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24.11.07 / Briefe für die Freiheit / Amnesty International richtet sich neu aus, doch die Konturen verschwimmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-07 vom 24. November 2007

Briefe für die Freiheit
Amnesty International richtet sich neu aus, doch die Konturen verschwimmen
von Mariano Albrecht

Die internationale Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International (AI) ist bekannt dafür, überall dort im Einsatz zu sein, wo das Leben und die Menschenrechte von politischen Gefangenen in Gefahr sind. Doch die Organisation befindet sich in einem Wandel, so Irene Khan, Generalsekretärin von Amnesty. Khan steht seit sechs Jahren an der Spitze und für eine Neuausrichtung von AI.

In einem kürzlich von der Londoner Zentrale von AI herausgegebenen Bericht beschuldigt die Organisation die internationale Schutztruppe in Afghanistan (Isaf), Gefangene durch die Übergabe an afghanische Sicherheitsorgane der Folter ausgesetzt zu haben. Auch die Bundeswehr habe Gefangene überstellt und in Kauf genommen, daß sie Folterungen  ausgesetzt worden seien. Eine schwere Anschuldigung! Amnesty erklärt die Bundeswehr zum Unterstützer von Menschenrechtsverletzungen und fordert die Bundesregierung auf, Überstellungen einzustellen.

Neben Medienberichten stützt sich AI auf die Aussagen eines jungen Afghanen, der berichtet, daß er von kanadischen Truppen festgenommen worden sei, die ihn höflich behandelt hätten. Nach seiner Überstellung sei er von der afghanischen Polizei geschlagen worden. Konkrete Hinweise auf deutsche Beteiligung: Fehlanzeige.

Es gelten strenge Regeln: Gefangene müssen nach spätestens 96 Stunden den zuständigen afghanischen Behörden übergeben werden, andernfalls sind sie freizulassen. Auch bei der Bundeswehr wird so verfahren. Natürlich teilt die Bundeswehr schon jetzt dem Internationalen Komitee des Roten Kreuz Überstellungen mit. Also alles in Ordnung?

Amnesty weicht in seiner Vorgehensweise im Fall Afghanistan von eigenen traditionellen Gepflogenheiten ab. In der Vergangenheit hatte Amnesty große Erfolge, die sich auf die Methode der Veröffentlichung und der direkten Ansprache der zum Beispiel Folter veranlassenden und duldenden Regierungen stützte. Immer wenn AI von willkürlichen Festnahmen, „Verschwindenlassen“, Morddrohungen oder Folterungen oder Hinrichtungen erfährt, wird eine Eilaktion gestartet. Das Prinzip ist einfach, aber effektiv: Mit Briefen an Regierungen und Diktatoren erreichte AI eine Freilassungsquote von 96 Prozent. In langfristig angelegten Kampagnen, sogenannten Appellfällen, soll mit der Aktion „Briefe gegen das Vergessen“ auf die Situation von politischen Gefangenen aufmerksam gemacht werden. Nach Angaben der Organisation kommen so etwa die Hälfte aller politischen Gefangenen frei. Warum also der Appell an die Bundesregierung, die Auslieferung von Gefangenen an die Afghanen einzustellen, statt ein Appell an die afghanische Regierung? Ein Resultat des „Wandels“ oder Stimmungsmache gegen den Isaf-Einsatz?

Die Organisation ist nicht mehr die alte. Mit der Bangladescherin Irene Khan steht seit 2001 erstmals eine asiatische Frau muslimischen Glaubens an der Spitze von AI. Seit Khans Amtsantritt kümmert sich AI nicht mehr nur um politische Gefangene, sondern auch um Flüchtlinge, Geiseln und Arbeitslose. Die Beschäftigung mit dem Thema Abtreibung nach Vergewaltigungen von Frauen brachte der Organisation einen Boykottaufruf des Vatikans ein. Khan hat die Organisation politisiert. Kritiker werfen ihr vor, US-Kritik in die Arbeit von Amnesty zu rücken. Mit der Äußerung, das US-Gefangenenlager Guantanamo sei „der Gulag unserer Zeit“, erregte sie Aufsehen. In Guantanamo sind einige hundert Terrorverdächtige inhaftiert, in den sowjetischen Gulags starben mehr als 20 Millionen Menschen, die aus politischen Gründen verschleppt und zur Zwangsarbeit verurteilt wurden.

In der Schweizer „Weltwoche“ stellt Khan die Welt von Amnesty auf den Kopf und spricht über den Islam und den islamischen Terrorismus: „Was einige westliche Länder auf diese Gefahr getan haben, ist eine schlimme Art von Dämonisierung, die eine große Zahl von Menschen ausgrenzt. Es ist sehr wichtig, daß man diesen Gemeinschaften die Hand entgegenstreckt.“ Die Mehrheit der Amnesty-Mitglieder steht hinter der Neuausrichtung. Mit neuen Arbeitsgebieten steigt auch die Zahl der Geldgeber. AI unterhält weltweit Büros, die der Organisation bei der Einschätzung der Menschenrechtslage zuarbeiten. Amnesty investiert aber auch in den Aufbau von Strukturen, die nah an die Entwicklungshilfe heranreichen. Das spaltet die Organisation. Gegner fürchten um die Glaubwürdigkeit, während Befürworter die Menschenrechte für unteilbar halten.

Um so verwunderlicher ist die Antwort auf unsere Anfrage,  ob man sich auch um den in der Türkei unter dem Verdacht der Vergewaltigung stehenden Jugendlichen Marco W. kümmere. Der 17jährige sitzt seit sieben Monaten in Untersuchungshaft, die Beweislage ist schwammig, der junge Mann leidet an Neurodermitis und ist psychisch stark angeschlagen. Ihm drohen 15 Jahre Haft. Man habe darüber beraten, heißt es bei Amnesty, man sei zu dem Schluß gekommen, daß ein politischer Hintergrund für die Inhaftierung nicht gegeben sei. So etwas ist wohl auch bei breiter Auslegung des Begriffes Menschenrechte kein Fall für Amnesty.

Foto: Gegen Guantanamo: Amnesty International macht auf die menschenunwürdigen Bedingungen an diesem Ort aufmerksam.

 

Zeitzeugen

Peter Benenson – Das Kind englisch-russischer Eltern jüdischer Abstammung kam 1921 in London zur Welt. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete der Brite für den Intelligence Service. Nach dem Krieg war der Absolvent der Eliteschule Eton und des Balliol-College in Oxford erfolgreich als Anwalt und in der Politik tätig. Der zum Katholizismus konvertierte AI-Gründer starb 2005 in Oxford.

Seán MacBride – Als Sohn eines iririschen Freiheitskämpfers setzte sich MacBride (1904–1988) schon in sehr jungen Jahren für die Unabhängigkeit seiner Heimat ein, war von 1948 bis 1959 gar irischer Außenminister. Der Mitbegründer war der erste AI-Präsident. 1973 bis 1977 fungierte er als Uno-Kommissar für Namibia, wo er die linke „Swapo“ unterstützte.

Gerd Ruge – Der Journalist Gerd Ruge (geboren 1928) gründete schon 1961 zusammen mit Carola Stern und Felix Rexhausen die deutsche Sektion von AI. Vor allem als Auslandskorrespondent, Ruge war unter anderem Leiter des ARD-Büros in Moskau, ist er dem deutschen TV-Publikum bestens bekannt. Ruge gehörte 1963 zu den Initiatoren des noch heute gesendeten ARD-„Weltspiegels“.

Barbara Lochbihler – Die 1959 geborene Sozialpädagogin Barbara Lochbihler ist seit 1999 Generalsekretärin der deutschen AI-Sektion. 1987 bis 1991 war sie, obschon parteilos, Referentin einer bayerischen Landtagsabgeordneten der Grünen, und später wurde sie zur Generalsekretärin der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ gewählt.

Irene Zubaida Khan – Die amtierende AI-Generalsekretärin ist die erste Frau und die erste Person muslimischer Herkunft an der Spitze von AI. Khan stammt aus einer reichen Familie in Bangladesch. Sie studierte in Manchester und Harvard Jura und spezialisierte sich auf Völker- und Menschenrechte. Ab 1980 arbeitete Khan für den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Im Jahr 1995 wurde sie zum „Chief of Mission“ von Indien ernannt. Im Kosovo-Krieg leitete sie die UNHCR-Arbeitsgruppe in Mazedonien. Im August 2001 wurde Khan Generalsekretärin von Amnesty International.


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