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12.01.08 / Der Anfang vom Ende / Luxemburg-Liebknecht-Demo: Vor 20 Jahren läuteten Ausreisewillige den Untergang der DDR ein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-08 vom 12. Januar 2008

Der Anfang vom Ende
Luxemburg-Liebknecht-Demo: Vor 20 Jahren läuteten Ausreisewillige den Untergang der DDR ein
von Harald Fourier

Es ist kalt an diesem Sonnabend im Januar 1988. Reinhard Schult schaut aus seiner Wohnung in der Husemannstraße 3 in Ost-Berlin. „Ich gucke von meinem Balkon runter. Kolleje kommt vorbei, will mit Vera Wollenberja zur Demo“, berlinert er.

Doch Schult traut seinen Augen kaum: An dem Kumpel „hängen acht Spitzel dran“. So war das vor 20 Jahren in Ost-Berlin. Regimegegner wurden verfolgt und bespitzelt, schließlich planten einige von ihnen damals einen großen Coup: die Teilnahme an der SED-Demonstration für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Am morgigen Sonntag demonstrieren sie wieder, die Linksgenossen. Mitten im kalten Berlin ist das zweite Januarwochenende stets für die erste politische Großdemo des Jahres reserviert. Dann gedenkt die Linke (früher SED, dann PDS) der beiden getöteten Kommunistenführer.

1988 nutzten überwiegend Ausreisewillige die staatlich verordnete „Kampfdemonstration“, um auf die Verlogenheit der roten Diktatur hinzuweisen. Die damalige Aktion auf der Liebknecht-Luxemburg-Demo wird von Bürgerrechtlern heute zwar kritisch gesehen. Doch sie wird dennoch als Auftakt für eine Serie von öffentlichen Kritikäußerungen im SED-Staat angesehen, die 1989 in der Herbstrevolution mündete.

Es begann Ende 1987, als international die Zeichen längst auf Entspannung standen. Am 25. November holte die SED-Staatsmacht zu einem großen Schlag gegen das kleine Häufchen Bürgerrechtler von der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) aus. Im Rahmen der „Aktion Falle“ wurden mehrere Räume durchsucht und Personen verhaftet. Die Kommunisten drohten den „Delinquenten“ Berufsverbot an, sofern sie nicht sowieso schon damit belegt waren. Gleichzeitig wurden sie zur Ausreise gedrängt. Für prominente Regimekritiker stand der Weg in den Westen stets offen – man wollte sie loswerden, damit sie die DDR nicht weiter mit dem demokratischen Virus infizieren konnten.

Viele Ausreisewillige wußten das und suchten deshalb die Nähe zu den Regimegegnern, die ja allen Widrigkeiten zum Trotz im Land bleiben und dort für Veränderungen streiten wollten. „Die haben sich an uns rangehängt, um ihre Ausreise zu beschleunigen“, erinnert sich Freya Klier.

Die, die partout im SED-Staat bleiben wollten, planten wie Bärbel Bohley Versammlungen und Solidaritätsandachten für die Inhaftierten. Die Regisseurin Freya Klier initiierte einen Künstlerappell. Die „Aktion Falle“ hatte die Bürgerrechtler zusammengeschweißt. „Das war ein Erfolgserlebnis“, sagt Freya Klier heute über die Wochen danach.

Eine ganz besondere Provokation sollte die SED-Führer ins Mark treffen: Wolfgang Templin, Bürgerrechtler der ersten Stunde, der während der Operation „Falle“ zeitweise unter Hausarrest stand, über die Planungen zur Rosa-Luxemburg-Demo: „Die Idee, diese zentrale Identifikationsdemo zu sprengen, spukte schon länger in den Köpfen herum.“

Doch Markus Meckel (SPD), der spätere DDR-Außenminister unter Lothar de Maizière, war wenig begeistert: „Ich hielt das für keine so wahnsinnig kluge Idee. Das Bild im Fernsehen war gut, bot aber keine Perspektive.“

SED-Gegner zeigten auf der Demo am 17. Januar unter anderem ein Plakat mit dem Rosa-Luxemburg-Zitat: „Freiheit ist immer auch Freiheit des Andersdenkenden.“ Freya Klier ist heute noch stolz auf den Spruch. „Das habe ich ausgesucht.“ Dennoch sagte sie ihre Teilnahme ab. Auch die meisten anderen prominenten Bürgerrechtler (Ausnahme: Vera Wollenberger, jetzt Lengsfeld) blieben fern.

Die Stasi war wie so oft bestens informiert über die geplante Aktion. Als präventive Maßnahme wurden ARD- und ZDF-Kamerateams mit MfS-Statisten, sogenannten „Wink-Elementen“, umstellt. Gegen die „Störenfriede“ (Deckname der Stasi-Aktion) gingen Uniformierte und Zivilpolizisten vor. 120 wurden verhaftet, 25 „ausgebürgert“. Zu den Verhafteten gesellten sich eine Woche später auch noch Freya Klier und Bärbel Bohley.

Der Protest auf der Luxemburg-Liebknecht-Demo wurde also kaum von den Bürgerrechtlern angeführt. Es waren die Ausreisewilligen, die kamen und die die SED-Mächtigen bis aufs Blut provozierten. Und es war die Ausreisewelle, die die DDR ein Jahr später zusammenbrechen ließ.


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