20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.12.07 / »Alle Register des Lebens« / Graphische Zyklen und Zeichnungen von Max Klinger in Köln und in Aachen ausgestellt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-07 vom 08. Dezember 2007

»Alle Register des Lebens«
Graphische Zyklen und Zeichnungen von Max Klinger in Köln und in Aachen ausgestellt
von Silke Osman

Was mir Max Klinger in meiner Jugend gewesen ist, ist schwer in Worte zu fassen.“ Käthe Kollwitz ist sichtlich bewegt, als sie am 8. Juli 1920 als Vertreterin der „Freien Sezession“, deren Ehrenmitglied Max Klinger lange Jahre war, am Grab des Graphikers steht und ein letztes Geleit gibt. „Es war ein ganz großes Erlebnis, als ich die Radierungen von Klinger kennenlernte“, erinnert sich Kollwitz. „Wir jungen Leute drängten uns zu den Kupferstichkabinetten in München, in Berlin, um Klingers Radierungen zu sehen. Was uns fortriß, was wir liebten an diesen Blättern, war nicht die technische Meisterschaft. Der ungeheure Lebensdrang, die Energie des Ausdrucks waren es, was uns daran packte. Wir wußten, Max Klinger bleibt nicht an der Oberfläche der Dinge haften, er dringt in die dunkle Lebenstiefe. In diesen Blättern brauste und tönte es, wie in dem Blatt aus der Brahmsphantasie, wie eine ungeheure Musik einem entgegentönt. Alle Register des Lebens zog er auf, das gewaltige, herrliche und traurige Leben faßte er und deutete es uns.“

Unter dem Titel „Alle Register des Lebens“ zeigt das Käthe Kollwitz Museum in Köln nun zur 150. Wiederkehr des Geburtstages des Graphikers, Malers und Bildhauers Max Klinger (1857–1920) eine Ausstellung mit seinen großen erzählenden Graphikzyklen. Zu sehen sind „Ein Handschuh“ aus dem Jahr 1881, „Ein Leben“ (1884), „Dramen“ aus dem selben Jahr und „Eine Liebe“ von 1887. Die beiden Folgen „Vom Tode“ (1889 und 1898/1910), „Eva und die Zukunft“ (180) sowie Blätter aus der „Brahmsphantasie“ (1894). „In allen Zyklen setzt sich der Künstler intensiv mit seiner Gegenwart und den grundsätzlichen Lebensfragen auseinander“, so die Verantwortlichen für die Kölner Ausstellung. „Während etwa in ,Dramen‘ Klingers Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen seiner Zeit deutlich widergespiegelt ist, greift er hingegen in ,Eine Liebe‘ allgemeingültige Aussagen zum Lebensschicksal einer Frau auf.“

Über 130 Exponate aus den bedeutenden Klinger-Sammlungen der Museen in Bremen, Berlin, Dresden, Leipzig und Karlsruhe sind erstmals gemeinsam zu sehen, darunter herausragende Vorzeichnungen, erste Fassungen und Zustandsdrucke, die den Weg von der Idee bis zur Umsetzung im vollendeten Werk beleuchten. Selbstbildnisse und freie Zeichnungen bereichern die Schau.

„Anliegen der Kölner Ausstellung ist es, die Meisterschaft Klingers in der zyklischen Erzählstruktur seiner Folgen und deren drucktechnischer Realisierung aufzuzeigen“, so die Veranstalter.

„Es war vor allem Max Klinger, dessen künstlerische Arbeit Käthe Kollwitz seit ihren eigenen Anfängen besonders verehrte. Insbesondere die Inhalte seiner radierten Zyklen, aber ebenso ihre graphische Umsetzung bewunderte sie und zog daraus Konsequenzen für ihre eigene Arbeit. Käthe Kollwitz’ Einschätzung soll für den heutigen Betrachter nachvollziehbar gemacht werden.“

Es war der Schweizer Maler, Graphiker und Bildhauer Karl Stauffer-Bern, der seine Schülerin Käthe Kollwitz auf seinen Freund Max Klinger aufmerksam gemacht hatte. In einer Berliner Ausstellung entdeckte die damals 19jährige Käthe Kollwitz Klingers 1884 erschienene Folge „Ein Leben“ und war beeindruckt: „Es war das erste was ich von ihm sah, und es erregte mich ungeheuer.“ Es war schließlich aber Klingers 1891 erschienene kunsttheoretische Schrift „Malerei und Zeichnung“, die Käthe Kollwitz veranlaßte, sich endgültig dem graphischen Arbeiten zuzuwenden.

Nach Klingers Ansicht haben sich die Maler mit der Schönheit der Welt zu beschäftigen, indem sie sagen „so sollte es sein! oder so ist es ... Die Künstler der Zeichnungen dagegen heben die Schwächen, das Scharfe, das Harte, Schlechte hervor. Aus ihren Werken bricht fast überall als Grundton hervor: So sollte die Welt nicht sein! Sie üben also Kritik mit ihrem Griffel.“

Parallel zu der Kölner Ausstellung findet im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum ebenfalls eine Klinger-Schau statt. Während das Käthe Kollwitz Museum den Schwerpunkt auf Arbeiten Max Klingers legt, die Käthe Kollwitz in ihrem zeichnerischen und graphischen Schaffen beeinflußt haben, so wird im Suermondt-Ludwig-Museum das Augenmerk auf die Kunst des Graphischen, die zyklische Erzählstruktur und ihre drucktechnische Realisierung gelegt. Ausgehend von dem eigenen Bestand bereichern bedeutende Leihgaben aus den Kupferstichkabinetten Berlin, Bremen, Leipzig und München die Ausstellung in Aachen.

„In den Ausstellungsräumen wurde eine druckgraphische Werkstatt, Klingers Radierstübchen, eingerichtet, in der Druckdemonstrationen stattfinden“, so die Veranstalter. „So können dem Betrachter die kunsttechnische Seite der druckgraphischen Blätter sowie deren mediale Möglichkeiten und Grenzen verdeutlicht werden. Dieses Anschauungsmaterial stützt die Absicht, die technisch-künstlerischen Leistungen Klingers in der Griffelkunst herausstellen zu können.“

Klinger, der als „neuer Dürer“ (Hugo vom Hofmannsthal) gefeiert wurde, hat mit seinen Zyklen (insgesamt schuf er 14 graphische Folgen) eine Vielzahl von Künstlern auch des 20. Jahrhunderts beeinflußt. Die Reihe reicht von de Chirico über Max Ernst bis zu Munch oder Dali. Eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle beleuchtet noch bis zum 13. Januar diese Seite von Klingers Bedeutung in der modernen Kunst (siehe Folge 44). Phantasiereich, humorvoll, aber auch bizarr und bedrückend wirken die Arbeiten Max Klingers noch heute auf den Betrachter; faszinierend bleiben sie allemal.

Das Käthe Kollwitz Museum, Neumarkt 18-24, 50667 Köln, ist dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr geöffnet, Weihnachten und Neujahr geschlossen, Eintritt 3 / 1,50 Euro, bis 20. Januar.

Das Suermondt Ludwig Museum, Wilhelmstraße 18, 520170 Aachen, ist dienstags bis freitags von 12 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, am Wochenende von 11 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 5 / 2,50 Euro, bis 3. Februar.

Es erscheint ein gemeinsamer Katalog im Nicolai Verlag (288 Seiten mit 250 Duotone-Abb., geb., 34,90 Euro).

Foto: Max Klinger: Entführung des Prometheus (Blatt 24 der Folge „Brahmsphantasie“, Opus XII, 1894, Radierung, Stich und Aquatinta; im Besitz des Kupferstickabinetts Staatliche Kunstsammlungen Dresden


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren