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03.11.07 / Eine Erfindung erobert die Welt / Plexiglas als Werkstoff in Architektur und Design ist Thema einer Ausstellung in Darmstadt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-07 vom 03. November 2007

Eine Erfindung erobert die Welt
Plexiglas als Werkstoff in Architektur und Design ist Thema einer Ausstellung in Darmstadt
von Silke Osman

Nun komm doch mal schnell, da ist es wieder. Schau doch mal, ist das nicht lustig. Der Mann kann es mit einer Hand auf der Straße drehen. Und wenn er drinnen sitzt, dann kann man seinen Kopf sehen wie in einer Glas-kugel. Und die Farbe, dieses Grün ...“ –„Das nennt man Türkis“, korrigierte die Mutter das aufgeregte Kind. „Ja, und zu diesem Ding sagt man auch Schneewittchensarg“, lächelte der Vater, der sich zu der Gruppe auf der Straße gesellt hatte. „In Wirklichkeit heißt das Auto aber Messerschmitt Kabinenroller KR 200. Ich find’s gut. Wenn man doch auch nur ein Auto hätte“, murmelte er leise vor sich hin. Aber die Zeiten waren noch längst nicht so, daß sich jeder ein Auto, und sei es auch noch so klein, leisten konnte ...

Das war vor mehr als 50 Jahren. Sieht das inzwischen sehr erwachsen gewordene Kind heute einen dieser Kabinenroller auf der Straße, dann schlägt sein Herz wieder genauso aufgeregt wie damals. Jetzt ist der „Schneewittchensarg“ ein sehr begehrter und beliebter Oldtimer und steht sogar im Museum. Zu sehen derzeit in einer Ausstellung im Museum Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt, wo eine Ausstellung zum Thema „Plexiglas® – Werkstoff in Architektur und Design“ gezeigt wird. Denn ohne diese Erfindung wäre die Konstruktion der legendären Haube gar nicht möglich gewesen.

Wie überhaupt viele heute als selbstverständlich angesehene Formen in Architektur und Design gar nicht hätten hergestellt werden können. Der „gläserne“ Flügel von Udo Jürgens, mit dem er auf seiner Show immer wieder seine Fans verzückt, durchsichtige Wasserrutschen in Vergnügungsparks, der Haifischtunnel in Loro Parque auf Teneriffa, von dem aus man die beeindruckenden Tiere ganz gefahrlos beobachten kann, das spektakuläre Dach des Münchner Olympiastadions, aber auch Butterdosen, Salatbestecke oder Kleinmöbel, Lampen und Plattenspieler (von denen der Phonosuper SK 4 der Firma Braun ebenfalls „Schneewittchensarg“ genannt wurde und heute zu den Kultobjekten der Sammlerszene zählt) – das alles wäre ohne die Erfindung der 1907 gegründeten Firma Röhm & Haas AG in Darmstadt nicht möglich.

Der Markenname Plexiglas® ist längst zum Oberbegriff für jedes Acrylglas geworden. 1933 zum Patent angemeldet, hat es seinen Siegeszug um die Welt angetreten. Vor allem im Zweiten Weltkrieg von der Flugzeugindustrie sehr begehrt, konnte man mit dem glasklaren und nahezu unzerbrechlichen Produkt doch vor allem die Flugzeugkanzeln ausstatten, wurde das Material nach 1945 zum Spiegel wechselnder Lebenskulturen. „Stets zeigt die Geschichte des Materials Plexiglas Design als Seismograph des Seins“, schreibt Ralf Beil, Direktor des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt, im Katalog zur Ausstellung. „Ausstellung und Publikation sind damit im besten Sinn programmatisch für die auf der Mathildenhöhe Darmstadt anvisierte Kulturproduktion – so wie auch das Zeitfenster vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute dem Schauplatz Mathildenhöhe, seiner Geschichte und Gegenwart entspricht.“

Was ist überhaupt Plexiglas? Kurz und laienhaft gesagt, ein transparenter Kunststoff, dessen Moleküle aus Atomen von Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff zusammengesetzt sind. Der Chemiker spricht auch von Polymethylmethacrylat (PMMA). Durch Erhitzen kann man den Kunststoff verformen und im fe-sten Zustand wie Holz oder Metall verarbeiten. Fertige Acrylglasplatten werden bei Temperaturen zwischen 150 und 175 Grad Celsius elastisch und lassen sich mittels Formpressen, Strecken, Biegen und Preßluft umgestalten. Schon früh erkannte man die Vorteile von Acrylglas gegenüber dem Silikatglas, war es doch leichter und bruchsicher. „Als während der Bayreuther Festspiele 1935 dank Winifred Wagners glänzender Kontakte zu den Machthabern des NS-Staates Aufträge der Luftwaffe zustande kommen, revanchiert sich die Röhm & Haas AG mit einer eigens hergestellten Taube – einem der ersten Gegenstände aus Plexiglas in Blockform. Brillant erleuchtet, erscheint sie 1936 in der Schlußszene der Bayreuther Parsifal-Inszenierung“, liest man im Katalog. Die sogenannte „Parsifal-taube“ (17 x 79 x 38 Zentimeter) ist denn auch als ein Glanzstück auf der Darmstädter Ausstellung zu bewundern, neben Schmuck, Musikinstrumenten oder Damenhandtaschen aus dem transparenten Material.

Die Ausstellung „Plexiglas® – Werkstoff in Architektur und Design“ im Museum Künstlerkolonie Mathildenhöhe Darmstadt, Olbrichweg 13, 64287 Darmstadt, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr zu sehen, Eintritt 5 / 3 Euro, bis 6. Januar; Katalog Wienand Verlag, Köln 2007, Texte in Deutsch und Englisch, 152 Seiten mit 73 farbigen und 21 sw Abb., geb., 39 Euro.

Foto: Messerschmitt Kabinenroller KR 200: Haube aus klarem Plexiglas


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