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12.01.08 / Vergessene Geistesgröße? / Erinnerung an Ernst Jünger

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-08 vom 12. Januar 2008

Vergessene Geistesgröße?
Erinnerung an Ernst Jünger

Vor kurzem berichtete Hubert Spiegel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ darüber, daß Ernst Jüngers Haus, die Oberförsterei in Wilflingen, dringend sanierungsbedürftig sei. Wie sieht es aber um Jüngers geistiges Erbe, sein Vermächtnis aus – wenige Monate vor seinem zehnten Todestag am 17. Februar 2008? Ungefähr zeitgleich beschäftigen sich zwei große Biographien mit Leben und Werk der Jahrhundertfigur. Der „Welt am Sonntag“-Redakteur Heimo Schwilk gewinnt die „Schlacht“ gegen den Heidelberger Germanisten Helmuth Kiesel nach Punkten.

Es ist schon ein Fortschritt, daß sich heute niemand mehr dafür entschuldigen muß, sich mit Jünger zu beschäftigen oder ihn zu lesen. Schwilk wie Kiesel konnten zudem wichtige neue Dokumente einsehen. Außerdem hat – wie gesagt – „die Polarisierung nachgelassen“, so daß eine Auseinandersetzung mit den Schriften und den Taten des Soldaten, Dichters, Dandys, Käfersammlers und fanatischen Lesers nicht sofort zu einer erhitzten Kontroverse ausufern.

Die Mehrheit der Rezensenten bestätigt dem Literaturwissenschaftler Kiesel zwar, daß er das Werk Jüngers akribisch beleuchtet. Allerdings schafft er es nicht, sich von seinem akademischen Duktus zu lösen. Schwilk hingegen profitiert von seiner persönlichen Bekanntschaft mit Jünger, der intimen Kenntnis seiner Tagebücher und von seiner journalistischen Erfahrung: Kurzum, er ist der ungleich bessere Erzähler.

In seinem Vorwort macht Schwilk deutlich, daß Jünger für die Generation nach 1968 so etwas wie „einen Prüfstein der Gesinnung“ darstellte. Am Rande sei vermerkt, daß Ex-Außenminister Joseph Martin Fischer in der linksradikalen Zeitschrift „Pflasterstrand“ den zeitweiligen Drogen- und Gewaltverherrlicher Jünger zum Vorbild der Studentenbewegung erkor. Man kann sich seine Fürsprecher nicht aussuchen.

Auf Grundlage der authentischen Quellen kann der Biograph erstmals zeigen, daß die Schule Jünger weit schwerer traumatisiert hat als die Erlebnisse und das Grauen des Ersten Weltkrieges: „Prüfungsträume werden noch den Greis aufschrecken lassen.“ Daß er in der bürgerlichen Institution Familie nie so etwas wie bürgerliche Stabilität erfährt, wird sich auf seine spätere Haltung auswirken.

Die Mobilmachung war für Jünger wie eine Erlösung. Und ohne Zweifel bewies er in den Schlachten des Ersten Weltkriegs großen Mut. Die höchste Auszeichnung Pour le mérite ist ein Ausweis dafür. Doch trotzdem ging seine Rechnung, in jeder Lebenslage Kälte und Distanz zu bewahren, nicht immer auf.

Man muß es unumwunden zugeben: Manchmal wirkt Ernst Jünger recht unsympathisch. Sein Lieblingssohn wurde von den Nazis in ein Himmelfahrtskommando geschickt, und das Haus in Kirchhorst wird von ausgebrochenen russischen, polnischen und französischen Gefangenen sowie amerikanischen GIs belagert. Doch der Herr des Hauses überläßt alles seiner Frau Gretha, der er zuvor mit seinen Pariser Liebschaften auch noch untreu war. Auch als sie an einem Krebsleiden erkrankt, das schließlich zum Tode führt, läßt der Gatte sie bis kurz vor dem Tod im Stich und lebt seine Weltfremdheit und seine Depressionen aus.

Positiv vermerkt werden muß jedoch Jüngers charakterliche Standhaftigkeit in anderen, weltanschaulichen Fragen. Jünger war nie ein Demokrat, er war auch kein Widerstandskämpfer, doch anders als Benn, Schmitt und Heidegger hat er nach 1933 zu keinem Zeitpunkt mit dem Dritten Reich geliebäugelt.

Seine Soldatenzeit im Zweiten Weltkrieg hat völlig anders ausgesehen als zwischen 1914 und 1918. Zwischen 1940 und 1944 führte er nämlich das „wenig heroische, dafür um so dandyhaftere Leben eines Besatzungsoffiziers in Paris, wo er sich zwischen Affären, Antiquitätenhändlern und Salons zum teilnahmslosen Beobachter der ‚Katastrophe‘ stilisierte“ (Thomas Hajduk).

Was bleibt von Jünger? Es hat nicht den Anschein, als stünden anläßlich seines zehnten Todestages noch einmal große Kontroversen ins Haus.

Das Bild des über 100jährigen Greises hat das des Autors von „In Stahlgewittern“ verdrängt. Auch wenn vor ein paar Jahren seine wirklich schrecklichen und oft auch schlechten Schriften aus der Weimarer Zeit in einem 1000 Seiten starken Wälzer veröffentlicht wurden, so richtig hoch geht der Puls in der feuilletonistischen Debatte deshalb nicht.

Jünger hat „sein Jahrhundertleben“ zwischen 1895 und 1998 gelebt. Das 21. Jahrhundert wird wieder andere Geistesgrößen kennen.

Vielleicht ist Heimo Schwilks glänzend geschriebene und recherchierte Biographie also eher ein Schlußpunkt als der Beginn einer neuen Debatte über Ernst Jünger.             Ansgar Lange

Heimo Schwilk: „Ernst Jünger – Ein Jahrhundertleben“, Piper Verlag, München 2007, 624 Seiten, 24,90 Euro, Best.-Nr. 6502


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