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10.11.07 / »Ein Wunderland, ein Götterland« / Auf den Spuren der Malerin Paula Modersohn-Becker in Worpswede

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-07 vom 10. November 2007

»Ein Wunderland, ein Götterland«
Auf den Spuren der Malerin Paula Modersohn-Becker in Worpswede
von Silke Osman

Die dunklen Augen, manchmal kritisch, manchmal prüfend aus dem Bild herausblickend, scheinen den Betrachter zu verfolgen. Ein dunkler Rand um die schweren Lider betont den prüfenden Blick merklich, man kann ihm schwerlich ausweichen. Plakate zieren ihn, in den Schaufenstern der Buchläden ist er zu entdecken, im Kulturteil der großen Tageszeitungen wird er abgebildet, dieser Blick, oder besser die Selbstporträts der Paula Modersohn-Becker. Kein Wunder, denn schließlich ist „Paula-Jahr“ in Deutschland.

Allerorten gedenkt man des 100. Todestages der Künstlerin aus Worpswede. Besonders aber in der kleinen Gemeinde im Teufelsmoor bei Bremen, wo die Künstlerin entscheidende Jahre ihres Lebens verbrachte. Für Kunstfreunde ist der Name der Künstlerkolonie natürlich ein Begriff, und so pilgern Jahr für Jahr Tausende in den kleinen Ort, wo auch heute noch eine beträchtliche Anzahl von Künstlern lebt und arbeitet. Viele Galerien und kleine Museen künden darüber hinaus von ihrer Geschäfts-tüchtigkeit. Otto Modersohn, der 1889 seinem Studienfreund Fritz Mackensen nach Worpswede gefolgt war, wäre dieses geschäftige Treiben ebenso unbehaglich gewesen wie Paula Becker, Fritz Overbeck oder Heinrich Vogeler. Sie waren schließlich in diesen unberührten Land-strich gezogen, um fernab des Großstadtgetriebes das einfache Leben zu finden.

Im „Paula-Jahr“ ist noch mehr los als sonst in Worpswede. Ganze Busladungen voller Kunst-Touristen überschwemmen den Ort. Man hört rheinische Mundart ebenso wie Berliner Dialekt. Nicht alle interessieren sich für die kleinen Museen, manche Frauengruppen bleiben schon eher bei den Schmuck- oder Souvenirläden hängen und natürlich bei den schmucken Cafés, die mit Buchweizentorte die Gäste locken.

Was aber erinnert in Worpswede nun wirklich an Paula Modersohn-Becker? Natürlich das Wohnhaus des Ehepaares, ein schmucker Holzbau mit rotem Ziegeldach, heute an der Durchgangsstraße nach Bremen gelegen. Ein moderner Anbau beherbergt das Museum am Modersohn-Haus. Dort sind die „alten Worpsweder Meister“ zu sehen – Modersohn, Vogeler, Hans am Ende, Mackensen. Eine schöne Einstimmung auf Worpswede und seine Künstler. Im Modersohn-Haus selbst geben Möbel, Fotos und Bilder einen Einblick in die Lebenswelt der Künstlerin. Den Blick aus dem kleinen Zimmer auf die heute gut befahrene Straße, die vor 100 Jahren sicher nur ein sandiger Weg war, auf dem hin und wieder eine Kutsche fuhr, diesen Blick durch die blütendweißen Gardinen auf einen Staketenzaun und wilde Rosen wird auch Paula Modersohn-Becker gehabt haben, wenn sie an ihrem Schreibtisch saß, um ihre Gedanken und Empfindungen in ihrem Tagebuch zu notieren.

Schon im Sommer 1897 schwärmte sie: „Worpswede, Worpswede, Worpswede! Versunkene-Glocke-Stimmung! Birken, Birken, Kiefern und alte Weiden. Schönes braunes Moor, köstliches Braun! Die Kanäle mit den schwarzen Spiegelungen, asphaltschwarz. Die Hamme mit ihren dunklen Segeln. Es ist ein Wunderland, ein Götterland ...“

Die Dielen in dem alten Haus knarren, und man meint, der Hausherr oder die Hausfrau müßten jeden Augenblick durch die Tür treten. Als man sich endlich verabschiedet und sich einen Blick zurück gestattet, da sieht man sie beide am Fenster stehen – doch nein, es sind nur gut gemachte Schaufensterpuppen mit den Gesichtszügen des Künstlerpaares ...

Gegenwärtig ist Paula Modersohn-Becker auch bei einem Besuch auf dem Friedhof der Zionskirche. Ihr Grab ist nicht auf den ersten Blick zu finden, und so muß man anderen Kunstfreunden vertrauen, die ebenso auf der Suche nach der letzten Ruhestätte sind, aber erfolgreicher bei ihren Nachforschungen waren. So wie Paula es sich einst gewünscht hatte, befindet sich das Grab mit der Skulptur von Bernhard Hoetger „an der Hecke, die an die Felder stößt, im alten Stück, nicht im Zipfel“. Ein Besuch in der alten Zionskirche ermöglicht auch den Blick auf die Puttenköpfe der Bildhauerin Clara Westhoff und die floralen Fresken von Paula Becker, eine Strafarbeit für die beiden jungen Künstlerinnen, hatten sie doch aus jugendlichem Übermut die Kirchenglok-ken geläutet und damit nicht nur die Menschen im Dorf, sondern auch die Feuerwehr alarmiert.

Viel gibt es zu entdecken in Paulas Wunderland. Schade nur, daß die einzelnen Museen und Galerien nicht untereinander vernetzt sind und Kombi-Tickets für den Eintritt anbieten.

 

Das Leben einer Künstlerin

Paula Becker wird am 8. Februar 1876 als drittes von sieben Kindern in Dresden-Friedrichstadt geboren. 1888 siedelt die Familie Becker nach Bremen über. Paula absolviert auf Wunsch ihres Vaters eine Ausbildung am Bremer Lehrerinnenseminar. Daneben nimmt sie Mal- und Zeichenunterricht bei dem Bremer Künstler Bernhard Wiegandt. Eine Ausstellung der Worpsweder Malerkolonie in der Kunsthalle Bremen beeindruckt Paula Becker 1895 tief. Im Frühjahr 1896 besucht sie einen zweimonatigen Kurs an der Zeichen- und Malschule des „Vereins der Berliner Künstlerinnen“. Im Herbst darf sie für eine eineinhalbjährige Ausbildung zurückkehren. Nach Beendigung ihrer Berliner Ausbildung zieht Paula Becker im Herbst 1898 nach Worpswede. Dort schließt sie Freundschaft mit der Bildhauerin Clara Westhoff. Beide sind Schülerinnen bei Fritz Mackensen.

In der Silvesternacht zum neuen Jahrhundert reist Paula Becker zum ersten Mal nach Paris. – Viermal ist sie insgesamt dort. – Sie besucht die private Académie Colarossi und belegt daneben einen Anatomiekurs an der École des Beaux-Arts. Regelmäßig geht sie in den Louvre und zeichnet nach ihren Lieblingswerken der Malerei und Skulptur. Paula Becker kehrt Ende Juni nach Worpswede zurück. Im August kommen die Dichter Carl Hauptmann und Rainer Maria Rilke nach Worpswede. Mit Rilke, der später Clara Westhoff heiratet, entwickelt sich eine innige Freundschaft.

Am 25. Mai 1901 heiraten Paula und Otto. Nahezu fünf Jahre später will Paula sich endgültig von Worpswede, aber auch von ihrem Mann Otto Modersohn lösen. Im Herbst 1906 versöhnt sie sich mit Otto Modersohn und kehrt mit ihm im Frühjahr 1907 zurück nach Worpswede. Paula erwartet ein Kind. Am 2. November kommt ihre Tochter Mathilde zur Welt. 18 Tage später stirbt Paula Modersohn-Becker an einer Embolie. Sie wird auf dem Friedhof von Worpswede beigesetzt.             man

 

Ausstellungen

Ganz Norddeutschland ist im Paula-Fieber, möchte man meinen, sieht man sich die gängigen Ausstellungskalender und Buchveröffentlichungen an. Da gibt es einmal mehrere neue Biograpien über die Malerin, erschienen in namhaften Verlagen (von Du Mont über Hanser und Reclam bis hin zu Hirmer), zum anderen auch ein Hörbuch bei Hoffmann und Campe auf dem „Das kurze Leben der Paula Modersohn-Becker“ (1 CD mit achtseitigem Begleitbuch, 59 Minuten, 15 Euro) vorgestellt wird. Besonders eindrucksvoll die Originalaufnahmen mit Menschen, welche die Künstlerin noch persönlich gekannt haben.

Als die große Paula-Modersohn-Becker-Ausstellung in diesem Jubiläums-Jahr wird die Schau in der Kunsthalle Bremen gewertet (bis 24. Februar 2008). Erstmalig wurden Werke der Künstlerin aus bedeutenden deutschen Sammlungen zusammengetragen und dem Pariser Kunstschaffen um 1900 gegenübergestellt. Zu sehen sind unter anderem Werke von Cézanne und Gauguin. Die Ausstellung zeigt, wie das Pariser Kunsterlebnis die Malerin zeitweilig beeinflußte.

Beeindruckt war die Malerin auch von den ägyptischen Mumienporträts, denen sie während eines Paris-Aufenthaltes im Louvre begegnete. Wie sehr diese Porträts ihren eigenen Stil beeinflußten und sogar eine ganze Epoche prägten, erfährt man in einer direkten Gegenüberstellung im Paula-Modersohn-Becker-Museum in der Bremer Böttcherstraße (bis 24. Februar 2008).

Das Künstlerehepaar Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn wird in einer Ausstellung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover gewürdigt (bis 24. Februar 2008). Die repräsentative Gegenüberstellung ermöglicht erstmals einen Vergleich und die Beantwortung der Frage, wie die beiden einander in ihrer jeweiligen künstlerischen Entwick-

lung beeinflußt haben.   os

Fotos: Paula Modersohn-Becker: Selbstbildnis (Detail, um 1905); Spuren von Paula Modersohn-Becker: Wohnhaus in Worpswede und das Grab auf dem Worpsweder Friedhof


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