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20.10.07 / Startschuß zur Verkabelung / Vor 130 Jahren wurde in Deutschland das erste Ortsgespräch geführt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-07 vom 20. Oktober 2007

Startschuß zur Verkabelung
Vor 130 Jahren wurde in Deutschland das erste Ortsgespräch geführt
von Klaus J. Groth

Mit dem Ding kann man im Internet surfen, Musik hören – und auch telefonieren. Es wird „iPhone“ genannt und gilt momentan als heißeste Nummer der Mobilfunkgeräte. Dabei kann es noch nicht einmal fotografieren, was doch von jedem Handy heute zu erwarten ist. Zur Einführung des iPhones wurde in Berlin ein mächtiger Medienwirbel entfacht, aber in Wahrheit war es eine Lachnummer, verglichen mit der Spannung beim ersten Telefongespräch, das in Berlin geführt wurde. Das ist nun genau 130 Jahre her.

Am 14. Februar 1876 hatte Alexander Graham Bell sein Patent für den ersten brauchbaren Fernsprechapparat in Amerika angemeldet, nur zwei Stunden vor seinem Konkurrenten Elisha Gray. Das Telefon hatte viele Väter, die um die Vaterschaft stritten. Bell mußte über 600 Patentprozesse führen, ehe seine Rechte anerkannt wurden.

Zwei seiner Telefonapparate hatte Bell im Reisegepäck, als er 1877 auf Hochzeitsreise England besuchte. Diese beiden Apparate verschaffte sich Generalpostmeister Heinrich von Stephan. Er ließ in Berlin eine Leitung zum Generaltelegrafenamt in der Französischen Straße verlegen. Über diese Leitung wurde am 26. Oktober 1877 das erste Ortsgespräch geführt. Seither gilt dieser Tag als der Geburtstag der Telefonie in Deutschland.

Nur für den Dienstgebrauch – so läßt sich der erste Einsatz der Telefone überschreiben. Es gab wenige Apparate, und die Übermittlung konnte keineswegs als sicher gelten. Dennoch wurden bereits im November des selben Jahres die ersten Telefone installiert. Sie verbanden das Postamt Friedrichsberg mit der Reichstelegrafenanstalt Rummelsburg, das ersparte die Boten. Bis zum Ende des Jahres wurden 18 weitere Postämter ausgestattet.

Heinrich von Stephan allerdings wollte von Beginn an mehr: Er wollte Telefone für alle! Nur vier Tage nach dem ersten Ortsgespräch, also am 30. Oktober 1877, schrieb Werner von Siemens an seinen Bruder: „Stephan hat vor, jedem Berliner Bürger womöglich ein Telephon zu jedem anderen zur Disposition zu stellen.“

Noch waren nur wenige Menschen in diese Pläne eingeweiht. Je mehr es wurden, desto größer wurde die Zahl derer, die Stephan für absolut verrückt erklärten. Sie sahen sich bestätigt, als Stephan bereits am 2. Januar 1878 die Polizei und den Magistrat von seiner Absicht informierte, überall „an den Häusern Drahtleitungen zu befestigen, die eintretendenfalls auch die Straßen kreuzten und die mit Fernsprechern betrieben, Kontors, Geschäftsräume usw. an ein Verkehrsamt bei der Postverwaltung anschließen sollen.“

Mit Tempo schuf Stephan übrigens Tatsachen mit weitreichenden Folge. Er wimmelte private Anbieter ab, die die Chance eines privaten Leitungsnetzes erkannt hatten, auch die Bell Telephone Company. Stephan wollte das entstehende Netz unter deutscher Verwaltung wissen. Darum erklärte er die Fernsprecher zu Telegrafen im Sinne des Reichsgesetzes, somit unterstünden sie der Reichspost. Ein dementsprechendes Gesetz wurde allerdings erst 1892 erlassen.

Beim Aufbau des Netzes stießen die Techniker allerdings bald auf Probleme, die sie zuvor nicht bedacht hatten. Die Last der Drähte wurde insbesondere in der Nähe der Vermittlungsstellen zu groß, die Dachständer brachen zusammen. Um Gewicht zu sparen, mußte immer feinerer Leitungsdraht entwickelt werden.
Das Publikum zeigte sich zurückhaltend. Obwohl eigens zwei Agenten um Telefonkunden warben (einer von ihnen war Emil Rathenau, der spätere Gründer der AEG, ein tatkräftiger Mann also), blieb der Erfolg eher bescheiden: Bis 1880 meldeten sich in Berlin 94 Teilnehmer, in Stuttgart nahmen von 1300 angeschriebenen Interessenten lediglich 25 das Angebot an.

Dennoch, am 12. Januar 1881 ging es versuchsweise mit acht Teilnehmern mit den Ortsgesprächen los. „Hier Amt, was beliebt?“, das waren die ersten in einen öffentlichen Fernsprecher gesprochenen Worte – nicht gerade weltbewegend, aber doch überliefert. Als dann am 1. April 1881 offiziell die „Stadtfernsprecheinrichtung“ in Berlin den Betrieb aufnahm, hingen lediglich 48 Teilnehmer am Netz. Da waren die Hamburger fixer, sie überflügelten die Berliner mit 94 Teilnehmern.

Dennoch, die Leitungen waren knapp und das Personal in den Vermittlungen deshalb zu knappen Anweisungen angehalten. War eine Leitung bereits besetzt, lautete der dienstlich verordnete Ansagetext: „Schon besetzt, werde melden, wenn frei!“

Das Berliner Telefonbuch von 1881, das 94 Teilnehmer aufführte und im Volksmund das „Buch der 94 Narren“ genannt wurde, empfahl in seiner Gebrauchsanweisung den Telefonkunden: „Im gegenseitigen Interesse sämmtlicher Betheiligten ist es dringend erwünscht, die Zeit der Benutzung jeder einzelnen der verlangten Verbindungen möglichst abzukürzen.“ Später wurde daraus ein knappes amtliches „Fasse Dich kurz!“

Telefoniert werden konnte von 8 Uhr bis 21 Uhr. Billig war das nicht. Bei weniger als zwei Kilometer Anschlußleitung war eine Gebühr von 200 Mark im Jahr fällig. Jeder weitere Kilometer kostete 50 Mark mehr. Wer sich trotz der nicht unbeträchtlichen Kosten zu einem Telefon durchgerungen hatte, der tat es per Anzeige kund, so wie der Buchbindermeister F. W. Poppenworth 1885: „Hiermit die ergebene Mittheilung, daß ich bei der hiesigen Fernsprech-Einrichtung unter No 2192 angeschlossen bin. In der Voraussetzung, daß auch Sie die große Nützlichkeit des ‚Klangstricks‘ erkannt haben, bitte ich Sie, sich im gegebenen Falle der ‚Schall-Maschine‘ freundlichst zu bedienen und werde ich dann nicht ermangeln, Ihnen durch die ‚Quasselstrippe‘ meine Bereitwilligkeit, Sie pünktlichst und solide bedienen zu wollen, in das Ohr zu sagen.“

Wer sich einen Fernsprecher zugelegt hatte, der wähnte sich vollkommen auf der Höhe der Zeit, seinen Mitmenschen um Meilen voraus. Dabei dachte noch kein Mensch daran, wirklich in die Ferne zu sprechen. Die Fernsprecher waren nur auf Ortsgespräche ausgelegt. Mehr brauchte kein Mensch. „Es besteht kein Bedürfnis, mit Nachbarorten Ferngespräche abzuwickeln“, gaben mehrere Großfirmen bei einer Befragung an. Die Techniker der Reichspost sahen das anders, sie suchten nach Möglichkeiten, auch eine Verbindung zwischen einzelnen Orten herzustellen. Verbesserte Fernsprecher von Siemens waren 1883 in der Lage, ein Gespräch über eine Distanz von 75 Kilometern zu ermöglichen. Und so wurden 1883 die ersten Fernverbindungen geschaltet, beispielsweise zwischen Hamburg und Altona, Hamburg und Wandsbek, Hamburg und Harburg, Berlin und Potsdam, Bremen und Bremerhaven.

Alle Gespräche vermittelte das „Fräulein vom Amt“ stöpselnd von Hand. Doch schon früh wurde mit automatischen Wählvermittlungsstellen experimentiert. Der Beerdigungsunternehmer Almon B. Strowger nämlich hatte das Fräulein vom Amt im Verdacht, gegen Bestechungsgeld Gespräche absichtlich falsch zu verbinden, wodurch die ihm zugedachten Sterbefälle bei der Konkurrenz landeten. Ob die verdächtigte Klingelfee tatsächlich korrupt war, wurde nicht geklärt, aber der verärgerte Strowger erfand in seinem Zorn die erste Wählvermittlung. Die funktionierte allerdings vorerst nur im Ortsverkehr, für einen Bestattungsunternehmer vollkommen ausreichend. Ferngespräche stöpselte die Klingelfee unverdrossen weiter.

Erst 1923 schaltete man in Weilheim eine aus drei Ortsnetzen bestehende Gruppe zusammen. Doch diese Art von Fernvermittlung blieb in Deutschland vorerst auf Bayern beschränkt. Noch 1950 wurden erst 9,3 Prozent aller Inlandgespräche automatisch vermittelt. Und 100 Prozent sind erst seit 1972 erreicht, also seit gerade mal 35 Jahren!

Mit der Einführung der automatischen Fernwahl war dann endgültig Schluß mit der Handvermittlung. Und einen Witz wie diesen, den eine Zeitschrift in der Anfangszeit des Telefons veröffentlichte, den konnte man nun nicht mehr erzählen, weil die Pointe nicht verstanden wurde: „Der Chef eines Irrenhauses war von leicht erregbarer Natur und hatte immer Kämpfe am Telephon. Einmal konnte er wieder keine Verbindung bekommen, schlug Krach, schimpfte auf die Post, bekam vom Telephonfräulein eine Zurechtweisung und sagte empört: ‚Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie sprechen?‘ ‚Nein‘, kam die Stimme vom Amt, ‚aber ich weiß, wo Sie sind.‘“

Strippen ziehen, bis der Dachträger bricht: Telefonarbeiter auf Berlins Dächern Foto: Archiv


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