16.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.01.08 / Wo Casanova schon verkehrte / 300 Jahre Kaffeehauskultur im ältesten Café Europas – Einst trafen sich dort Künstler, heute Touristen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-08 vom 26. Januar 2008

Wo Casanova schon verkehrte
300 Jahre Kaffeehauskultur im ältesten Café Europas – Einst trafen sich dort Künstler, heute Touristen
von Angelika Fischer

Darüber, wo es den besten Cappuccino von Venedig gibt, läßt sich streiten. Darüber, wo es den teuersten gibt, wohl kaum: Im Café Florian kostet das Heißgetränk auf der Terrasse 14 Euro, inklusive Orchesterzuschlag für die unermüdlich musizierende Kapelle, die einen Schmachtfetzen der Unterhaltungsklassik nach dem anderen zum besten gibt. Dafür sitzt man schließlich im weltberühmten Florian, dem ätesten existierenden Kaffeehaus Europas!

Seit fast 300 Jahren hat das Traditionscafé seinen Sitz unter den Arkaden des Markusplatzes. Der ursprünglich aus Äthiopien stammende Kaffee war über Arabien und Ägypten zunächst nach Konstantinopel gelangt, von wo er ab Mitte des 16. Jahrhunderts seinen Siegeszug durch das osmanische  Reich antrat und um 1626 erstmals in Venedig auftauchte. Von dort verbreitete er sich dann über ganz Europa.

Das Café Florian nennt als Gründungsdatum den 29. Dezember 1720, als der Cafétier Floriano Francesconi mit Erlaubnis der Prokuratoren von San Marco direkt unter deren Verwaltungssitz seine Bottega del caff eröffnete und sie patriotisch Venezia trionfante taufte.

Der Name triumphierendes Venedig war allerdings schon damals kaum noch zeitgemäß – hatte Venedig doch den Höhepunkt seiner Macht bereits weit überschritten und seine Position als Zentrum des Welthandels zwischen Orient und Okzident längst eingebüßt. Das muß auch das Publikum gespürt haben: Man benutzte den pompös klingenden Namen kaum und traf sich stattdessen, in Anlehnung an den Namen des Besitzers, schlicht im Florian. Egal, wer in Venedig gerade die Macht und das Sagen hatte – ob Napoleon, der die Stadt 1797 besetzte und der Republik ein Ende machte, oder ab 1814 die Habsburger – im Florian verkehrten immer die italienischen Patrioten.

Es galt als Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen, die gegen jede Form der Fremdherrschaft agitierten. Der Einzug Napoleons war denn auch für Valentino Francesconi, den Neffen des Gründers, der das Café von seinem 1773 verstorbenen Onkel übernommen hatte, Anlaß genug, das nun endgültig von der Realität überholte Namensschild Venezia trionfante abzuschrauben ...

Als die Venezianer 1848 gegen die österreichische Fremdherrschaft aufbegehrten und eine knapp anderthalb Jahre währende unabhängige Republik proklamierten, war das Florian eines der Zentren des Widerstands, während das fast ebenso alte, direkt gegenüber am Markusplatz liegende Caff Quadri Treffpunkt des k.u.k. Offizierscorps war. Aus diesem Grunde wurde das Quadri auch nach dem Ende der Habsburger Herrschaft, als Venedig 1866 dem neuen Königreich Italien zufiel, von den patriotisch gesinnten Venezianern noch auf lange Zeit boykottiert.

Bereits 1858 hatte die Gründerfamilie den Betrieb an drei Cafétiers verkauft, die das Lokal mit viel Aufwand und Liebe neu gestalteten. Die kleinen Säle im Inneren wurden an Decken und Wänden mit prächtigen Fresken ausgemalt, Stühle und Bänke mit rotem Samt bespannt, die Tische mit Marmorplatten gedeckt.

Damals bekam das Florian sein jetziges Gesicht, mit dem es sich dem Gast bis heute in nostalgischer Pracht präsentiert.

Zu weltweiter Berühmtheit gelangte das Kaffeehaus aber vor allem durch seine illustren Gäste: Als gebürtiger Venezianer startete Casanova hier einst seine Eroberungszüge, der Komödiendichter Carlo Goldoni machte es gar zum Handlungsort eines seiner Theaterstücke und verlieh der Hauptfigur die Züge des Padrone Floriano. Italienreisende wie Goethe und Lord Byron, Richard Wagner und Thomas Mann genossen hier ihren Kaffee und ließen sich vom Ambiente inspirieren.

Daß das Florian immer weit mehr war als nur ein simples Lokal, bezeugt der französische Schriftsteller und exzessive Kaffeekonsument Honoré de Balzac: „Das Florian ist zugleich eine Börse, ein Theaterfoyer, ein Leseraum, ein Club, ein Beichtstuhl ...“

Heute ist das berühmte Café allerdings in erster Linie eines: eine Touristenattraktion. Künstler und Intellektuelle sieht man hier ebenso wenig wie Einheimische, die sich – sei es der Touristen oder der Preise wegen – mittlerweile andere Treffpunkte auserkoren haben.

Für den Venedigbesucher indessen ist damals wie heute das Florian ein Muß: Nimmt man draußen Platz, befindet man sich, wie Napoleon Bonaparte es einst ausdrückte, im schönsten Salon der Welt.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren