18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.12.07 / Von Anarchie weit entfernt / Alltag in deutschen Justizvollzugsanstalten ist keineswegs so brutal wie behauptet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-07 vom 15. Dezember 2007

Von Anarchie weit entfernt
Alltag in deutschen Justizvollzugsanstalten ist keineswegs so brutal wie behauptet
von Mariano Albrecht

Das Fernsehen beschreibt den Alltag in Haftanstalten so: In der Serie „Hinter Gittern“ (RTL) gelangen Drogen, versteckt in Wäschelieferungen oder durch bestochenes Personal, in die Zellen des RTL-Frauenknastes. „Hinter Gittern“ regiert die Mafia. Geiselnahmen. Gefangenenrevolten und Ausbrüche in einem Mix aus Lesben-Love-Story und Knastkrimi. Die Insassen vom Phantasie-Gefängnis „Reutlitz“ können sich in ihren Zellentrakten ziemlich frei bewegen, konkurrierende Banden organisieren den Haftalltag. Alles nur Film? Wie sieht das Leben hinter Gittern wirklich aus?

Unter Umständen recht hart. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Anspruch auf komfortable Unterbringung eine Absage erteilt. Die Karlsruher Richter wiesen die Beschwerde dreier Häftlinge aus verschiedenen Justizvollzugsanstalten ab. Ein Häftling hatte beklagt, daß er in der Haftanstalt Diez in Rheinland-Pfalz eine zwölf Quadratmeter kleine Zelle mit einem weiteren Insassen teilen muß. Die Kläger glaubten, die Menschenwürde verletzt, die Richter sahen das allerdings anders. Die Mindestanforderungen, wie sie vom Europarat und von den Vereinten Nationen vorgegeben werden, seien erfüllt.

Das Strafvollzugsgesetz regelt die Art und Weise, wie eine Haftverbüßung in Deutschland zu vollziehen ist. Das Vollzugsziel ist, nicht wie noch häufig angenommen, die Sühne für eine Straftat, sondern vielmehr die Resozialisierung des Strafgefangenen und der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Der zur Haft Verurteilte soll im Strafvollzug befähigt werden, sich wieder in das Leben in Freiheit einzugliedern. Mit Sozialtherapien, Arbeits- und Ausbildungsangeboten und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung werden den Insassen von Justizvollzugsanstalten umfangreiche Maßnahmen angeboten, um sich auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Versauern muß im Justizvollzug niemand, Hafträume dürfen mit Rundfunk- und Fernsehgeräten ausgestattet werden. Doch Luxusknast oder echter Ansatz zur Wiedereingliederung?

Walter F. (Name geändert) sitzt seit 2001 in der größten deutschen JVA, in Berlin Tegel, ein. F. arbeitet dort für die Gefangenenzeitung „Lichtblick“, die ohne Einfluß der Anstaltsleitung frei von Zensur berichten darf. Für die Redaktionsmitglieder ist der telefonische Kontakt mit der Außenwelt jederzeit möglich. Thema der Zeitschrift sind Haftbedingungen, Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung, das Essen und die Überbelegung. In Tegel sitzen 1650 Verurteilte ein, 79 mehr als Haftplätze vorhanden sind. Zwei Leute in einem zehn Quadratmeter großen Haftraum, das sei menschenunwürdig, meint Walter F.: „Nach dem Tierschutzgesetz stehen einem Schäferhund acht Quadratmeter Fläche zu, wir sitzen hier auf fünf. Das ist doppelte Bestrafung.“ Walter F. schildert den Haftalltag: „Wer hier für längere Zeit sitzt, hat in der Regel alles verloren. Die Wohnung wird von Fremden aufgelöst, der Kontakt zu Verwandten reißt ab, die Partnerschaft geht nicht selten kaputt. Wer gesundheitliche Probleme hat, ist schlecht dran, viele sterben an Krebs, könnten länger leben, aber die Behandlungsmöglichkeiten sind nicht wie draußen.“ Seitdem die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue durch Vorfälle von Drogen und Handyschmuggel in der Haftanstalt Plötzensee in die Kritik geraten ist, versuchen viele mit ihrer Kritik auf den Zug zu springen. Auch Tegel hat ein Drogenproblem, doch ist das bei weitem nicht so dramatisch, wie in den Medien dargestellt. Der evangelische Pfarrer Rainer Dabrowski, Seelsorger in Tegel, beschreibt die Situation so: „Eine Haft ohne Drogen gibt es nicht, trotz täglicher Kontrollen kommt immer wieder etwas rein. Von einer dramatischen Entwicklung kann aber nicht die Rede sein. Von organisierten Banden habe ich noch nichts bemerkt.“ Tegel hat eine sehr liberale Führung. Durch die großzügigen Aufschlußzeiten stauen sich weniger Aggressionen bei den Insassen, das bestätigt auch Walter F.

„Araber und Türkenbanden“, F. lacht, „das ist alles Film, sicherlich verbringen die verschiedenen Nationalitäten die Zeit unter sich, es kommt auch mal zum Krach. Aber Bandenkrieg im Knast? Das ist Legende. Viel schlimmer ist, daß Ausländer öfter vorzeitig entlassen werden und auch sonst nicht selten bevorzugt werden.“

Während sich in Berlin oder in Siegburg bis zu vier Insassen einen Haftraum teilen müssen, hat die Stadt Hamburg zur Zeit 730 Plätze im Strafvollzug frei. Seit 2002 wurde in der JVA Fuhlsbüttel unter dem damaligen Justizsenator Roger Kusch (damals noch CDU) ein umfangreiches Sicherheitskonzept umgesetzt. Bis dahin herrschte Chaos in der JVA. Gefangene konnten sich in den einzelnen Häusern weitgehend frei bewegen, die Justizvollzugsbeamten hatten kaum Möglichkeiten, den Überblick zu behalten. Hamburg hätte gute Möglichkeiten, Insassen aus anderen, überbelegten Anstalten aufzunehmen. Von den Inhaftierten wird dies allerdings abgelehnt. Grund: Der Kontakt zur Familie und dem sozialen Umfeld könnte abreißen, der Resozialisierungseffekt wäre gefährdet.

Foto: Gefährlicher Job? Justizvollzugsbeamter vor der Sicherheitsschleuse

 

Zeitzeugen

Wilhelm Voigt – Der populärste Strafgefangene der deutschen Geschichte ist zweifellos der gebürtige Tilsiter Wilhelm Voigt (1849–1922). Seit seinem 14. Lebensjahr etliche Male wegen Diebstahls und Urkundenfälschun in Haft, „entehrte“ er in einer bei Trödlern zusammengesuchten Hauptmannsuniform das Rathaus von Köpenick. Voigt behauptet, er habe nur einen Paß gewollt. Andere Quellen meinen, er habe es auf gut vier Millionen Mark abgesehen gehabt, die einer Fehlinformation zufolge in der Stadtkasse gelegen haben sollen.

Walter Stürm – Der Schweizer Stürm (1942–1999) ist einer der größten „Ausbrecherkönige“ des 20. Jahrhunderts. Von 1974 bis 1995 gelangen ihm acht Ausbrüche. So erlangte Stürm, der wegen diverser Eigentumsdelikte, auch Raub und Banküberfall, einsaß, eine gewisse Popularität, bis er sich mit einem Gewaltverbrecher zusammentat. Ostern 1981 hinterließ der Flüchtige den Wärtern einen Zettel: „Bin Eier suchen gegangen.“

Otto von Bismarck – Im Gefängnis saß Bismarck nie, doch kannte er den Karzer der Göttinger Universität, wo er 1832 bis 1833 studierte, sehr gut. Als er dort einsaß, verzierte er eine noch heute erhaltene Tür mit schönen Schnitzereien. Bismarcks Vergehen: Er hatte beim Gelage eine Flasche aus dem Fenster geworfen, die einen Passanten verletzte.

Graf von Monte Christo – Alexandre Dumas’ Romanfigur des Seeoffiziers Edmond Dantès entstand in einem Fortsetzungsroman zwischen 1844 und 1846. Neid, Eifersucht und Feigheit anderer brachten den Helden 14 Jahre in einen grausamen Kerker. Nach seiner Flucht hob er einen Schatz, den ihm ein sterbender Mithäftling verraten hatte. Mit dem Geld nahm Dantès Rache an seinen Verderbern. Dumas’ Dantès wurde zum literarischen Inbegriff des unschuldigen Justizopfers.

Fritz Haarmann – Der berüchtigste Strafgefangene Deutschlands starb 1925 unterm Fallbeil. Haarmann hatte gestanden, 24 Jungen und junge Männer zwischen 13 und 20 Jahren durch einen Biß in den Hals getötet und anschließend zerstückelt zu haben. „Haarmann mit dem Hackebeilchen“ wurde 45 Jahre alt.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren