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27.10.07 / Unwiderstehliches Nickerchen / Ob im Büro oder im Auto: Narkoleptiker leiden an plötzlichen Schlafattacken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-07 vom 27. Oktober 2007

Unwiderstehliches Nickerchen
Ob im Büro oder im Auto: Narkoleptiker leiden an plötzlichen Schlafattacken
von Haiko Prengel

Als Ernst-Friedrich Breuhaus noch Beamter war, lag in seinem Büro stets eine aufgeblasene Luftmatratze hinter dem Aktenschrank. „Ich mußte regelmäßig meine Siesta halten“, sagt der 76jährige Pensionär aus Solingen. Was nach einem schlechten Beamtenwitz klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Der Rheinländer ist seit seiner Jugend Narkoleptiker und leidet unter unvermeidbaren Schlafattacken. Die können einige Sekunden, aber auch mal eine halbe Stunde dauern.

Rund 40000 Bundesbürger sind von dieser unheilbaren Störung der Schlaf-Wach-Regulation betroffen, erläutert Breuhaus, der heute Vize-Vorsitzender der Deutschen Narkolepsie-Gesellschaft ist. In der Bevölkerung ist die Krankheit weitgehend unbekannt. Arbeitgeber reagieren daher meist wenig verständnisvoll auf die spontanen Nickerchen: „Für Narkoleptiker gehören Spott und Hohn zum Alltag“, betont Breuhaus. Viele würden als Schlafmütze, Faulpelz oder Simulant beschimpft.

Dabei haben die Betroffenen überhaupt keinen Einfluß auf ihre massive Tagesschläfrigkeit. „Patienten mit einer Narkolepsie schlafen gegen ihren Willen ein, vor allem bei monotonen Situationen“, sagt Peter Geisler, Neurologe im Schlaflabor der Psychiatrischen Universitätsklinik Regensburg. Dafür kommen sie dann in der Nacht häufig nicht zur Ruhe. Denn Narkoleptiker haben kein allgemein erhöhtes Schlafbedürfnis, lediglich ihre Schlafrhythmik ist gestört.

Unterdrücken die Betroffenen ihre Müdigkeit, erhöht sich ihre Anfälligkeit für so genannte Kataplexien. Sie ähneln vom Erscheinungsbild einem Krampfanfall und werden durch starke Emotionen ausgelöst: „Die Patienten verlieren plötzlich ihre Muskelspannung und sind wie gelähmt“, erklärt Geisler. Dem einen fällt die Kaffeetasse aus der Hand, dem anderen werden die Knie weich und er stürzt zu Boden.

Diese Muskellähmung ist die gleiche, wie sie auch in der sogenannten REM-Schlaf-Phase auftritt. Diese Tiefschlafphase durchlaufen gesunde Menschen mehrmals in der Nacht. Sie liegen dann ebenfalls wie gelähmt im Bett. Narkoleptikern passiert das am helllichten Tag und bei vollem Bewußtsein.

Die Beeinträchtigungen im Alltag sind für die Betroffenen erheblich. Auch in den denkbar ungünstigsten Situationen können sie einem Müdigkeitsanfall nicht widerstehen. Wer als Berater oder Bankangestellter regelmäßig im Kundengespräch einnickt, ist praktisch berufsunfähig. Kommen die Schlafattacken am Steuer eines Autos, besteht gar Lebensgefahr.

„Wer kein soziales Umfeld hat, in dem er Rückhalt findet, rutscht häufig in Depressionen ab“, unterstreicht Breuhaus. Er rät Betroffenen, mit Familienmitgliedern und Kollegen offen über die Krankheit zu sprechen, um Mißverständnisse zu vermeiden. Darüber hinaus empfiehlt er, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, in der sich Patienten untereinander austauschen.

Den Ursachen der Narkolepsie sind Wissenschaftler noch nicht vollständig auf die Spur gekommen. Sicher ist, daß es sich um keine psychische Krankheit, sondern um einen organischen Defekt handelt, der in manchen Fällen vererbbar ist. „Narkoleptikern fehlt das Hypocretin, ein bestimmter Botenstoff im Gehirn“, erklärt Neurologe Geisler. Hypocretin wird bei gesunden Menschen im Hypothalamus gebildet und sorgt dafür, daß Schlaf- und Wachzeiten zur rechten Zeit auftreten.

Wissenschaftler suchen noch nach einem Weg, das Hypocretin zu ersetzen und Narkolepsie damit heilbar zu machen. Derzeit gibt es lediglich Medikamente, welche die Symptome unterdrücken oder abschwächen können. „Darunter sind wachheitsfördernde Amphetamine sowie Ritalin, das sonst bei hyperaktiven Kindern zum Einsatz kommt“, sagt Geisler. Bei einer Neigung zu Kataplexien helfen Antidepressiva, die als Nebenwirkung die Muskellähmung im REM-Schlaf unterdrücken.

 

Was ist Narkolepsie?

Narkolepsie ist gekennzeichnet durch übermäßige Tagesschläfrigkeit. Der unwiderstehliche Schlafdrang setzt auch zu unpassender Zeit ein. Die Schlafattacken haben nichts mit Unausgeschlafenheit zu tun und lassen sich daher auch mit viel Schlaf nicht beheben. Die vier häufigsten Symptome sind übermäßige Tagesmüdigkeit, Kataplexie (plötzliche Lähmung der Muskeln im Wachzustand), Muskellähmungen beim Einschlafen oder Aufwachen (Schlaflähmung) sowie Halluzinationen kurz vor dem Einschlafen oder im Halbschlaf. Die Symptome können sich über mehrere Jahre entwickeln oder plötzlich und ohne Vorankündigung auftauchen. Bei folgenden Auffälligkeiten sollten Patienten grundsätzlich einen Arzt konsultieren: Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit oder Arbeitsfähigkeit sowie mangelnde Ausdauer bei der Verrichtung alltäglicher Routinearbeiten. Ärztliche Hilfe ist auch erforderlich, wenn sich die Symptome negativ auf persönliche Beziehungen und soziale Aktivitäten auswirken.       (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin)

Foto: Büroschlaf ist gesund: Nicht jeder ist ein Faulpelz, der sich ein Nickerchen gönnt.


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