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24.11.07 / Einmischung des Europäischen Gerichtshofes / Logische Widersprüche in der europäischen Wirtschaftspolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-07 vom 24. November 2007

Einmischung des Europäischen Gerichtshofes
Logische Widersprüche in der europäischen Wirtschaftspolitik
von R. G. Kerschhofer

Die EU-Regierungschefs haben sich also auf den „Reformvertrag“ geeinigt – ohne den Text zu kennen, denn der muß erst aus Änderungen, Ergänzungen und Verweisen zur gescheiterten „EU-Verfassung“ zusammengebastelt werden. Doch auch wenn das bis zur Unterzeichnung am 13. Dezember erledigt ist, die inneren Widersprüche bleiben: Gegensätzliche nationale Interessen, nicht minder gegensätzliche, zuweilen geradezu widernatürliche Prinzipien – und Konflikte zwischen manchen Interessen und Prinzipien.

Ein Paradebeispiel ist der „freie Kapitalverkehr“: Wie begründet denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein „Volkswagen-Urteil“? Das „VW-Gesetz“ sei rechtswidrig, weil es wegen der Stimmrechtsbeschränkungen und der Begünstigungen bestimmter Aktionäre gegen den EU-Grundsatz des freien Kapitalverkehrs verstoße. Analog entscheiden wird der EuGH wohl über jenes ungarische Gesetz, das einzig zu dem Zweck beschlossen wurde, dem österreichischen Öl- und Gaskonzern OMV die Übernahme des ungarischen Konkurrenten MOL zu verhindern. Und europaweit gibt es ähnliche Fälle – die bloß noch nicht an den EuGH gelangt sind.

Zur gleichen Zeit fordern europäische Politiker – allen voran Frankreichs Staatspräsident Sarkozy – Schutzmechanismen gegen „unerwünschte Investoren“, wobei immer von „Staatsfonds“ die Rede ist. Nun, wie die Erfahrung mit französischen Präsidenten lehrt, heißt das in Klartext eigentlich, daß französische staatsnahe Konzerne vor Übernahmen geschützt, doch selber nicht an Übernahmen gehindert werden sollen. Und eigentlich halten es auch andere so – bis auf die ewigen Musterknaben Deutschland und Österreich.

Mit dem Dogma vom „freien Kapitalverkehr“ greift der EuGH auf kuriose Weise in eine andere Freiheit ein, die Vertragsfreiheit: Denn wer sich an einem Unternehmen beteiligt, somit auch jeder Aktien-Käufer, schließt ja einen Gesellschaftsvertrag ab oder tritt einem solchen bei. Er tut dies freiwillig und nimmt etwaige Nachteile bewußt auf sich. De facto agiert der EuGH also zum Vorteil von Großaktionären wie Porsche oder OMV, die sich durch Aktienzukäufe ihre „Benachteiligungen“ selber eingehandelt haben.

Ein positiver Nebeneffekt ist natürlich, daß die EuGH-Position parteipolitischen Einfluß zu reduzieren hilft. Das gilt zweifellos für Ungarn, wo die regierenden Wendekommunisten ihre Macht mit allen Mitteln abzusichern trachten. Es gilt aber auch für Niedersachsen – und ohne die „grenzübergreifende Solidarität“ deutscher Genossen wäre der gescheiterte SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima wohl kaum Chef von Volkswagen Argentina geworden.

Die Angst vor Übernahmen ist verständlich, denn sie bedeuten Machtverlust für Funktionäre. Doch Grund zur Angst hat auch der Normalverbraucher: Allein China sitzt auf 1,2 Billionen Dollar, die täglich weniger wert werden, und alle Horter weltweit wollen ihr Papier gegen reale Werte eintauschen. Wer groß genug ist, versucht daher, gleich ganze Unternehmen aufzukaufen.

Sind „Staatsfonds“ aber bedrohlicher als „Oligarchen“ und „Heuschrecken“? Und was unterscheidet sie von „gewöhnlichen“ Investoren? Hier muß an Grundsätzliches erinnert werden: Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, Werte zu schaffen, und die der Politik, dies zu ermöglichen. Maßstab guten Wirtschaftens ist der Wertzuwachs, der Gewinn. Doch nicht jeder Unternehmensgewinn ist ein Wertzuwachs für die Volkswirtschaft! Besonders deutlich wird dies bei der Spekulation, die gar nicht an Wertschöpfung, sondern nur an Abschöpfung interessiert ist.

Eine komplexere Form von Spekulation, das „Filetieren“ eines aufgekauften Unternehmens, ist für „Heuschrecken“ typisch. So etwa ist der US-Fonds „Cerberus“ eifrig dabei, die Beteiligungen und Liegenschaften der ehemaligen Gewerkschaftsbank Bawag zu verscherbeln – womit bereits wieder die Hälfte des Bawag-Kaufpreises „erwirtschaftet“ ist. Andererseits, falls Porsche Volkswagen übernehmen sollte, bliebe alles im gleichen Land. Und ob eine Übernahme der MOL durch die OMV für Ungarn – nicht bloß für die „Nomenklatura“ – nachteilig wäre, läßt sich vorderhand gar nicht sagen. Ist aber nicht ausgeschlossen.

Prinzipiell ist jeder Große, der ein mächtiges Land hinter sich hat, eine potentielle Bedrohung für den Kleinen, der sich dem „freien Kapitalverkehr“ ausgeliefert sieht. Doch für Staatsfonds wie für Oligarchen (die zwar Privatleute sind, aber Regierungen nahestehen) und für alle sonstigen Investoren gilt: Sie können Instrumente fremder Politik sein. Oder sich als „Heuschrecken“ sattfressen wollen. Oder Konkurrenten ausschalten und damit Arbeitsplätze vernichten. Oder tatsächlich nur an gewinnbringenden Anlagen im produktiven Bereich interessiert sein und damit sogar Arbeitsplätze schaffen. Es kommt eben auf den Einzelfall an.

Selbstverständlich muß es einen Kapitalmarkt geben, denn Kapital soll produktiven Zwecken zugeführt werden – möglichst durch Marktmechanismen, nicht durch Dirigismus. Doch ob ein Investor „strategische Interessen“ berührt – ohnehin ein sehr dehnbarer Begriff – und ob er eher nützen oder schaden würde, das soll nicht eine Zentralbürokratie oder gar die Richterschaft bestimmen, sondern jedes Land selber entscheiden dürfen – es muß ja schließlich auch mit den positiven oder negativen Folgen leben.


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