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12.01.08 / Musterknabe und auch Sorgenkind / Das kleine, fragile Slowenien hat die EU-Präsidentschaft übernommen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-08 vom 12. Januar 2008

Musterknabe und auch Sorgenkind
Das kleine, fragile Slowenien hat die EU-Präsidentschaft übernommen
von Wolf Oschlies

Kein Silvesterscherz: Ende Juli 2007 ernannte Präsident Bush den gebürtigen Slowaken Vincent Obsitnik zum US-Botschafter in der Slowakei, die er schlicht mit Slowenien verwechselt hatte. Das passierte Westeuropäern nicht mehr, die sich seit dem 1. Januar 2008 in Hymnen ergehen. Slowenien, der „Musterknabe“, das „Erfolgsmodell“, übernimmt bis 30. Juni die EU-Präsidentschaft, wofür es sich durch eine lupenreine Europa-Karriere qualifizierte: März 1998 Beginn der Beitrittsverhandlungen, 1. Mai 2004 EU-Beitritt, 1. Januar 2007 Euro-Einführung, 21. Dezember 2007 Schengen-Beitritt – alles Leistungen, die der kleinen Alpenrepublik, so groß wie Sachsen-Anhalt und mit zwei Millionen Einwohnern weniger bevölkert als Mecklenburg-Vorpommern, keins der zwölf neuen EU-Mitglieder nachmacht. Unter Sloweniens Führung kann es nur vorwärts und aufwärts gehen, besagt einmütiger EU-Tenor.

In diesem Jubelchor fehlen die Slowenen, die zwar gut leben (2006 Bruttoinlandsprodukt von 15170 Europa pro Kopf und Jahr), aber diese gute Lage gefährdet sehen. In jüngsten Umfragen bekundeten zwei Drittel von ihnen, doppelt so viele wie im Vorjahr, daß „das Leben in Slowenien schlechter als 2006 war“, knapp die Hälfte war überzeugt, daß „2008 noch schlechter wird“. Dieser Pessimismus wird durch Expertengutachten und Regierungsprogramme gestützt: Slowenien, 13. Mitglied der Euro-Zone, weist mit 5,7 Prozent Teuerung, doppelt so viel wie 2006, deren höchste Inflationsrate auf – was den Maastrichter Inflationskriterien so zuwider läuft, daß es die Euro-Zone wieder verlassen müßte –, durchsteht derzeit eine Teuerungswelle bei Nahrungsmitteln und Energie, die dank steigender Ölpreise 2008 noch wachsen wird, ist zudem mit rückläufigem Wachstum, höherer Verschuldung und abflachender Konkurrenzfähigkeit konfrontiert. Das geschieht in einem Land, das sich im August 2006 ein radikales Reformprogramm verordnete, um die Bürden der Vergangenheit abzuwerfen: zentralistischer Staatsaufbau, bürokratische Verwaltung, überhoher Staatsanteil an der Wirtschaft, unflexibler Arbeitsmarkt, restriktiv regulierte Marktwirtschaft, mangelnde Unternehmerförderung, Druck auf Medien etc. 

Unter dem Aspekt dieser „Hausaufgaben“ kann Slowenien die jetzige Präsidentschaft nur schaden, denn die wird für sechs Monate alle Energien der Regierung absorbieren. Danach folgt keine Erleichterung, denn im Herbst stehen Parlamentswahlen an, die wohl einen Machtwechsel bringen werden. Seit November 2004 ist die Mitte-Rechts-Koalition aus Demokraten, Christdemokraten und zwei kleineren Parteien an der Macht, denen Demoskopen rapiden Prestigeverlust, partiell auch Scheitern an der Vier-Prozent-Hürde prophezeien. Zugelegt haben Sozialdemokraten, von Null auf elf Prozent katapultierte sich die erst im September gegründete wirtschaftsliberale „Zares“ (Wahrhaftigkeit). Kurz: Das Jahr 2008 verspricht, für Sloweniens längerfristige Konzeptionen und Strategien verlorenzugehen, da man mit europäischen Aufgaben allzu beschäftigt ist.

Diese Aufgaben sind zum Verzweifeln schwer, ganz besonders das Vorhaben, die bislang lahme Lissabon-Strategie, die EU bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen und sie in eine Innovations- und Wissensgesellschaft zu verwandeln, endlich flott zu machen. Theoretisch könnte Slowenien hier seine eigenen Erfahrungen mit radikalem Systemwandel einbringen: In Ex-Jugoslawien war die kleine Republik Wirtschaftsgigant, der mit 15 Prozent Bevölkerungsanteil knapp 40 Prozent des industriellen Exports schaffte. Aber Jugoslawien zerbrach und Slowenien machte rigorosen Hausputz, nach welchem seine ökonomische Wertschöpfung nur noch zu 32 Prozent von der Industrie, aber zu 60 Prozent von Dienstleistungen erbracht wird (Daten 2006). So ähnlich stellt sich die EU ihre Strategie in der Globalisierung vor, aber daß sie es unter Führung Sloweniens, ihres viertkleinsten Mitglieds, schaffen kann, glauben nicht einmal die Slowenen selber. Ähnlich und schwerer noch steht es um Energie- und Klimafragen, bei denen Slowenien schon mit Blick auf seine vergleichsweise geringen Finanzmittel überfordert erscheint. Es hat ja jetzt schon Schwierigkeiten, die neuen Aufgaben in der EU (und als deren Vertreter in der Uno) auch nur personell abzudecken, hat darum gern Hilfsangebote Frankreichs und anderer Partner angenommen und will die Hunderte Treffen, Beratungen etc., die unverrückbar auf der Agenda stehen, möglichst informell und kostengünstig abwickeln.

In einem Aufgabenbereich kann und sollte Slowenien Erfolg haben, dem neuen EU-Konzept für den West-Balkan. Nationalistisches Denken in den Kategorien von Land und Volk sowie Streben nach ethnischer Superiorität haben den West-Balkan zu einer Zeitbombe gemacht, wie sich vor allem am Kosovo zeigt. Dessen Präsident Fatmir Sejdiu hat Slowenien am 3. Januar aufgefordert, dem Kosovo zur uneingeschränkten Souveränität zu verhelfen. Genau das wird und darf Slowenien nicht tun, da die EU immer noch dem Ahtisaari-Plan einer überwachten Unabhängigkeit des Kosovo anhängt, im Grunde aber keine Realisierungschance für diesen sieht: Rußland wird ihn in den UN blockieren, einige EU-Mitglieder werden ihn ablehnen, Serbien ist dabei, seine Beziehungen zu EU und Nato einzufrieren, wenn diese es zwingen, auf das Kosovo, also auf 15 Prozent des Territoriums, zu verzichten. Unter diesen heterogenen Positionen kann das Balkanland Slowenien viel Ausgleichsarbeit leisten.

Damit kann es sofort bei seinem südlichen Nachbarn beginnen. Zu Jahresbeginn proklamierte Kroatien eine nationale „Zone“ in der Adria, die auch Schiffe aus EU-Ländern zu respektieren haben. Damit brach Zagreb ein völlig anders lautendes Versprechen, das es der EU 2004 gab. Aber die rechts-autoritäre Regierung Kroatiens kann nach den jüngsten Wahlen nur im Bündnis mit Nationalisten weiter regieren, und die bestanden auf dieser Ausweitung kroatischer Hoheit in der Adria und gegen die gesamte EU. Vergebens machten Danilo Türk und Janez Jansa, Präsident und Premier Sloweniens, Kroatien darauf aufmerksam, daß es damit seine ohnehin geringen EU-Beitritts- chancen weiter mindere. Kroatien revoltiert gegen die EU, deren neuer Präsident Slowenien muß das Problem lösen.

Die Fülle der Aufgaben lassen die inneren Mängel Sloweniens gnädig übersehen: seine Fremdenfeindlichkeit (das Land nimmt so gut wie keine Asylbewerber auf), seinen Nationalismus (unter dem besonders nationale Minderheiten wie die Deutschen zu leiden haben), seine aggressiven Rechtsverstöße (etwa die Vertreibung von 30000 Serben vor 15 Jahren, die bis heute trotz verfassungsgerichtlicher Verurteilung der Republik nicht rückgängig gemacht wurde) und anderes mehr. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand, sagte Luther. Luthers bester slawischer Schüler war der Slowene Primos Trubar (1508–1586), dessen Bibelübersetzung die Slowenen erst zu einer Sprach- und Kulturnation machte. Trubar mußte 20 Jahre in Tübingen leben, weil ihm die Heimat versperrt war. 2008 werden die Slowenen seinen 500. Geburtstag feiern, dabei hoffentlich auch Trubars Humanität zu der ihren machen.

Foto: Übergabe: Der portugiesische Außenminister übergibt die EU-Fahne an seinen slowenischen Kollegen.


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