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26.01.08 / Das Kränzel / Kinder sind spontan und ohne Berechnung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-08 vom 26. Januar 2008

Das Kränzel
Kinder sind spontan und ohne Berechnung
von Gertrud Papendick

Sie ist knapp sieben Jahre alt und heißt Ulla, aber ich nenne sie das „Kuckelchen“, denn sie ist gerade so süß und rund, richtig zum Anbeißen, wie jenes Kuckelchen aus dem Märchen, das drei alte Frauchen sich gebacken hatten, das ihnen aus dem Backofen davonrollte, und das dann nach mancherlei Abenteuern von der alten, griesen Sau gefressen wurde. Zum Glück gibt es in der Schule keine alte, griese Sau, die das Kuckelchen fressen könnte; aber die Geschichte mit dem Kranz, die da passierte, war eigentlich auch sehr schlimm. Dieses Kränzel war aus bunter Wolle, rot, blau und gelb, und das Kuckelchen trug es voll Stolz um ihren runden, blonden Kinderkopf. Sie war so furchtbar fein damit. Und eines Morgens saß meine kleine Ulla in ihrer Bank und schluchzte herzzerbrechend. Was war geschehen? Das Lesebuch vergessen? Nein, viel, viel schlimmer! Sie hatte das Kränzel verloren.

Ich tröstete, so gut ich konnte. Aber was halfen alle lieben Worte vor der Macht der Tatsache! An dem Kranz hängt, wie man weiß, eines Mädchens Ehre. Er war weg, sie hatte soo Angst vor Haue. Wenn sie 17 gewesen wäre statt sieben, der Kummer hätte nicht größer sein können. Die Tränen versiegten erst, als ich einen Zettel an die Mutter schrieb, Ulla hätte so sehr geweint um den Kranz, und sie könnte bestimmt nichts dafür ...

Acht Tage später – ich hatte die Geschichte längst vergessen – kam mein Kuckelchen am Morgen voll Wichtigkeit angerannt und flüsterte mir in höchster Erregung etwas ins Ohr, das ich zuerst ganz und gar nicht verstehen konnte. Dreimal mußte sie es sagen, und dann war es klar: „Meinen Kranz hat de Junge auf dem Rummel!“ „Aber Ulla“, sagte ich, „was für ein Junge?“ „Na, der Klohn!“ „Der Clown?“ „Ja, auf dem Rummel der Klohn, ganz bestimmt, wir haben ihn gestern gesehn.“

Da hatten wir also die Bescherung! Ja, konnte es anders sein? Wenn man weiß, was der Rummel ist – das wandernde Paradies draußen vor der Stadt, das sich für ein paar Wochen dort aufgebaut hat –, man wundert sich über nichts. Der Rummel ist Höhepunkt und Inbegriff des Sommers, er ist Traum und Erfüllung zugleich, er ist Spiel und Gefahr und die große, ganz große Verführung. Der Rummel untergräbt die Ordnung der Welt, er stiehlt den Schlaf, zerreißt die Familienbande und vernichtet jeden Gedanken an Schularbeiten; er löscht das Gewissen aus und raubt die Besinnung. Kein Herz so fest, daß es dem Rummel widerstehen kann.

Ein Mädchen verliert seinen Kranz an den Clown! „Ach, Ulla“, sagte ich, „was du so alles machst! Kannst du den Kranz nicht wiederbekommen?“ Sie stand da, mein kleines Kuckelchen, förmlich geschwollen von Triumph: „De Papa wird hingehn – zu dem Klohn.“

O glückliches Wunder, man war erst sieben Jahre alt, es wurde noch alles gut. Der Vater ging hin und forderte den Kranz zurück – er gab dem Klohn vielleicht einen Groschen – und die Ehre der Tochter war wiederhergestellt, es war die einfachste Sache von der Welt.

Mehr wissen wir nicht. Wir wissen nicht, ob dies der einzige Kranz gewesen ist, der im Rummel verloren ging.


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