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22.12.07 / Eine Kultur des Lernens und des Friedens / Mitten im Krieg leben Juden und Araber in der »Oase des Friedens« gleichberechtigt zusammen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-07 vom 22. Dezember 2007

Eine Kultur des Lernens und des Friedens
Mitten im Krieg leben Juden und Araber in der »Oase des Friedens« gleichberechtigt zusammen
von Robert B. Fishman

Newe Shalom / Wahat al Salam, Israel. Im Eingang hängen die Hoffnungen zweier Völker: Die Kinder haben Friedenstauben mit palästinensischen und israelischen Fahnen gemalt. Ein Bild zeigt ein Männchen mit dem blauen Davidstern auf seinem Umhang und der schwarz-weiß-grün-roten Flagge der Palästinenser im Kopf. Im Zimmer der Dritten Klasse erklären bunte Kinderzeichnungen das arabische und das hebräische Alphabet. Zwei Lehrer unterrichten gemeinsam – einer in arabischer, der andere in hebräischer Sprache. Schon im Kindergarten wachsen die Kleinen zweisprachig auf. „Hier ist es egal, ob du Jude oder Araber bist“, erzählt die 15jährige Mai Shbeta. „Wirklich, ich habe jüdische und arabische Freunde, wir feiern die christlichen, jüdischen und muslimischen Feste“, beantwortet sie die fragenden Blicke eines Besuchers.

Die großgewachsene Mai mit den langen schwarzen Haaren ist so etwas wie ein Mensch gewordener Traum des Nahen Ostens. Ihr Vater ist Araber, ihre Mutter Jüdin. Die Familie wohnt in Newe Shalom oder Wahat al Salam, wie die „Friedensoase“ zwischen Tel Aviv und Jerusalem auf Arabisch heißt: Juden und Araber, Christen und Moslems leben hier gleichberechtigt miteinander. Streit gibt es nicht mehr als in jedem anderen Dorf auch.

„Als wir gekommen sind, gab es hier nichts. Nur Dornen und Steine“, erinnert sich die Schweizer Jüdin Evi Guggenheim an ihren ersten Besuch in der Friedensoase vor 30 Jahren. „Damals kamen die Leute aus Idealismus“, sagt Evi Guggenheim, die in Newe Shalom ihren späteren Mann kennengelernt hat und blieb. Wie Evis Mann Eyas stammt Rahida aus einem arabischen Dorf im heutigen Israel. Ihre Eltern sind 1948 vor den heranrückenden israelischen Soldaten mehr oder minder freiwillig geflohen. Die Armeen der drei arabischen Nachbarländer hatten den soeben ausgerufenen jüdischen Staat überfallen. Wider Erwarten eroberten die Israelis den arabischen Teil Galiläas und das Land zwischen der Küste und Jerusalem, auf dem heute die Friedensoase steht.

Den Preis für den verlorenen Krieg zahlten die arabischen Palästinenser. Jedes Jahr am 15. Mai, dem Tag der Naqhba (arabisch für „Katastrophe“), betrauern sie den Verlust ihrer Heimat, während die Juden Israels Unabhängigkeitstag feiern. Ein Datum, zwei Geschichten und viele Wahrheiten.

Rahida, die Flüchtlingstochter, lehrt jüdische und arabische Kinder in Newe Shalom beide Sichtweisen. Weil die israelischen Schulbücher die Geschichte aus der jüdischen Perspektive darstellen und die palästinensischen Flüchtlingslager nicht erwähnen, arbeitet die Schule von Newe Shalom auch mit eigenen Heften. „Wir haben den Kindern beide Versionen der Geschichte erzählt“, erinnert sich der ehemalige Schulleiter Abdessalam Najjar, und sie dann gebeten, darüber zu schreiben und zu malen. In den Folgejahren haben die Kinder den Tag selbst gestaltet – „ganz ohne Fahnen“, wie Najjar ergänzt. „Wir Erwachsenen haben dabei viel gelernt.“

Zehn Prozent der 300 Kinder, welche die Grund- und Mittelschule der Friedensoase besuchen, wohnen in Newe Shalom. Die anderen kommen aus den Dörfern in der Umgebung. Die Den Haager Soziologin Baukja van der Veen erforscht in Newe Shalom / Wahat al Salam, wie „die Kinder ihre Identität zwischen dem Konflikt draußen und den Friedenswerten in der Schule entwickeln.“ Vor allem die arabischen Schülerinnen und Schüler empfänden das Leben in der Friedensoase als frei. „Sie leben zuhause in kleineren Wohnungen in ärmeren, übervölkerten Orten, wo viele von ihnen Gewalt, Enge und Gefahr erleben. Hier dagegen können sie mit jedem angstfrei reden und sich auf dem parkähnlichen Gelände frei bewegen“, bilanziert van der Veen. Weil die arabischen Schulen in Israel schlechter ausgestattet sind als die jüdischen und die Kinder nur mit gutem Hebräisch eine Chance auf sozialen Aufstieg haben, melden vor allem arabische Eltern ihre Kinder in Newe Shalom an.

Für die jüdischen Kinder ist es, so van der Veen, „nett, wenn sie arabisch sprechen, aber nicht notwendig“. In der Oberstufe verlassen viele jüdische Kinder sogar die Klassen in Newe Shalom. An anderen Schulen hätten sie eine größere Auswahl an jüdischen Freunden und möglichen Ehepartnern. So kommen fast zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler in der Friedensoase aus arabischen Familien. Im Unterricht antworten sie oft auf Hebräisch, selbst wenn ein Lehrer sie auf Arabisch anspricht. Unbewußt haben die Kinder verinnerlicht, daß man mit Erwachsenen die Mehrheitssprache des Landes spricht.

Die Friedensoase versteht sich als „Gemeinschaft der Gleichheit in einer ungleichen Umgebung“. In den Seminaren der Friedensschule lernen junge Juden und Araber aus ganz Israel und den palästinensischen Gebieten, genauer hinzusehen. In den Work-shops und Seminaren entdecken sie die eigenen Vorurteile und die Wege, gewaltfrei damit umzugehen. „Vielleicht habe ich auch 20 Prozent islamischen Dschihad in mir“, überlegt der ehemalige Lehrer und Bürgermeister der Friedensoase Abdessalam Najjar, „aber zu 80 Prozent bin ich ein friedlicher Mensch und das stelle ich in meinen Mittelpunkt.“ In Newe Shalom gehe es nicht darum, politische Lösungen vorzuschlagen, sondern die Wahrnehmung für sich selbst und die Anderen zu schärfen.

„Wir reden hier möglichst nicht über Recht oder Unrecht, sondern über unsere Interessen und Bedürfnisse.“ Juden und Araber unterscheiden sich dann kaum noch. Sie wünschen sich Wohlstand, Frieden, Arbeit, Gesundheit oder die Versorgung mit Wasser. „Dann überlegen wir, wie wir diese Bedürfnisse für uns alle befriedigen können.“

Friedliches Miteinander: Jüdische und palästinensische Kinder im Unterricht Foto: Fishman


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