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05.01.08 / Rufnummer 112 allein reicht nicht / Jedes Jahr sterben Tausende Notfallpatienten, weil sie vergeblich auf Erste Hilfe warteten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-08 vom 05. Januar 2008

Rufnummer 112 allein reicht nicht
Jedes Jahr sterben Tausende Notfallpatienten, weil sie vergeblich auf Erste Hilfe warteten
von Haiko Prengel

Im Notfall zeigt sich, wie medizinische Versorgung auf höchstem Niveau aussieht. Durchschnittlich acht bis zwölf Minuten vergehen nach dem Wählen der Rufnummer 112 hierzulande, bis ein Rettungswagen samt Hightech-Equipment am Unfallort eintrifft. Kaum anderswo auf der Welt wird Verunglückten so rasch und adäquat geholfen.

Voraussetzung ist allerdings, daß Laien den Patienten bis zum Eintreffen des Rettungswagens mit Basismaßnahmen versorgen. Gerade bei lebensgefährlichen Zuständen wie nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall kommt es auf jede Minute an: „Bleibt die Erste Hilfe in den Anfangsminuten aus, kann auch der beste Rettungsdienst oft nichts mehr machen“, sagt Detlef Blumenberg, Anästhesist am Klinikum Osnabrück und Vorsitzender der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands.

Zehn Millionen Notfälle ereignen sich alljährlich, sei es im Verkehr, bei der Arbeit oder im Haushalt. Aber nicht einmal in drei Prozent der Fälle schreiten nach Angaben von Blumenberg Laien zur Tat und leisten Erste Hilfe. Notärzte sprechen vom therapiefreien Intervall, und das endet oft tödlich: Allein 100000 Personen fallen pro Jahr dem plötzlichen Herztod zum Opfer – „auch deshalb, weil die Mehrzahl der Bevölkerung glaubt, daß mit dem Absetzen des Notrufs die Erste-Hilfe-Maßnahmen erledigt sind“, bemängelt Blumenberg.

Doch beim Kreislaufstillstand reicht der Griff zum Handy nicht aus. Sofort danach muß mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung begonnen werden. Wenn der Notarzt erst zehn Minuten nach dem Unglück mit der Reanimation anfängt, ist es in der Regel zu spät. Schon wenige Minuten nach einem Herzstillstand treten irreversible Hirnschäden ein. Mehr als zehn Minuten ohne Sauerstoff überlebt kaum jemand.

Würden mehr Menschen in Deutschland fit in Erster Hilfe sein, könnte die Überlebensrate bei Notfallpatienten nach Angaben von Blumenberg „drastisch gesteigert“ werden. Wie eine adäquate Erstversorgung aussieht, kann man bei einem Erste-Hilfe-Kurs lernen. Für den Erwerb des Führerscheins ist die Teilnahme am Lehrgang „Lebensrettende Sofortmaßnahmen am Unfallort“ sogar Pflicht. „Laut einer Umfrage haben 80 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens sich auch einmal in Erster Hilfe ausbilden lassen“, sagt Stefan Osche, Rettungsassistent und Erste-Hilfe-Referent beim Bundesverband des Deutschen Roten Kreuzes in Berlin. Doch im Schnitt liege dieser Kurs 15 Jahre zurück. Wenn dann etwas passiert, könnten sich nur noch die wenigsten daran erinnern, wie eine stabile Seitenlage oder Herzdruckmassage funktioniert.

Experte Osche rät deshalb dazu, die eigenen Erste-Hilfe-Kenntnisse alle zwei Jahre aufzufrischen. Große Hilfsorganisationen wie DRK, Johanniter-Unfall-Hilfe, Malteser oder Arbeiter-Samariter-Bund bieten Lehrgänge an. Doch es sind nicht nur die mangelnden Fachkenntnisse, die aus Unfallzeugen passive Gaffer machen anstatt engagierte Lebensretter.

„Eigentlich ist die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung extrem groß. Doch die Umsetzung scheitert meist an der Angst, etwas falsch zu machen“, berichtet Notarzt Blumenberg. Viele wollen sich nicht blamieren und bleiben lieber Zuschauer. Andere fürchten, den Verunglückten mit falsch ausgeführten Hilfsmaßnahmen zu verletzen. „Dabei kann man bei einem bewußtlosen Menschen eigentlich nichts falsch machen“, sagt DRK-Experte Osche.

Auch juristisch sei die Lage klar: Laut Strafgesetzbuch könne man wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden, nicht aber wegen etwaiger Fehler. „Es geht nicht darum, daß man alles richtig macht“, versichert der Rettungsassistent, „sondern daß überhaupt geholfen wird.“

Um die Hemmschwelle zu senken, haben Osche zufolge alle Hilfsorganisationen vor einigen Jahren die Maßnahmen zur Erstversorgung vereinfacht. Bei der Schulung der Herzdruckmassage beispielsweise ist man davon abgewichen, von einem bestimmten Druckpunkt auszugehen, der mit den Fingern zentimetergenau ermittelt werden muß. „Wenn die Leute in der Mitte des Brustbeins ansetzen, ist schon viel gewonnen“, sagt Osche.

Und das sollte möglichst schnell erfolgen. Studien hätten gezeigt, daß die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einem Kreislaufstillstand ohne Hilfe mit jeder Minute um zehn Prozent sinkt. Somit sei es für das Wohl des Patienten grundsätzlich besser, wenn man ihm „irgendwie“ helfe als gar nicht. „Die möglichen Komplikationen bei der Ersten Hilfe stehen in keinerlei Relation zu den Folgen eines Nichtstuns“, unterstreicht Osche.

 

Wie funktioniert die Herz-Lungen-Wiederbelebung?

Bei bewußtlosen Personen besteht die Gefahr eines Kreislaufstillstandes. Deshalb muß schnellstmöglich gehandelt werden. Reagiert der Verunglückte weder auf Ansprache noch Rütteln an seinen Schultern, gilt es zunächst die Atmung zu überprüfen. Wenn sich sein Brustkorb innerhalb von zehn Sekunden nicht hebt und senkt und auch unmittelbar über Mund und Nase des Betroffenen keine Atemgeräusche spürbar sind, setzt man einen Notruf ab und beginnt mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung. Diese beinhaltet Herzdruckmassage und Beatmung in regelmäßigem Wechsel. Zunächst erfolgt die Herzdruckmassage. Man kniet sich neben den Betroffenen in Höhe des Brustkorbs und setzt den Ballen einer Hand auf das untere Drittel des Brustbeins (Mitte des Brustkorbs) auf. Den Ballen der anderen Hand plaziert man auf die erste Hand. Anschließend drückt man den Brustkorb mit gestreckten Armen senkrecht von oben durch Gewichtsverlagerung des eigenen Oberkörpers 30 mal zirka vier bis fünf Zentimeter tief ein.

Für die Beatmung neigt man den Kopf der bewußtlosen Person nach hinten und hebt gleichzeitig ihr Kinn an. Dadurch werden die Atemwege freigelegt. Mit Daumen und Zeigefinger der an der Stirn liegenden Hand verschließt man den weichen Teil der Nase, öffnet den Mund des Bewußtlosen und legt darum dicht die eigenen Lippen. Anschließend bläst man zweimal Luft über jeweils einen Zeitraum von einer Sekunde gleichmäßig in den Mund des Betroffenen, so daß sich der Brustkorb sichtbar hebt. Setzt die Atmung wieder ein, dreht man den Verunglückten in die stabile Seitenlage.

Bleibt die Atmung aus, führt man die Wiederbelebungsmaßnahmen (abwechselnd 30mal Druckmassage und zweimal Atemspende) bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes fort.

(Quelle: Deutsches Rotes Kreuz: www.drk.de/erstehilfe)


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