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22.12.07 / Mutter Teresa – die Skopjerin / Die mazedonischen Jugendjahre der weltbekannten Humanistin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-07 vom 22. Dezember 2007

Mutter Teresa – die Skopjerin
Die mazedonischen Jugendjahre der weltbekannten Humanistin
von Wolf Oschlies

Das mazedonische Skopje erlebt etwa alle 500 Jahre ein zerstörerisches Erdbeben, zuletzt am 26. Juli 1963, als neun Zehntel der Skopjer Häuser einstürzten. Unzerstört blieb im Stadtzentrum ein alter türkischer Wachturm, in dem der Rundfunkjournalist Stojan Trencevski ein kleines Museum für die berühmte Missionarin Mutter Teresa, Friedensnobel-Preisträgerin 1979, betreut.

Als Agnes Gonxha Bojaxhiu wurde sie am 26. August 1910 in der benachbarten Pop-Kocina-Gasse Nr. 13 geboren, doch das ganze Viertel verschwand im Erdbeben von 1963. Vom Elternhaus Mutter Teresas existiert nur noch ein kleines Modell in Trencevskis Museum. Wo es einmal stand, erhebt sich seit zehn Jahren eine überlebensgroße, von Starbildhauer Tome Serafimovski gestaltete Statue der berühmtesten Tochter Skopjes, die am 5. September 1997 im indischen Kalkutta starb
Nach ihrem Tod hieß es, sie sei „Albanerin“ gewesen. Sie selber hat sich stets als „Skopjanka“ (Skopjerin) bezeichnet, hat nach 1978 ihre Geburtsstadt viermal besucht und dort gern vor Journalisten und Politikern von ihrer glücklichen Kindheit und Jugend in Skopje – inzwischen Hauptstadt der souveränen Republik Mazedonien – erzählt. In ihrem Geburtsjahr gehörte ganz Mazedonien noch zum Osmanischen Imperium. Mit den Balkankriegen 1912/13 endeten zwar 530 Jahre türkischer Fremdherrschaft, aber Mazedonien wurde unter Griechenland, Bulgarien und Serbien aufgeteilt. 1918 vereinte sich Serbien mit anderen südslawischen Regionen zum „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, das sich ab 1929 „Jugoslawien“ nannte. Bereits 1928 hatte Mutter Teresa das Land verlassen, um als Ordensfrau des katholischen Loreto-Ordens in Indien zu wirken. Bis zuletzt bewahrte sie die Liebe zu Skopje und die serbokroatische Sprache ihrer Schulzeit, wie viele Tondokumente von ihr bezeugen.

Skopje war bereits als antikes Scupi, später türkisches Üsküb ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und Handelsplatz, also der rechte Ort für unternehmerische Naturen wie die Familie Bojaxhiu, der Teresas Vater Nikola (1874–1919) entstammte. Auf dem große Skopjer Friedhof „Butel“ ist noch sein Grab zu sehen, auch die alte Grabplatte, die serbisch in lateinischer Schrift getextet ist – charakteristisch für die „Latiner“, wie die Katholiken ob ihres Festhaltens an lateinischer Schrift (und lateinischer Messe) in Mazedonien hießen. Die Bojaxhius waren „vlachischen“, das heißt rumänischen Ursprungs, ihr Name ursprünglich eine Berufsbezeichnung („Färber“). In der Skopjer Altstadt betrieben sie einen Farbenladen, ein Baugeschäft und eine Pension für Durchreisende. Das brachte ihnen Wohlstand ein und Respekt im „esnaf“, der Zunft der selbstbewußten Skopjer Händler und Handwerker. Nikola Bojaxhiu hatte in Skopje eine Berufsschule besucht, sich mit Hilfe des Arztes Dr. Schoschkalovic zum Apothekengehilfen fortgebildet und bereiste als polyglotter Handelsagent halb Europa. Partner der Bojaxhius war die Familie Bernaj aus dem kosovarischen Prizren, ein altes vlachisch-albanisches Geschlecht, katholische „Latiner“ wie Teresas Familie. 1903 heiratete Nikola Bojaxhiu die erst 14jährige Dranafile („Drona“) Bernai (1889–1972), wie es damals Brauch war. Das Paar bekam drei Kinder: 1904 Tochter Aga, 1908 Sohn Lazar und 1910 eine weitere Tochter Agnes-Gonxha, die spätere Mutter Teresa. 1919 erlag der Vater nach einer Reise nach Belgrad, die er als Handwerkervertreter in der Stadtverwaltung Skopje angetreten hatte, einer Vergiftung. Obwohl die Polizei umgehend Untersuchungen anstellte, blieben die näheren Todesumstände ungeklärt. Bis heute streiten die Historiker, ob er als überzeugter „Jugoslawe“ von Albanern oder als aktiver Parteigänger eines „Groß-Albaniens“ von Serben getötet wurde.

Materiell litt die Familie Not, da ein Partner des Vaters sie um eine hohe Summe betrog. Witwe Drona verdiente mit Handarbeiten etwas hinzu, und so schlug sich die Familie durch. Auch sorgte die fromme Drona dafür, daß die stets enge kirchliche Bindung ihrer Kinder noch wuchs. Bereits als Neugeborene war Gonxha umgehend in der nahen „Herz-Jesu-Kirche“ getauft worden, wo ihr der Ortspriester Zef Ramaj den zweiten Vornamen Agnes gab. 1907 wurde sie in die einzige Katholische Grundschule Skopjes eingeschult, die mit Blick auf Niveau und Betreuung weit über dem Durchschnitt lag. Ihre ältere Schwester Aga lernte dort seit Jahren, und gemeinsam beteiligten sich beide an Schulaufführungen und weiteren Kulturaktivitäten, die alle (wie auch der gesamte Unterricht) in serbischer Sprache abliefen. Neben der Grundschule besuchte sie zudem katholischen Religionsunterricht, was keine Last war: Die rund 1500 Skopjer Katholiken waren gebildet und gut situiert, der Habsburger Kaiser Franz Joseph hatte ihre Kirchen mit einer gut dotierten Stiftung gesichert, in ihren sozialen Einrichtungen arbeiteten Ordensfrauen aus Slowenien. Die Familie Bojaxhiu hatte gute Beziehungen nach Wien, wohin Bruder Lazar zum Studium ging, um später eine steile Karriere in Albanien zu machen. Die beiden Schwestern waren auch nicht müßig: Aga besuchte die Mittlere Handelsschule, Gonxha das Skopjer Mädchen-Gymnasium, eine Schule von Niveau, die auch wegen ihrer Schuluniform berühmt war: Schwarzes Kleid mit weißem Kragen, auf dem Kopf ein Barett mit Schulemblem und Nummer der Klasse. Gonxha absolvierte die Schule mit bestem Erfolg. Bereits zuvor soll sie als Zwölfjährige den Wunsch gehabt haben, Nonne zu werden. 1925 kam der Jesuit Franjo Jambrenkovic (1883–1965) als Geistlicher nach Skopje, wo er die karitative Organisation „Solidarität der Heiligen Jungfrau Maria“ gründete. Auch der damalige Skopjer Bischof Lazar Megja wirkte in ähnlicher Weise, so daß die kleine Gemeinde der Katholiken ständigen Kontakt mit Missionaren hatte, was der späteren Mutter Teresa früh auf ihren Lebensweg wies. Aus der Skopjer Jugendzeit von Mutter Teresa sind einige Bilder überliefert, die sie als scheues, wenig attraktives und immer ernstes Mädchen zeigen. Spätere Biographen deuteten das als ersten Ausdruck ihrer religiösen Berufung, irrten aber. Gonxha Bojaxhiu litt damals an einer gefährlichen Lungenkrankheit, offenkundig an der grassierenden Tuberkulose. Das in einem engen Talkessel liegende Skopje, das im Sommer höllisch heiß und im Winter eiskalt ist, war kein gesunder Ort für Kinder, zumal Hygiene und medizinische Betreuung noch auf dem ärmlichen Niveau einer türkischen Provinzstadt lagen. Die spätere Mutter Teresa lebte weit besser als viele ihrer Altersgenossinnen, aber gesund war sie nicht, vielmehr häufig zu Genesungsaufenthalten in den Bergen gezwungen. Das dürfte auch die Ursache ihrer Zurückgezogenheit gewesen sein. Aus ihren eigenen Aussagen wissen wir, daß sie viel lieber ein ganz normales Mädchen gewesen wäre: Sie liebte Bonbons und Süßigkeiten, die ihr Vater Nikola reichlich schenkte. Sie hatte eine helle melodische Stimme, die sie bei Rezitationen und in Gesangsgruppen ertönen ließ. Sie spielte Mandoline und trug eigene Lieder vor, sie liebte hübsche Kleider, besonders des Modetrends „a la turka“, bestehend aus einen figurbetonten Oberteil und flatternden Pluderhosen. Frühe Aufnahmen zeigen sie so gekleidet, und nur auf diesen Bildern scheint sie zu lächeln.

Die Familie Bojaxhiu machte oft Ausflüge, meist zu Kirchen oder Klöstern in der Umgebung, was spätere Biographen als symptomatisch werteten. Richtiger wäre, gerade hierbei Mutter Teresa in ihrem Skopjer Element zu erkennen: Wer die Skopjer an Sonn- und Feiertagen sucht, der findet sie in Vodno, Matka, Nerezi, Crna Gora etc., klassischen Ausflugsorten, in denen ausnahmslos auch Kirchen und Klöstern stehen. Mutter Teresa, 2003 selig gesprochen, ist zu Lebzeiten mitunter massiv kritisiert worden, wobei ihr Umgang mit Geld, ihre Einstellung zur Schulmedizin und keimfreien Hygiene, ihr Verhältnis zu Medien, ihre Sicht von Völkern und Rassen und anderes gerügt wurden. Diese Kritik, so berechtigt sie gelegentlich erschien, wurde gegenstandslos, wenn man die Herkunft der Kritisierten in Rechnung stellte: So waren die Leute aus dem multiethnischen Skopje eben, das damals aus orientalischer Rückständigkeit in die Moderne gestoßen wurde. Mutter Teresa konnte und wollte nie die Jugendjahre ihrer Skopjer Prägung verleugnen, und unter ihren Kritikern war gewiß keiner der ungezählten Unglücklichen, denen Mutter Teresa und ihre „Missionarinnen der Nächstenliebe“ geholfen haben.


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