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19.01.08 / Wie man Pestheiliger und Schützenpatron wird / Die Art seines Martyriums bewirkte, daß sich der Heilige Sebastian bei den unterschiedlichsten Volksgruppen großer Beliebtheit erfreute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-08 vom 19. Januar 2008

Wie man Pestheiliger und Schützenpatron wird
Die Art seines Martyriums bewirkte, daß sich der Heilige Sebastian bei den unterschiedlichsten Volksgruppen großer Beliebtheit erfreute
von Manfred Müller

Eine militärische Traumkarriere machte im Rom des 3. Jahrhunderts n. Chr. ein junger Mann aus Narbonne, dessen Festtag der 20. Juni ist: Sebastian. Er stieg zum Hauptmann der Prätorianergarde auf und wurde bevorzugter Günstling des Kaisers Diokletian. In der großen Christenverfolgung unter diesem Kaiser wurde Sebastian der legendären Überlieferung nach zum Tode verurteilt, von Bogenschützen mit Pfeilen durchbohrt und als vermeintlich tot liegengelassen. Später wurde der Wiedergenesene mit Knüppeln totgeschlagen und der Leichnam in die römische Kloake geworfen.

Seine Popularität erlangte Sebastian im Mittelalter als Schutzpatron gegen die Pest. Gottes Zorn, so glaubte der mittelalterliche Christ, brach wegen der unzähligen Sünden als Pestkatastrophe gleichsam mit zahllosen Pestpfeilen über die Menschen herein. Die Vorstellung von den todbringenden Pestpfeilen erinnert sehr an den griechischen Gott Apollo, der erbarmungslos neun Tage lang Pfeil um Pfeil auf die Achäer herabschoß und so unzählige Griechen tötete.

Suchten die Griechen in einem solchen Falle den zürnenden Gott mit Opfern zu versöhnen, so hofften die vorreformatorischen Christen auf einen himmlischen Anwalt und Fürsprecher: Sebastian, den bei seinem Martyrium die Pfeile der Heiden nicht hatten töten können. Die mittelalterlichen Sebastianusbruderschaften nahmen sich der Pestkranken an, pflegten und begruben sie, organisierten Wallfahrten zu Sebastianusheiligtümern. Diese Kultformen steigerten sich bis zur Herstellung und zum Vertrieb von gesegneten Pfeilen, die als Amulette getragen wurden. Die Blütezeit des Pestheiligenkultes reichte vom 14. bis zum 17. Jahrhundert, war also identisch mit der Zeit der großen europäischen Pestkatastrophen.

Stärker als die kritisch-ablehnende Haltung der Reformatoren zur katholischen Heiligenverehrung trugen die Fortschritte in Medizin und Hygiene dazu bei, daß Sebastians Bedeutung als Pestheiliger schwand, was auch für den Kult anderer Pestheiliger zutrifft, etwa Rochus. In der Kunst allerdings blieb die Beliebtheit Sebastians ungebrochen. In zahllosen Kapellen und Kirchen waren oder sind Gemälde oder Plastiken dieses Heiligen zu finden. Die Künstler bevorzugten die Pfeilschuß-Episode, bot diese doch besonders günstige Möglichkeiten zu einer eindrucksvollen Gestaltung etwa der adonishaften Körperschönheit, des schmerzgekrümmten Körpers und / oder der ekstatischen Gesichtszüge. In der italienischen Renaissance bot die nur wenig verhüllte Nacktheit des Blutzeugen den Künstlern Gelegenheit, kultische Aktbilder zu schaffen. Von hier führt eine Linie bis ins 20. Jahrhundert, wo im Zuge radikaler Entsakralisierung des Sebastianus-Motivs die Körperlichkeit des Gemarterten im homosexuellen Sinne umgedeutet wurde.

Heute hat Sebastian vor allem als Patron von Schützenbruderschaften Bedeutung. Schützenbruderschaften entstanden in der frühen Blütezeit des Städtewesens zunächst in Flandern, wo sich auch in zahlreichen Dörfern Schützengilden herausbildeten. Von dort breitete sich das Schützenwesen nach Süden, Osten und Norden aus. In Flandern waren es die Handbogengilden, die sich unter das Patronat Sebastians stellten, während die Kreuzbogengilden und die Kolben- oder Büchsengilden andere Schutzpatrone wählten.

Zwischen den Sebastianusbruderschaften, die sich um die Pestkranken kümmerten, und denen, die vorwiegend das Bogenschießen pflegten, gab es zahlreiche Wechselbeziehungen und Verschmelzungsvorgänge. Religiös-gottesdienstliche Aktivitäten wie das Hochamt am Patronatstag, das Begräbnisgeleit, Seelenmessen und Gebete für verstorbene Brüder und geselliges Treiben in Form festlichen Essens und Trinkens beziehungsweise Vogelschießens mit Schützenfest waren feste Bestandteile des Bruderschaftslebens. In den aufgewühlten Zeiten von Reformation und Gegenreformation stellten die Sebastianusschützen oft das sichernde Geleit für Prozessionen, die als „papistische Abgötterei“ den Zorn glaubensstrenger Protestanten hervorriefen. Solch bewaffnetes Auftreten von Schützen- und Gildebrüdern erinnert an mittelalterliche Gepflogenheiten, als diese im Schießen geübten Bürger zur Verteidigung des Heimatortes oder des Territoriums herangezogen wurden.

Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die zahlreichen nichtkirchlichen Schützenorganisationen – neben Turnern und Sängern – zu Trägern der deutschen Nationalbewegung. Dies färbte auch auf die Sebastianus-Schützenvereine ab, und eine katholisch-nationale Zielrichtung bildete sich allmählich heraus. Ganz deutlich schlug sich dies nieder, als sich 1928 katholische Schützenvereine zur „Erzbruderschaft vom Heiligen Sebastianus“ zusammenschlossen. Der Viersener Schulrektor Peter Lankes, ein unermüdlicher Förderer des katholischen Schützenwesens, brachte es auf die Formel, die Schützenbruderschaften sollten „ein gesundes Volkstum im Geiste christlicher Sitte pflegen“ und „dem Volk Wegbereiter einer deutschen Volksgemeinschaft“ werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg öffneten sich die Schützenbruderschaften nach und nach auch für Protestanten, sofern diese sich wie ihre katholischen Mitbrüder für „Glaube, Sitte, Heimat“ einsetzen wollten. Doch in den Säkularisierungsschüben der bundesdeutschen Gesellschaft verblaßten diese Ideale mehr und mehr, mochten sie auch bei allen Umzügen dieser Schützen noch stolz als Inschriften die Fahnen mit dem Bild des Glaubenszeugen Sebastian zieren. In der Realität des Schützenlebens wurden die anspruchsvollen Ideale vielerorts durch eine stark hedonistische Praxis ersetzt. „Alles vör de Freud“ (Alles für die Freude), so nennen das rheinische Schützenbrüder. Als wichtiger Teilaspekt deckt sich das mit dem geselligen Treiben der Bruderschaftstradition. In der Verabsolutierung aber droht es jeden sinnvollen Bezug zum soldatisch-ritterlichen Patron Sebastian mit seinem qualvollen Blutzeugnis zu zerstören.


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