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05.01.08 / Warum gerade »Nabucco« / Projekt einer Erdgasleitung von der Türkei über den Balkan nach Mitteleuropa wirft Fragen nach der Namensgebung auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-08 vom 05. Januar 2008

Warum gerade »Nabucco«
Projekt einer Erdgasleitung von der Türkei über den Balkan nach Mitteleuropa wirft Fragen nach der Namensgebung auf

Vor mehr als einem Jahr wurde das Projekt einer Erdgasleitung bekannt, die vom Osten der Türkei über den Balkan bis nach Mitteleuropa verlaufen soll. Für welches Erdgas, könnte man fragen, scheint doch immer irgendwer dagegen zu sein: Bei zentralasiatischem Gas die Russen, bei iranischem die Amerikaner und bei irakischem die Umstände.

Aber es gibt ein weiteres Rätsel: Warum wurde für das Projekt ausgerechnet der Name „Nabucco“ gewählt? Nun, Opernfreunde wissen, daß es eine Verdi-Oper dieses Namens gibt. Der einzige einem breiteren Publikum bekannte Teil davon dürfte der „Gefangenen-Chor aus Nabucco“ sein. Und wer die Übertragungen vom Wiener Opernball verfolgt, erinnert sich vielleicht, daß dieses Stück vor ein paar Jahren im Vorspann gesungen wurde – als eine der üblichen Einlagen vor dem Kommando „Alles Walzer“.

Doch wer oder was ist Nabucco? Nabucco ist die italienische Verbalhornung der hebräischen Verbalhornung eines babylonischen Namens, den wir als „Nebukadnezar“ verbalhornen. In dem Namen steckt der babylonische Hauptgott von damals: „Nebo“ oder „Nabu“ oder so ähnlich – aus semitischen Konsonantenschriften läßt sich die Aussprache nie genau rekonstruieren. Nebukadnezar bedeutet „Nabu schütze meinen Grenzstein“ oder „Nabu schütze meinen ältesten Sohn“ – auch hier ist man sich uneins.

Nabucco bezieht sich auf Nebukadnezar II., der von 605 bis 562 v. Chr. regierte und dessen Vater Nabopolassar das „Neubabylonische Reich“ begründet hatte. Nebukadnezar herrschte über ein Gebiet, das sich vom persischen Golf bis ans Mittelmeer und von Gaza bis nach Südanatolien erstreckte. Er galt als fähiger Staatenlenker, Stratege und Bauherr – von ihm stammt unter anderem das „Ischtar-Tor“, heute im Berliner Pergamon-Museum untergebracht. Und er war so angesehen, daß er von umliegenden Völkern und Stämmen als Vermittler eingeschaltet wurde.

Als er sich anschickte, auch Ägypten seinem Reich einzuverleiben, wagte man in Judäa, im Rücken seiner Armee, den Aufstand. Der wurde aber niedergeschlagen – und es kam zur sogenannten „Babylonischen Gefangenschaft“. Da Nebukadnezar ein weiser Staatsmann war, hielt sich seine Rache in Grenzen. Er begnügte sich damit, das ideologische Zentrum und sichtbare Symbol des Aufstands, den Jerusalemer Tempel, zu zerstören und die aufmüpfige Oberschicht – und nur diese – zwangsweise nach Babylonien umzusiedeln. Die übrige Bevölkerung sollte nämlich wie alle im Reich weiterhin ein Sozialprodukt erarbeiten, das man besteuern konnte.

Die Verschleppten waren zunächst in Siedlungen nahe der Hauptstadt untergebracht. Religion und Brauchtum konnten sie beibehalten. Wie es ihnen in weiterer Folge erging, ist nur bruchstückhaft und auch nicht unbedingt in objektiver Weise überliefert. Jedenfalls handelte es sich um eine für damalige Zeiten gebildete, teilweise schriftkundige Elite – die hebräische Schrift war ja schon zwei Jahrhunderte davor aus der phönizischen, der „Mutter aller Alphabete“, abgeleitet und zur Aufzeichnung religiöser Überlieferungen herangezogen worden. So kann es wenig verwundern, daß sich in babylonischen Urkunden bald auch Hofbeamte, Kaufleute und Bankiers mit jüdischen Namen finden.

Im babylonischen Exil kamen die Juden mit mesopotanischem und altpersischem Gedankengut in Berührung, was wesentlichen Einfluß auf die weitere Entwicklung des Judentums und auf die Endredaktion der biblischen Texte haben sollte. Der „Babylonische Talmud“ entstand allerdings erst in nachchristlichen Jahrhunderten.

Da ist aber noch etwas: Die „Diaspora“ begann nicht, wie viele glauben, mit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. Sie bestand vielmehr schon in hellenistischer Zeit, wie unter anderem die „Septuaginta“ belegt. Diese zwischen 250 und 130 v. Chr. im ägyptischen Alexandria entstandene Übersetzung der hebräischen Bibeltexte ins Griechische verdankt ihre Entstehung dem Umstand, daß Hebräisch bereits eine tote Sprache war und die Juden nur Griechisch oder Aramäisch verstanden.

Ihren Anfang genommen hatte die Diaspora jedoch schon mit Nebukadnezar. Unter dessen Nachfolgern wurde das Neubabylonische Reich durch innere Konflikte geschwächt und brach 539 v. Chr. zusammen. Babylon, damals die größte Stadt der Welt, fiel dem Perserkönig Kyros II. kampflos in die Hände.

Die „Babylonische Gefangenschaft“ war damit zu Ende – doch nur ein Teil der Juden ging wieder ins karge Judäa. Denn für viele aus der dritten oder vierten Generation war Babylonien Heimat geworden. Und der Perserkönig war ihnen besonders wohlgesonnen, denn er begriff wie vor ihm Nebukadnezar und nach ihm noch etliche andere, wie nützlich kleine Minderheiten sind, wenn man ein Vielvölkerreich im Griff behalten will. Jüdische Präsenz im iranischen Hochland und in Mittelasien hat also eine lange Geschichte.

An Nebukadnezar versuchte später auch ein gewisser Saddam Hussein anzuknüpfen – eine seiner Elite-Divisionen trug sogar den Namen des Babyloniers. Doch die Berufung auf historische Vorbilder ist eine vertrackte Sache, und im heutigen Irak kräht kein Hahn nach Nebukadnezar oder seinen Nachahmern.

Daß beim Opernball 2001 just der „Gefangenenchor aus Nabucco“ zum Zug kam, war eine Spitze des Operndirektors Ioan Holender gegen die damalige blau-schwarze Regierung. Eine dank Unkenntnis meist gar nicht verstandene Bosheit. Und sogar eine doppelte Bosheit, was aber noch weniger verstanden wurde: Denn ziemlich vergessen ist, daß der Verdi-Chor einst eine antiösterreichische Hymne der italienischen Irredentisten war – in jener Zeit, als Feldmarschall Radetzky als Generalgouverneur der Lombarbei und Venetiens in Mailand residierte.

So, jetzt wissen wir also eine ganze Menge über Nabucco. Nur warum das Gas-Projekt so heißt, ist immer noch unklar. Denn vom Orient bis nach Mitteleuropa reichte das babylonische Reich nie. Auch nicht dessen Nachfolger, das persische. Nur das osmanische.     RGK


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