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27.10.07 / Leistungswillige brüskiert / Becks Strategiewechsel führt die SPD in die Irre

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-07 vom 27. Oktober 2007

Leistungswillige brüskiert
Becks Strategiewechsel führt die SPD in die Irre
von Hans Heckel

Mit dem Einlenken von Franz Müntefering gegenüber der Anti-Agenda-Politik von SPD-Chef Kurt Beck ist der Linksschwenk der Sozialdemokraten besiegelt. Schlechte Umfragewerte und schwindende Mitgliederzahlen hätten die Parteispitze bewogen, das soziale Füllhorn auszupacken, heißt es allerorten. Doch ist es längst nicht bloß der bange Blick auf die Linkspartei, der die SPD in Richtung Umverteilungspartei treibt. Die Menge der Empfänger staatlicher Transfers aller Art übersteigt jene der arbeitenden Beitragszahler in Deutschland deutlich. Mehrheiten gewinnt man, so das offenkundige Kalkül von Kurt Beck, indem man die Transferempfänger bedient. Entlastungen der Beitragszahler werden zweitrangig.

Auch in der Mitgliederbasis der SPD haben die Beitragszahler eine immer schlechtere Position: 43 Prozent der nur noch 545000 Genossen sind über 60, also bereits Ruheständler oder kurz davor. Nur noch acht von 100 Sozialdemokraten sind unter 35. Der Anteil der Arbeiter in der alten Arbeiterpartei hat sich von Mitte der 90er Jahre bis zur Mitte dieses Jahrzehnts glatt halbiert.

Unter den berufstätigen Sozialdemokraten geben wiederum Beamte (elf Prozent) und Angestellte des öffentlichen Dienstes den Ton an – die Verwalter und Verteiler der staatlichen Transfers also.

Die eingeleitete Abkehr von der Agenda 2010 scheint da aus Sicht der SPD-Spitze taktisch erfolgversprechend. Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands kommt dabei unter die Räder. So heikel die finanzielle Situation von Millionen Leistungsempfängern mittlerweile geworden ist – man denke nur an die Rentenentwicklung der vergangenen Jahre oder die Enteignung älterer Hartz-IV-Empfänger wegen der knapp bemessenen Höhe der Ersparnisse, die sie aufbrauchen müssen, ehe die Unterstützung fließt –, wer die Beitragszahler immer weiter belastet, gräbt dem Land die wirtschaftliche Basis ab. Die jüngste OECD-Studie belegt, daß die Sozialabgabenbelastung deutscher Arbeitnehmer anderthalbmal so hoch liegt wie im Durchschnitt der führenden Industrieländer. Die relative Ähnlichkeit der Bedingungen in den 30 OECD-Ländern macht Vergleiche besonders aussagekräftig.

Nicht wenige junge, leistungsbereite deutsche Auswanderer geben hohe Steuern und Abgaben als einen wesentlichen Grund dafür an, daß sie Deutschland den Rücken kehren – in einem Land mit derart prekärer Altersstruktur ein auf Dauer nicht verkraftbarer Aderlaß.

Für die SPD selbst ist Becks Kehrtwende überdies keineswegs die „Rückkehr“ zu den Traditionen der Partei, wie dies der SPD-Chef und seine Gefolgsleute gern glauben machen wollen, sie ist das genaue Gegenteil: Die SPD war stets die Partei der leistungs- und aufstiegswilligen Arbeitnehmer. Seit ihrer Gründung war es ihr Bestreben, der arbeitenden Bevölkerung einen gerechten Anteil an den Früchten ihres Schaffens zu sichern. Der ambitionierte Facharbeiter bildete das starke Rückgrat der Partei. Die Agenda-Formel „Fördern und Fordern“ stand seit jeher hinter dem Streben der SPD. Arbeitslose und Randständige, die am Arbeitsprozeß nicht teilhaben konnten, weil sie keine Arbeit fanden, sollten gefördert werden. Die, die nicht teilhaben wollten, aber bekamen von den stolzen Sozialdemokraten gar den verächtlichen Titel des „Lumpenproletariats“ umgehängt. Fürsorge ohne die Forderung nach eigener Anstrengung galt nur den Kindern, Alten und schuldlos Hilfsbedürftigen.

Franz Müntefering steht somit nicht für den kaltherzigen Abschied von sozialdemokratischer Tradition, im Gegenteil: Gerade er hielt die Fahne hoch, unter der die SPD seit ihrem Bestehen vorangeschritten ist. Schon 1996 stellte der heutige Vizekanzler klar: „Zum Sozialstaat gehört die Selbstverantwortung des einzelnen. Es gehört zur Würde und Freiheit des Menschen, daß nicht der Staat alles für ihn erledigt. Der Staat muß die Rahmenbedingungen schaffen, damit der einzelne Verantwortung übernehmen kann.“

Der Ruf nach dem „Staat, der alles erledigt“, gehörte seit jeher zum Repertoire der Kommunisten. Der zum Bürger, vom Besitzlosen zum Besitzenden aufgestiegene ehemalige Proletarier war den Dunkelroten ein Dorn im Auge, weil verloren für die „Sache der Revolution“. Deshalb reden die Linksradikalen denen nach dem Munde, die die persönliche Verantwortung des Bürgers ablehnen und nach dem allsorgenden Staat rufen. Wirtschaft und arbeitende Gesellschaft über den Rand ihrer Möglichkeiten zu belasten, kommt den Linksaußen dabei sogar entgegen, ist ihr Endziel doch ohnehin die „Überwindung des kapitalistischen Systems“. Dies kann auch durch die Überforderung des Sozialstaats erreicht werden.

Für die SPD jedoch muß dieser Weg in die Irre führen, nicht allein aus dem Blickwinkel der Verantwortung für das Land und seine Menschen, auch aus parteistrategischer Sicht. Nie werden Sozialdemokraten derart hemmungslos linkspopulistische Politik fordern können, wie es die geborenen Linkspopulisten ob ihrer genuinen Verantwortungslosigkeit für „dieses System“ vermögen. Lafontaine, Gysi und Gefolge werden dies Beck bald beweisen, indem sie sämtliche SPD-Forderungen nach noch mehr Umverteilung zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung jeweils noch überbieten werden durch noch maßlosere Postulate.

Foto: Unvereinbar: Müntefering stetzt auf Selbstverantwortung, Beck blockiert.

 

Zeitzeugen

Ferdinand Lassalle – Der Journalist, Schriftsteller und Politiker kam 1825 in Breslau zur Welt und starb 1864 in Carouge nahe Genf. Nicht unbedingt typisch für einen Arbeiterführer ist, daß er bei einem Duell mit dem rumänischen Adligen Bajor Janko von Racowicza starb.

Kurt Schumacher – Der Preuße kam 1895 im westpreußischen Kulm zur Welt und starb 1952 in Bonn. Der Vorsitzende der SPD von 1946 bis 1952 sowie Vorsitzende der SPD-Fraktion und Oppositionsführer von 1949 bis 1952 war in mancher Hinsicht nicht unbedingt typisch für einen Sozialdemokraten. Er war national gesinnt. Er haßte die Kommunisten. Und er setzte auf den Staat. „Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie“ lautet der Titel seiner programmatischen Dissertation.

Willy Brandt – Der eigentlich Herbert Ernst Karl Frahm heißende Exilant während des Zweiten Weltkrieges kam 1913 in Lübeck zur Welt und starb 1992 in Unkel am Rhein. Einerseits war seine von 1969 bis 1974 dauernde Kanzlerschaft mit der programmatischen Aussage, mehr Demokratie wagen zu wollen, mit vielen Hoffnungen linksintellektueller 68er verbunden. Andererseits fällt in seine Amtszeit als Bundeskanzler der Extremistenerlaß. Von 1964 bis 1987 war der Politiker SPD-Vorsitzender, von 1976 bis 1992 Präsident der Sozialistischen Internationale.

Gerhard Fritz Kurt Schröder – Der deutsche Bundeskanzler von 1998 bis 2005 kam 1944 in Mossenburg, Kreis Lippe zur Welt. Sein Werben galt erklärtermaßen der sogenannten neuen Mitte. Statt für eine soziale Hängematte sprach er sich für einen Sozialstaat aus, der sozial Schwache nicht nur fördert, sondern auch fordert. Diesem Ziel sollte die in seine Kanzlerschaft fallende Agenda 2010 mit den Hartz-Gesetzen dienen.

Erich Ollenhauer – Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1952 bis 1963 kam 1901 in Magdeburg zur Welt und starb 1963 in Bonn. Sein Streben, aus der sozialistischen Arbeiter- eine Volkspartei zu machen, konnte er 1959 mit dem Godesberger Programm krönen.


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