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20.10.07 / Szenen aus der Provinz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-07 vom 20. Oktober 2007

»Moment mal!«
Szenen aus der Provinz

von Klaus Rainer Röhl

Man sollte nicht immer, wenn man nach Danzig oder Warschau will, das Flugzeug nehmen. Wenn es auch nur eine Stunde dauert und manchmal auch billig ist. Aber man sieht nichts und man versteht nichts. Wenn man, von Berlin kommend, mit dem Bus unterwegs ist, zusammen mit anderen Heimweh-Touristen auf dem Weg nach Ostpreußen, und die riesigen Konturen der Marienburg vor sich auftauchen sieht, diese heute noch imposante, backsteingewordene Machtdemonstration des Deutschen Ritterordens, dann ist man, bei glatter Grenzkontrolle und kleinen Pausen, acht Stunden unterwegs gewesen, und bis Königsberg sind es noch mal vier Stunden: In den zwölf Stunden Fahrt durch Deutschland, durch deutsche Dörfer, kleine Städte, mit ähnlich klingenden polnischen Namen benannt (Elblag statt Elbing, Szeszin statt Stettin), vorbei an von Deutschen gebauten Kirchen, Straßen, Alleen, Brücken, Schlössern, Burgen, Rathäusern, liebevoll restauriert, fühlt man sich wie in der Vergangenheit. Wenig neue oder großartige Bauwerke entstanden in 44 Jahren Sozialismus und in noch einmal 18 Jahren subventioniertem Kapitalismus. Die Straßenbilder erinnern an die ehemalige DDR (auch eine Kriegsbeute der Sowjets) nach der Wende, nach 44 Jahren wirtschaftlichem Leerlauf. Jetzt sieht die polnische Provinz aus wie Mecklenburg-Pommern kurz nach der Wende: Coca-Cola allüberall, Lidl, Aldi, Ikea, Spar, VW, Toyota, Mercedes, die Banken und die großen Hotelketten und viele kleine Pensionen. Besuchen Sie das schöne Polen mit seinen herrlichen alten Alleen und schönen Backsteinkirchen und Städten!

Wollen wir da wieder hin? Wollen wir das Land und seine zersiedelten Dörfer und vernachlässigten Felder wiederhaben? Die Stimmung im Bus war absolut eindeutig: Nein. Die von den Kaczynski-Brüdern und ihren rechtsradikalen Koalitionspartnern von der Bauernpartei und der rechtsradikalen „Liga der polnischen Familien“ immer wieder gegen die deutschen Vertriebenen aufgehetzten Bauern und Pächter mögen ruhig weiter das Land bewohnen, in dem sie nun schon seit drei Generationen leben. Das wissen sie auch. So dumm kann auf die Dauer kein polnischer Bauer sein, daß er sich gegen das heutige Deutschland in Stellung bringen läßt. Der Zug ist abgefahren. Die Polen gehören zu Europa. Sie sind bei aller nationalen Eigenständigkeit ein Teil der EU, eine Provinz, eine in vieler Hinsicht etwas zurückgebliebene Provinz allerdings. Viele von ihnen wollen, wegen der wirtschaftlichen Rückständigkeit und der schlechten Löhne, da raus, klar. Aber niemand von uns will da rein.

Kommenden Sonntag, am 21. Oktober, sind Wahlen in Polen. Die Partei Premierminister Jaroslaw Kaczynskis, die „Partei für Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), hat ihre Mehrheit verloren und muß vorfristig zur Neuwahl antreten. Noch einmal soll die antideutsche Stimmung das Provinzpublikum für die Kaczynski-Zwillinge gewinnen, wie einen letzten Joker zieht der Premier die deutsche Gefahr aus dem Ärmel und warnt immer wieder vor der „deutschen Übermacht“ in Europa. Die Millionen polnischen Landwirte und Hausbesitzer erschreckt die Regierung dadurch, daß sie 62 Jahre nach dem Krieg alle Eintragungen aus den alten deutschen Grundbüchern überprüfen und löschen läßt. Ein einmaliger, umständlicher und kostspieliger Vorgang, der natürlich bis ins kleinste Dorf zur Verunsicherung der Bevölkerung beiträgt und zu dem lange vergessenen Gefühl vieler polnischer Bauern und Hausbesitzer führt, eigentlich zu Unrecht deutsches Eigentum, wenn auch als Kriegsbeute, zu besitzen. Auf dem gleichen Niveau liegen Versuche, die Herausgabe der allgemein längst zurückgegeben „Beutekunst“ – deutsche Handschriften und Kunstwerke, die im Krieg in den deutschen Osten verlagert und in polnischen Archive und Museen eingegliedert worden waren – strikt zu verweigern, mit dem Hinweis auf den von Hitler angefangenen Krieg. Das Ziel ist deutlich erkennbar und wird auch von polnischen Publizisten und sogar Diplomaten beim Namen genannt: Verschlechterung der Beziehungen zu einem der wichtigsten und schließlich auch einflußreichen EU-Nachbarn. Stimmungsmache im polnischen Wahlkampf. Letzter Versuch war der Blitzbesuch des polnischen Präsidenten in Berlin.

Vorige Woche kam der Präsident und Zwillingsbruder Lech Kaczynski auf seiner Reise zum Gipfeltreffen nach Lissabon noch einmal für zwei Stunden in Berlin bei unserer Kanzlerin vorbei. Zum Mittagessen. Offizieller Anlaß: ein letztes Gespräch mit Angela Merkel über die noch bestehenden Vorbehalte Polens gegenüber dem Reformvertrag, der die EU-Verfassung ersetzen soll. Es geht dabei um die Möglichkeit einer Minderheit von EU-Mitgliedern, die Verwirklichung von Mehrheitsbeschlüssen wenigstens für einen gewissen Zeitraum hinauszuzögern. Obwohl bilaterale Verhandlungen gar nicht auf der Tagesordnung standen, signalisierte die polnische Seite im Vorfeld, daß man auch über die Entschädigungsklagen deutscher Vertriebener beim Europäischen Gerichtshof sprechen wolle, geführt von der „Preußischen Treuhand“, die dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorliegen und über die möglicherweise auch im Oktober entschieden wird. Seit längerer Zeit schon drängt Polen Berlin zu einer gemeinsamen Erklärung, der zufolge die Forderungen keine Rechtsgrundlage besitzen.

Die Kanzlerin hat bisher jedesmal strikt abgelehnt, weil sie der Ansicht ist, daß die Bundesregierung weder politisch noch juristisch Raum für solche Ansprüche sieht. Also die Notwendigkeit für eine solche Erklärung nicht besteht, die der Entscheidung von Straßburg vorgreifen und nur die deutschen Vertriebenen verärgern würde, die schon zu lange auf die ihnen fest zugesagte Einrichtung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ warten, das nun offenbar bis nach der polnischen Wahl aufgeschoben werden soll.
Kaczynskis Möglichkeiten, Angela Merkel und dem übrigen EU-Mitgliedern Schwierigkeiten und Ärger zu machen, sind viele. In erster Linie geht es um die Drohung Polens, den weiteren Reformprozeß und die Europäische Verfassung durch ein Veto zu verhindern oder doch zu verschieben.

Den Wahlkampf um die polnische Provinz müssen Zwilling Jaroslaw Kaczynski und seine Partei ohne Frau Merkels Hilfe bestehen. Die Großstädte wie Danzig, Warschau und Breslau wählen die
Kaczynski-Partei und seine obskuren Partner ohnehin nicht. Aber auch in der Provinz bröckelt sein Wählerreservoir ab. Zu viele Polen haben inzwischen durch eigene Anschauung die Nützlichkeit und Annehmlichkeit einer EU-Mitgliedschaft selber erfahren, besonders jene, die seit dem EU-Beitritt zumindest in Irland, England und Schweden, Arbeit suchten und fanden – in Deutschland leben ohnehin Millionen, die ihre Heimat meist nur noch besuchen und ihr Wissen über das Leben in der EU in ihrer Heimat verbreiten. Sie haben noch nie einen Vertriebenen gesehen, der dem Klischee der rechts-katholischen oder nationalistischen Blätter (Frau Steinbach in SS-Uniform und dergleichen) entspricht. Es kehrt, zusammen mit Shell, Lidl und Ikea, auch in die Provinz so etwas wie Weltläufigkeit ein, der Kirchenbesuch geht zurück gegenüber dem Wunsch, Sonntagfrüh auszuschlafen, und auch polnische Frauen treiben ab, ohne sich sogleich sündig zu fühlen. Auch in der Provinz herrscht nicht mehr das Klima, in dem Jaroslaw Kaczynski wieder eine Mehrheit erringen kann. Hoffen wir.

Hofft auch der große Danziger und deutsche Dichter Günter Grass, der in einem Interview in seiner Heimatstadt letzte Woche auf die Frage antwortete, was er von der national-konservativen Regierung Kaczynski halte:

„Ich halte sie für ein Unglück. Sie ist dabei, Polen zu isolieren, auch innerhalb der Europäischen Union. Ich hoffe, daß sie jetzt abgewählt wird. Bei allem Verständnis für die Angst der Polen ihren beiden Großnachbarn gegenüber – Deutschland und Rußland – ist es falsch, nur aus der geschichtlichen Erfahrung heraus eine solche Haltung einzunehmen. Polen fällt es schwer, aus dieser Opferrolle herauszukommen. Polen ist heute auf dem Weg, ein gegenwartsbezogener Staat zu sein, nachdem die Sowjetherrschaft zusammengefallen ist. Es erlebt zum ersten Mal diese Art von Freiheit, und das im europäischen Verbund. Und wenn man dann anfängt, die Verletzungen der Vergangenheit derart zu aktivieren und zu instrumentalisieren, wie das die gegenwärtige Regierung tut, dann bringt das die Gefahr mit sich, daß sich Polen auf die Dauer isolieren wird.“
Groß ist nicht alles, was ein großer Mann tut. Aber manchmal hat mein Schulkamerad aus Danzig-Langfuhr auch recht.

Weise Worte eines 80jährigen: Günter Grass liebt seine Geburtsstadt Danzig, doch die Kaczynskis sind ihm fremd. Foto: eastway


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