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05.01.08 / Adlig sein ist in Rußland wieder modern / Während sich in der Sowjetära Adlige als Bürgerliche ausgaben, geschieht heute das Gegenteil

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-08 vom 05. Januar 2008

Adlig sein ist in Rußland wieder modern
Während sich in der Sowjetära Adlige als Bürgerliche ausgaben, geschieht heute das Gegenteil
von Wolf Oschlies

Doch, doch, Lenin war Adliger. Sein Vater Ilja Uljanow gehörte als hoher Beamter der russischen Schulverwaltung dem „niederen“ oder „Dienstadel“ an, was sich Lenin später nicht ungern nutzbar machte, wenn er wieder einmal Zusammenstöße mit der Polizei des Zaren zu überstehen hatte. Ob er freilich posthum in die „Russische Adelsversammlung“, die Fürst Andrej Golizyn im Mai 1990 gegründet hat, aufgenommen wird, ist fraglich.

Westeuropäische Adlige sind an Titeln oder Namenszusätzen leicht auszumachen, russische nicht, und den Adel als einzige soziale Kategorie hat es nie gegeben. Im alten Rußland existierten einige historische Fürstengeschlechter und die große Gruppe der „Bojaren“. Diese, deren Name sich vom Wort „boj“ (Kampf) ableitet, besaßen weder erblichen Adel noch festen Grundbesitz, mußten aber die Leibwache des Herrschers stellen und ihn mittels einer Fürsten-Duma beraten. Oberste russische Instanz war der „Fürst von Moskau und ganz Rußland“, erst Iwan der Schreckliche nahm 1547 den Titel „Zar“ an, den vorher nur altbulgarische und altserbische Herrscher getragen hatten. Peter der Große fand 1721 mehr Gefallen an dem Titel „Imperator und Selbstherrscher aller Russen“ und ordnete den Adel.

Dazu trug bei, daß der Zar und die Bojaren in wechselseitigem Haß verbunden waren. Im Mai 1698, während Peters legendärer Hollandreise, hatte die Bojarenwache der „Strelitzen“ (Schützen) gegen den Zaren geputscht, was dieser damit vergalt, daß er nach seiner Rückkehr allen Bojaren mit dem „poskjob“, einer breiten Flachzange, die Bärte ausreißen ließ und kurz darauf alle Standesprivilegien aufhob. 1721/22 führte er mit seiner „Rangtabelle“ den Dienstadel im Militär- oder Zivildienst ein: Je nach Dienstrang oder verliehener Auszeichnung bekam man den persönlichen oder erblichen Adel, was die Zahl der Adelsgeschlechter von 3000 auf 100000 anhob. An ihrer Spitze standen der Zar und seine engere Familie (Zarin, Zarewitsch), dann kamen die Großfürsten (Mitglieder des Herrschergeschlechts) und weiter ging es herab über Fürsten, Grafen und Barone zu den unbetitelten Adligen.

Ende des 19. Jahrhunderts wiesen Volkszählungen in Rußland 150000 Adelsgeschlechter mit insgesamt anderthalb Millionen Angehörigen aus. Wo sind die geblieben? Laut Aleksandr Koroljow-Pereleschin, Vizechef der „Russischen Adelsversammlung“, traten dieser bislang 14500 Mitglieder bei. Vor die Mitgliedschaft haben die Götter Diplome und Bestätigungen gesetzt, daß jemand Adliger oder Nachfahre eines Adelsgeschlechts ist, was die Versammlung streng prüft. Zu Sowjetzeiten war es lebensgefährlich, als Adliger erkannt zu werden, weswegen viele ihre Abkunft verheimlichten und Dokumente vernichteten.

Heute würden sie das gern rückgängig machen, denn Adel ist in Rußland gefragt – so sehr, daß windige Titelhändler Hochkonjunktur haben. Deren Ahnherr war ein gewisser Aleksej Brumel, der sich selber zum „Zaren Aleksej I., Herrscher aller Reußen“ ausrief und für schweres Geld Adelsbriefe verkaufte. Als er vor Jahren starb, trat ein Herr Bugaew, der sich als Abkomme des Adelshauses Ponjatowski ausgibt, an seine Stelle. Ein russisches Gesetz, das ihn und seinesgleichen belangen könnte, gibt es nicht, aber die Adelsversammlung stellt sich den Brumel, Bugaew & Co. wirksam in den Weg. Mehrfach hat sich Bugaew, „im Frack voller selbstverliehener Orden“, um Kontakte zur Versammlung bemüht, stets vergeblich. Ein exklusiver Klub ist die Versammlung nicht, vielmehr hat sie in letzter Zeit zahlreiche Prominente aufgenommen: den Schriftsteller Wladimir Solouchin, den Schauspieler Aleksej Batalow, den ehemaligen Außenhandelsminister Viktor Jaroschenko, was eine besondere Geschichte ist.

Am 22. August 1991 wurde in Moskau erstmals die weiß-blau-rote Trikolore gehißt, die das rote Tuch mit Hammer und Sichel ersetzte. Das war ein persönlicher Sieg von Minister Jaroschenko, der damit Premier Silajew und Präsident Jelzin ständig in den Ohren gelegen und sein Arbeitszimmer bereits mit einer solchen Flagge dekoriert hatte. 1992 wurde Jaroschenko als russischer Handelsvertreter nach Paris geschickt, wo er im Gebäude seiner Repräsentanz ein „Museum der russischen Flagge“ einrichtete. Derzeit lebt er als unabhängiger Geschäftsmann in Frankreich.

Russischer Adliger wird man zumeist durch die Verleihung eines hohen Ordens, allen voran der Orden „Wundertätiger Nikolaj“, den „Exil-Imperator“ Kyrill gestiftet und ursprünglich nur für Teilnehmer des Ersten Weltkriegs vorgesehen hatte. Die starben aus, der Ordensstifter starb, neue Chefin des „Russischen Zarenhofs“ im Exil wurde Großfürstin Maria. Bei der sprachen 2001 die Generäle Anatolij Kwaschnin und Valerij Manilov vor, die beiden Generalstabschefs der Russischen Föderation. Sie wollten den Orden „mit etwas verändertem Statut“ übernehmen, ihn exklusiv an Militärs verleihen. Die Großfürstin hatte nichts dagegen, die Russische Orthodoxe Kirche gab ihren Segen dazu und die beiden ersten „Kavaliere“ des alt-neuen Ordens wurden die Generäle Kwaschnin und Manilov, die so auch den „erblichen Adel“ erwarben. Kann man so eine Geschichte erfinden?

Neben dem „Wundertätigen Nikolaj“ bestehen weitere Orden von adelndem Rang, ganz besonders der „Orden der Heiligen Anna“, 1735 gestiftet von Herzog Karl-Friedrich von Holstein-Gottorf, der mit der Russin Anna, Tochter Peter des Großen, verheiratet war. 1742 wurden sein Sohn Karl russischer Thronfolger, später Zar Peter III., und der Orden russisches Eigentum. Das ist er noch oder wieder, und sollte er (sagt Versammlungs-Vize Koroljow-Pereleschin) Präsident Putin verliehen werden, dann würde dieser umgehend „Mitglied des Russischen Zarenhauses und einer der Thronfolger“. Und dann? Dann wird wohl die alte Hymne zu neuen Ehren kommen: „Boshe, Zarja chrani“ (Gott, schütze den Zaren), die bislang nur im Schlußsatz von Tschajkowskijs Symphonie „1812“ erklingt.

Foto: Die Zarenfamilie: Sie stand an der Spitze der Adelspyramide, gefolgt von den Großfürsten (Mitgliedern des Herrschergeschlechts), den Fürsten, den Grafen, den Baronen und den unbetitelten Adligen.


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