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13.10.07 / Wieder nur halbe Sachen / Die Gesundheitskarte kommt, allerdings nur stark abgespeckt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-07 vom 13. Oktober 2007

Wieder nur halbe Sachen
Die Gesundheitskarte kommt, allerdings nur stark abgespeckt
von Rebecca Bellano

Reich an Sympathiepunkten in der Bevölkerung ist Ulla Schmidt nicht gerade. Die Gesundheitsministerin gibt den Deutschen so manche bittere Pille zu schlucken, ohne daß der Eindruck entsteht, daß sich etwas zum Besseren dadurch wendet. Um die nach langen Debatten beschlossene Gesundheitsreform, die eigentlich das Meisterstück der Großen Koalition werden sollte, ist es still geworden, doch da der stark umstrittene Gesundheitsfonds nicht vor 2009 eingeführt werden wird, ist das Thema erstmal vom Tisch. Debatten um die Reform der Pflegeversicherung laufen derzeit eher in Fachgremien und erreichen nur sporadisch in Kurzmeldungen die Bevölkerung, die daraus schließen kann, daß eine Einigung noch aussteht.

Allerdings gibt es ein anderes Projekt der Ministerin, das die Beschlußreife erreicht hat: die Einführung der neuen Gesundheitskarte. Ein Zauberding müßte man glauben, wenn man hört, was die neue Karte alles können soll. Neben Name, Krankenkasse, Versichertenstatus und Geburtsdatum soll ein Foto auf der Karte gegen Mißbrauch schützen und ein eingebauter Chip eine Fülle von Informationen enthalten. So sollen hier Rezepte gespeichert werden können, so daß 800 Millionen Papierrezepte entfallen und in der Apotheke nur noch die Karte über den Tresen gereicht werden braucht. Ein Notfalldatensatz soll Grunderkrankungen und Allergien enthalten. Außerdem soll die Karte die Zugriffsberechtigung für Rechenzentren enthalten, in denen auf Wunsch des Patienten seine ihm verordneten Arzneimittel, die individuelle Krankengeschichte, Laborbefunde, Operationsberichte und Röntgenbilder gespeichert werden. Der Sorge um den Datenschutz (siehe Kasten rechts) ist insoweit Rechnung getragen worden, als ein System aus Geheimnummern und sogenanntem „Zwei-Schlüssel-System“, bei dem Arzt und Patient je einen „Schlüssel“ haben, vor Datenmißbrauch schützen soll.

Na, das klingt doch so, daß der Versicherte jetzt nach Phasen des Drangsals durch Patientengebühren und reduzierten Leistungskatalogen der gesetzlichen Krankenkassen bei gleichzeitig steigenden Beiträgen einmal einen Nutzen aus dem Tun der Gesundheitsministerin ziehen könnte. Die Gefahr, daß Ärzte Medikamente verschreiben, die sich mit anderen, die man bereits einnimmt, nicht vertragen, wird reduziert, da der verschreibende Arzt jetzt sehen kann, was seine Kollegen verschrieben haben. Auch entfallen zeitaufwendige und teilweise gesundheitsbelastende Mehrfachuntersuchungen, denn nun könnten Ärzte auf alte Röngtenbilder und ähnliches zurückgreifen. Auch können sie sehen, worunter ihr Patient in der Vergangenheit gelitten hat, und eventuell Rückschlüsse auf aktuelle Erkrankungen ziehen.

Doch leider ist all das nur ferne Zukunftsmusik. Abgesehen davon, daß in den Versuchsregionen, in denen die Gesundheitskarte seit einigen Monaten getestet wird, noch technische Probleme aufgetaucht sind, die allerdings behoben werden können, ist sich die ganze Gesellschaft der am Gesundheitssystem Teilnehmenden uneins. Natürlich mit einer Ausnahme: Die Patienten, die wissen nämlich mal wieder nicht, was dort über ihren Kopf hinweg verhandelt wird, sie werden nur die Suppe wieder auslöffeln dürfen, die Vertreter von Krankenkassen, Ärzten, Apothekern, Kliniken, Industrie und Politik da einbrocken. Die 195000 Ärzte, 20000 Apotheken, 2200 Krankenkassen, 270 gesetzlichen Krankenversicherungen und auch die privaten Krankenversicherer haben ihre Interessenvertreter, die in einer speziell 2005 hierfür gegründeten Gesellschaft namens „gematik“ über die Einführung der Karte entscheiden. Umfragen zufolge sind allerdings nur 29 Prozent der Ärzte der Meinung, daß die Gesundheitskarte für Deutschland wichtig sei, Industrievertreter und Krankenkassen befürworten jedoch zu 73 beziehungsweise 60 Prozent das Projekt. Dementsprechend bescheiden steht es um eine Einigung. Daher hatte das Gesundheitsministerium ein Ultimatum gestellt: Die Karte kommt 2008 - keine Widerrede!

Das hat den Verhandlungspartnern allerdings wenig imponiert. Zwar geht die Karte nach Plänen Ulla Schmidts ab April 2008 fast allen 82 Millionen - gesetzlich (Pflicht) und privaten (Entscheidung des jeweiligen Versicherers) - Krankenversicherten in Deutschland per Post zu, allerdings noch ohne angepriesene Funktion. Nur das Foto des Karteninhabers ist aufgedruckt. Angesichts der Kosten in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro eine magere Ausbeute, auch wenn die Kassen hoffen, so die jährlich entstehenden Kosten durch Mißbrauch in Höhe von rund einer Milliarde Euro - das Gesundheitsministerium spricht von 300 Millionen Euro - stark zu reduzieren. Immerhin ist auch der Mikrochip auf der neuen Karte eingebaut, allerdings noch nicht einsetzbar, da sich vor allem die Ärzte weigern, die technische Ausrüstung (einmalig etwa 3000 Euro) anzuschaffen, ohne daß sie dadurch einen Mehrwert erreichen können. Während also Kassen durch mehr Effizienz bei Behandlungen zumindest auf Ausgabenreduzierung in der Zukunft hoffen können, sehen die Ärzte für sich keine wirtschaftlichen Vorteile. Zudem müssen sie ihr Personal schulen, damit es weiß, wie es die Möglichkeiten nutzt und die Daten speichert. Außerdem fürchten sie, so verstärkt kontrolliert werden zu können. Besonders auf dem Thema Datenschutz hacken sie gerne herum, dabei ist dieses System mit Geheimnummern noch sicherer als EC-Karten am Geldautomaten - wenn die Ärzte die ihnen zugänglichen Informationen so schützen wie Banken das Bankgeheimnis.

 

Zeitzeugen

Elisabeth Schwarzhaupt - Die in Frankfurt am Main 1901 geborene und 1986 gestorbene Christdemokratin war von 1961 bis 1966 der erste Bundesminister für das Gesundheitswesen. Daneben war die promovierte Juristin auch die erste Bundesministerin.

Horst Seehofer - Der Christsoziale und derzeitige Minister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz war ab 1992 der letzte Bundesminister für Gesundheit der christliberalen Koalition. Der 1949 in Ingolstadt geborene Sohn eines Lastwagenfahrers und Bauarbeiters machte nach der Mittleren Reife eine Ausbildung in der Verwaltung. Bis 1980 arbeitete er in den Landratsämtern in Ingolstadt und Eichstätt. Daneben war er von 1974 bis 1980 Geschäftsführer des Planungsverbandes und Rettungszweckverbandes Region Ingolstadt.

Ursula „Ulla“ Schmidt - Die Sozialdemokratin kam 1949 in Aachen zur Welt. Nach dem Abitur studierte sie an der Technischen Hochschule Aachen Psychologie und wurde an der dortigen Pädagogischen Hochschule zur Grund- und Hauptschullehrerin ausgebildet. Nach dem ersten und zweiten Staatsexamen arbeitete sie bis 1985 an der Schule für Lernbehinderte in Stolberg als Lehrerin für Sonderpädagogik und für Rehabilitation lernbehinderter und erziehungsschwieriger Kinder. Seit 2001 ist sie amtierende Bundesministerin für Gesundheit. Von 2002 bis 2005 war sie zusätzlich für Soziale Sicherung zuständig.

Gerda Hasselfeldt - Die christdemokratische Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages war, nachdem sie das Ressort Raumordnung, Bauwesen und Städtebau an die FDP hatte abtreten müssen, ab 1991 Bundesgesundheitsministerin. 1992 trat sie aus gesundheitlichen Gründen zurück.

Andrea Fischer - Die Grüne war die erste Gesundheitsministerin der rot-grünen Koalition. Im Gefolge der BSE-Krise trat sie 2001 gemeinsam mit dem Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke zurück. Die 1960 im westfälischen Arnsberg geborene Offsetdruckerin und Volkswirtschaftlerin arbeitet heute unter anderem als Publizistin und Public-Relations-Beraterin in Berlin. Seit 2001 ist sie Schirmherrin des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener.


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