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03.11.07 / Er soll Ordnung ins Chaos bringen / Donald Tusk: Was kann der Mann, den die Polen den Kaczynskis vorgezogen haben?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-07 vom 03. November 2007

Er soll Ordnung ins Chaos bringen
Donald Tusk: Was kann der Mann, den die Polen den Kaczynskis vorgezogen haben?
von Wolf Oschlies

Oppositionen gewinnen keine Wahlen, Regierungen verlieren sie – sagen Deutsche. Polen meinen, eine gewonnene Wahl sei wie eine abgeschlossene Doktorarbeit – sie muß verteidigt werden. Die polnischen Wahlen vom 21. Oktober haben beide Urteile bestätigt: Auf die Sekunde um 22.55 Uhr stand am Wahlabend fest, daß die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) der oppositionellen „Bürgerplattform“ (PO) erdrutschartig unterlegen war. PO-Chef Donald Tusk muß diesen Sieg nun verteidigen, was er schon in der Wahlnacht nicht konnte. Seine Dankesrede war reich an Emotionen und arm an Konzeptionen. Das mögen solche spontanen Reden ans Wählervolk so an sich haben, aber die Probleme des Donald Tusk liegen tiefer.

Weder Tusk noch irgendein Pole können sagen, was das Programm der PO ist. Daniel Passent, seit Jahrzehnten „enfant terrible“ der polnischen Publizistik, hatte schon vor der Wahl anzüglich gefragt, ob die PO eine „PiS light“ oder „PiS bis“ (Zugabe) sein werde, da sie sich in buchstäblich keiner Frage von der PiS „wesentlich zu unterscheiden vermag“. Schlimmer noch: Wo Tusk im Wahlkampf gewichtige Unterschiede zur PiS herausstrich, redete er Unsinn: Polen ist kein Elendsland, wo „Millionen auf der Suche nach dem täglichen Brot ins Ausland fliehen“. Das EU-Mitglied Polen ist ein Boomland mit guter Konjunktur, geringem Haushaltsdefizit, rückläufiger Arbeitslosigkeit, niedriger Inflation, fast ausgeglichener Außenhandelsbilanz.

Donald Tusk wurde am 22. April 1957 in Danzig geboren. 1980 schloß er dort ein Geschichtsstudium ab – mit einer Magisterarbeit über Marschall Jozef Pilsudski, den Schöpfer des neuzeitlichen Polens. Bereits als Student engagierte er sich in oppositionellen Zirkeln, war für die „Solidarnosc“ tätig, gründete und leitete den „Unabhängigen Studentenverband Polens“. Im „Kriegszustand“, dem 1981 von einer Offiziers-Junta verhängten Zwangsregime, redigierte er Untergrundblätter und schlug sich bis 1989 als Monteur durch. 1989 gründete er mit anderen den „Liberal-Demokratischen Kongreß“, den er zwei Jahre später mit der „Demokratischen Union“ von Premier Tadeusz Mazowiecki zur „Freiheitsunion“ vereinigte. Mit dieser kamen erste Erfolge, 1997 wurde Tusk Vizepräsident des „Sejm“ (Parlament). 2000 verließ er die Union, um die PO zu gründen. Der Erfolg blieb ihm treu.

2005 kandidierte Tusk bei der Präsidentenwahl gegen Lech Kaczynski, den er in der ersten Runde klar schlug, um die zweite ebenso klar zu verlieren. Seine Gegner hatten eine Zugehörigkeit seines Großvaters zur deutschen Wehrmacht ausfindig gemacht und lärmend „ausgeschlachtet“, was den ahnungslosen Tusk wie ein Blitz traf und ihn den Sieg kostete. Noch in der Wahlnacht 2007 hat er darauf angespielt, nicht aber die Chance genutzt, ein für allemal Klartext zu reden. Tusk ist ethnisch kein Pole! Er ist Kaschube, gehört einer etwa 200000 Angehörige zählenden westslawischen Volksgruppe an, die rund um Danzig siedelt und dort zäh Sprache, Musik, Tradition und eigene Identität verteidigt. Jahrhundertelang standen die Kaschuben unter hartem Germanisierungsdruck, und nach Kriegsausbruch wurden Tausende von ihnen per „Volksliste“ ins deutsche Volkstum einverleibt und folglich auch zur Wehrmacht eingezogen. Nur der Fall von Großvater Jozef Tusk wurde 60 Jahre später zum Politikum aufgebläht – ein unfaires Foul, typisch für den Haudrauf-Stil der Kaczynskis, das Donald Tusk nie vergessen hat.

Der Wahlkampf sei „negativ“, „emotional“, „schmutzig“ gewesen, meinen polnische Kommentatoren. Die PiS begann ihn in Siegesgewißheit – fest auf den „geborenen Sieger“ Jaroslaw Kaczynski vertrauend … bis zum Streitgespräch im polnischen Fernsehen.

Im Internet ist die Debatte bei iTVP nachzuverfolgen, die es wert wäre, um ihretwegen Polnisch zu lernen! Nur eine gute Stunde dauerte die Debatte zwischen Kaczynski und Tusk, und danach haben wohl ungezählte Polen dem Verdikt von Lech Walesa zugestimmt, der urteilte, beide Kaczynskis seien „krank vor Dummheit“. In jedem Fall war die Wahl mehr als entschieden – sie fiel Tusk in den Schoß!

Was nun? Zunächst muß der neue Premier die außenpolitischen Scherben aufkehren, was so schwer nicht sein wird, da er sich mit Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski den denkbar besten Berater attachiert hat. Sodann stehen die bekannten Übel Polens zur Behebung an: Das Gesundheitswesen steht vor dem finanziellen Kollaps, das Rentensystem muß dringend reformiert werden, die aufgeblähte Staatsverwaltung schreit nach „Verschlankung“, das chaotische und ineffiziente Steuersystem soll endlich Geld einbringen, die Binnenverschuldung des Staates ist zurückzufahren, Wohnungs- und Straßenbau sind kräftig zu steigern und noch ungezählte Aufgaben mehr, die Polen erfüllen muß, wenn es 2012 den Euro einführen will.

„Am 21. Oktober hat in Polen definitiv das 20. Jahrhunderte geendet – jetzt weht der Wind aus dem Westen“, schrieben Kommentatoren. Das mag daran liegen, daß erstmals junge, nach 1989 geborene Erwachsene – frei von alten Vergangenheitsphobien – an die Wahlurne durften.


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