 Prozent Beteiligung, sieben Prozent weniger als 2006, aber sieben Prozent über der Rate, die das Gesetz für die Gültigkeit jeder Wahl vorschreibt. Die Ukraine benötigt ökonomische Prosperität, Demokratie und politische Stabilität, was sie bislang bestenfalls halb bekam. Die Wirtschaft nimmt sich passabel aus (Wachstum 2007 über sieben Prozent, fünf Milliarden Euro ausländische Investitionen), aber die Auslandsverschuldung wuchs auf über 65 Milliarden Dollar, und laut Weltbank steht die Ukraine hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Marktwirtschaft nur auf Platz 139 von 178 Ländern. Ähnlich ist es um die ukrainische Demokratie bestellt. Sie wird vor allem von Präsident Viktor Juschtschenko, dem Heros der „Orangenen Revolution“ von 2004 (dem Sturz des diktatorischen Regimes von Präsident Kutschma) verkörpert, aber eine konfuse Verfassung macht vieles zunichte, da sie dem Land eine unpraktikable Mixtur aus parlamentarischer und präsidialer Herrschaft verordnete. Und politische Stabilität fehlte bislang, weil das Land in den „russischen“ Osten und den „polnischen“ Westen geteilt ist. Dazu kommt noch die Krim, seit 1952 Teil der Ukraine, seit 1992 mit Autonomiestatus.

Nach Ansicht ukrainischer Politologen haben diese Umstände ganz direkte politische Auswirkungen. Die Wirtschaftserfolge der Ukraine sind kaum mehr als Brocken, gefallen vom Tisch der superreichen Oligarchen, die in der relativ „kleinen“ Ökonomie des Landes - fünfmal geringer als die Rußlands - enorme Reichtümer angehäuft haben. Vermutlich dürfen sie diese behalten, sofern sie im eigenen Interesse dem internationalen Drängen auf Rechtssicherheit nachkommen. Dazu bauten ihnen heimische Politiker „goldene Brücken“, was die Revision oder Legitimierung früherer dubioser „Privatisierungen“ angeht. Diese gewissermaßen marktwirtschaftliche Amnestie freut den ostukrainischen „Paten“ Rinat Achmetov, ein islamischer Tatare, dessen Vermögen auf 19 Milliarden Dollar geschätzt wird. 350 von seiner Art hatten sich mit Parlamentssitzen abgesichert, wo sie eine bis zur Unangreifbarkeit reichende Immunität schützte. Aller Voraussicht nach wird ihre „Fraktion“ im neuen Parlament kaum kleiner werden, zumal sie den Wahlkampf vom September 2007 mit rund 500 Millionen Dollar finanziert haben. Da die Oligarchen, in Ermanglung einer konsistenten Wirtschaftspolitik der Regierung, immer größere Teile ihrer Riesenvermögen, die sie momentan durch milliardenschwere Fusionen mit russischen Unternehmen vermehren, gemeinnützig ausgeben, ist man mit dem Ertrag zufrieden, etwa damit, daß die Ukraine seit zwei Jahren eine positive Migrationsbilanz hat, während Rußland dem Verlust von 30000 hochqualifizierten Fachleuten ans Ausland nachtrauert.

Die Ukraine ist ein „Paradox“, sagen ukrainische Kenner, wo sich disparate Aktionen, Ideologien, Gruppen doch irgendwie zusammenfügen. Das ukrainische Wahlgesetz setzt vor den Einzug ins Parlament eine Drei-Prozent-Hürde, die 2006 fünf Gruppen überstiegen, von denen drei die Regierung bildeten: Die Partei der Regionen (PR) unter Premier Viktor Janukowitsch (186 Sitze), die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU) unter Petr Simonenko (21 Sitze) und die Sozialistische Partei (SP) unter Parlamentspräsident Aleksandr Moros (33 Sitze). Ihnen standen die beiden Blöcke gegenüber, die 2004 die „Orangene Revolution“ anführten: Der „Block Julia Timoschenko“ (BJuT, 129 Sitze) und der „Block Unsere Ukraine“ (NU) von Präsident Juschtschenko (81 Sitze). Im Juli fusionierte NU mit der „Nationalen Selbstverteidigung“ (NS) und trat fortan als NUNS auf.

Das aktuelle Wahlergebnis: PR - 33,72 Prozent, BJuT - 31,11 Prozent, NUNS - 14,45 Prozent, KPU - 5,23 Prozent, „Block Litwin“ - 3,99 Prozent, Sozialisten - 2,99 Prozent. Am Wahlabend hatte Präsident Juschtschenko böse Worte an „Saboteure“ im Süden und Osten gerichtet, „die darauf rechnen, mittels Manipulationen ins Parlament zu gelangen“. Und er forderte die Ordnungshüter auf, hier nachzuforschen, „damit Wahlfälscher bestraft werden“. Dennoch war am 1. Oktober früh klar: Die bisherige Regierungskoalition ist gescheitert, der „Orangene Block“ (BJuT-NUNS) kann die „demokratische Koalition“ bilden, die Timoschenko und Juschtschenko im Februar verabredeten und im Wahlkampf als „einzige Alternative“ herausstellten. Dazu könnte die „Nationalpartei“ des ehemaligen Parlamentspräsidenten Vladimir Litwin beitragen: Dieser erfahrene Politiker wird in allen Lagern respektiert und wird als vermutlich neuer Parlamentspräsident ein neutraler Vermittler sein.

Jetzt sind die Programme der Parteien gefragt. Wenn Rußlands einflußreichster Tycoon Boris Beresowski recht hat, sind Janukowitsch und PR abgeschrieben - als regionale Partei, die den Rückhalt regionaler Oligarchen verlor und darum in die Krise gerät. Kommunisten und Sozialisten gelten als Repräsentanten eines überalterten, ungebildeten Wählerschicht, die „sowjet-nostalgisch“ alten Ideologien und Herrschaftstechniken anhängt. Als „westorientiert“ und „europäisch“ gelten die Blöcke von Juschtschenko und Julia Timoschenko, was bei letzterer fraglich ist. Zwar hat sie mit dem „Ukrainischen Durchbruch“ ein voluminöses Programm vorgelegt, das aber wenig überzeugend war und unerfüllbar ist: Versprochene hohe Sozialleistungen sind unbezahlbar, Bekenntnisse zu EU und Nato vertragen sich nicht Rücksichten auf Industrie, Bergbau und Rüstung im Osten, wo Julia Timoschenko die überraschenden Zusatzstimmen einstrich, die ihren Sieg besiegelten. Im übrigen sind EU und Nato, „Russisch als zweite Staatssprache“, „Föderalisierung der Ukraine“ Themen von gestern, die heute kaum noch bewegen - wie der „Europäer“ Juschtschenko und der „Russe“ Janukowitsch schmerzhaft erfahren mußten.


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