© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-08 vom 19. Januar 2008

Lebwohl, altes Haus

Es hatte schon schönere Zeiten erlebt, das alte Haus in der Straße mit den hochgewachsenen Kastanien. Zwischen seinen Schwestern, die mit ihren schmucken Fassaden Staat machen wollten, sah es immer schon ein wenig wie Aschenputtel aus. Schon lange machte es wenig her in diesem Viertel, das zu den vornehmsten in der alten Hansestadt gehörte. Aber was hatte schon das Äußere zu sagen – auf die inneren Werte kam es schließlich an.

In den Häusern mit schöner Fassade lebten vornehme, so schien es, Menschen. Es waren junge Paare mit kleinen Kindern oder ebenso kleinen Hunden, die unermüdlich kläfften, wenn sie in den Garten gelassen wurden. In dem alten Haus aber war seit gut fünf Jahrzehnten buntes Leben. Dort gingen Menschen ein und aus, die alle ein gemeinsames Ansinnen hatten. Die meisten von ihnen hatten ihre Heimat im Osten Hals über Kopf verlassen müssen, daran wollten sie erinnern. Es kamen alte Menschen in das Haus, die diese schreckliche Zeit noch erlebt hatten, aber auch junge, die helfen wollten, die Erinnerung wachzuhalten. Einige waren mit den Jahren selbst darüber alt geworden.

Es gab kaum Zeit, Trübsal zu blasen, denn es war ein meist munterer Haufen, der sich in dem alten Haus versammelt hatte. Und es gab Zeiten, da wußte man die Feste zu feiern, wie sie fielen. Ein zauberhafter Garten lud geradezu ein, dort im Sommer in froher Runde beisammen zu sitzen. Und manch illustrer Gast ließ es sich nicht nehmen, dabeizusein.

Nun aber war sie vorbei, die gemeinsame Zeit. Die Menschen verließen das alte Haus – für immer. Gewiß, nicht jeder hatte Tränen in den Augen, als es hieß, das Bündel zu schnüren und die neuen Büros aufzusuchen. Auf zu neuen Ufern! Das Knarren der Dielen, der zugegeben manchmal muffige Geruch, der Blick auf die blühenden Kastanien, der verwunschene Garten – all das wird fehlen, altes Haus, lebwohl!           SiS