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22.12.07 / Existenzbedrohendes Flickwerk / Die längere Auszahlung von ALG I an ältere Arbeitslose beginnt mit einem Chaos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-07 vom 22. Dezember 2007

Existenzbedrohendes Flickwerk
Die längere Auszahlung von ALG I an ältere Arbeitslose beginnt mit einem Chaos
von Mariano Albrecht

Es schien alles nach einer kleinen Wende zum Besseren auszusehen: Auf Initiative der SPD hatte sich die Große Koalition darauf geeinigt, älteren Arbeitslosen einen längeren Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen. Demnach bekommen Arbeitslose ab 50 Jahren künftig 15 statt bisher zwölf Monate lang das aus der Arbeitslosenversicherung bezahlte Arbeitslosengeld I, bevor sie in das aus Steuern finanzierte ALG II abrutschen. Über 55jährige erhalten bis zu 18 Monate und über 58jährige bis zu 24 Monate ALG I, ein Aufschub für den Absturz in Hartz IV oder die Frühverrentung. Die Union lehnte ein Eilverfahren vor dem Jahreswechsel kategorisch ab. Doch die Genossen hatten nachgelegt, versprachen im Wahlkampfgetöse ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2008. Das Gesetz soll nun im Januar vom Bundestag und am 15. Februar vom Bundesrat verabschiedet werden und dann rückwirkend zum 1. Januar in Kraft treten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte dazu, ihrer Fraktion sei es darum gegangen, nicht im Schnellverfahren und unter Minderung der Rechte der Opposition innerhalb einer Woche ein Gesetz zu verabschieden, „das man sorgfältig beraten, Anfang 2008 verabschieden kann“. Die Große Koalition will die Leistung nun rückwirkend zahlen. Doch das stößt auf Hürden, die die rot-grüne Koalition bereits mit der Einführung der Hartz-Gesetze aufgestellt hatte.

Nach der derzeitigen Gesetzeslage kann vielen Anspruchsinhabern so erheblicher Aufwand, ja sogar Schaden entstehen, einige tausend Menschen um Erspartes bringen. Und das geht so:

Läuft das Arbeitslosengeld eines Arbeitnehmers, der Anspruch auf längere Auszahlung des ALG I hätte, vor dem Inkrafttreten des Gesetztes aus, so müßten die Arbeitsgemeinschaften nach dem Sozialgesetzbuch II (Arge) den Arbeitnehmer auffordern, Hartz IV-Leistungen zu beantragen. Das hätte zur Folge, daß die ganze Hartz-IV-Härte gnadenlos zur Anwendung käme. Vermögensanrechnung, Aufforderung zum Verkauf des Autos, im schlimmsten Fall Einleitung von Hausverkäufen, das Auflösen von privaten Renten- und Lebensversicherungen oder die zwangsweise Frühverrentung. Andernfalls müßte der Betroffene ohne Leistungen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes ausharren. Ein zweifellos rücksichtsloses und frei jeglicher Kenntnis von der Realität zeugendes Szenarium. Ein schlechter Regierungsstil, den bereits die rot-grüne Koalition betrieb. Ähnlich aktionistisch ging es bei der Einführung der Hartz-Reformen unter der Federführung des damaligen Arbeitsministers Clement zu.

Am 23. Dezember 2002 wurde das erste und zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt mit Wirkung zum 1. Januar 2003 beschlossen. Über den Jahreswechsel mußten die neuen Jobcenter aus dem Boden gestampft werden, Katzenjammer auf den Ämtern, die Mitarbeiter mußten über Nacht mit neuen Computerprogrammen zurechtkommen und alles über Bildungsgutscheine, Personalservice-Agenturen und Minijobs lernen. Clement und Schröder ließen die Mitarbeiter in den Arge und den Arbeitsagenturen im Regen stehen. Ein Jahr später, am 23. Dezember 2003, dann die Umsetzung des dritten Sozialgesetzbuches, die Bundesanstalt für Arbeit wurde zum 1. Januar 2004 zur Arbeitsagentur. Im Jahr 2008 droht gleiches Ungemach nach altem Schema.

Ein Sprecher der Arge Hamburg bestätigt die schlimme Vermutung, bis zum heutigen Tag liegen keine Arbeitsanweisungen für die Übergangszeit vor, weder von der Bundesagentur für Arbeit noch vom Arbeitsministerium von Olaf Scholz. Auf Anfrage reagiert eine Sprecherin des Ministeriums genervt, man werde sich schon etwas einfallen lassen, man solle doch die Union fragen, die hätte schließlich den Gesetzesbeschluß noch in diesem Jahr verhindert. Auch wenn Angela Merkel in der Zeitschrift „Super Illu“ beruhigt, das Gesetz werde rückwirkend zum 1. Januar 2008 in Kraft treten, „so daß 58jährige, deren ALG-I-Bezug zum 31. Dezember nach 18 Monaten auslaufen würde, dennoch in den Genuß der Verlängerung auf 24 Monate kommen werden“, macht das Szenario doch deutlich, daß SPD und Union sich gegenseitig treiben, statt dem Wählervolk eine akkurate Regierungspolitik zu präsentieren. Resultat: Das Vertrauen des Volkes in die Arbeit der Großen Koalition sinkt.


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