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26.01.08 / Das vollbesetzte Karussell / Nicht jeder Fahrgast war freiwillig an Bord

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-08 vom 26. Januar 2008

Das vollbesetzte Karussell
Nicht jeder Fahrgast war freiwillig an Bord
von Hannelore Patzelt-Hennig

Karussellfahren war für uns Kinder damals in der  Heimat eine Belustigung, die sich kaum durch etwas anderes überbieten ließ. Und sie gab es nur einmal im Jahr, auf dem Rummel in der Stadt, dem Jahrmarkt. In Gedanken fuhren mein Spielgefährte Bubi und ich in der wärmeren Jahrszeit allerdings öfter Karussell, und zwar auf dem Roßwerk hinter der Scheune. Diese dem Karussell etwas ähnliche Vorrichtung diente dazu, den Dreschkasten in Betrieb zu setzen und während des Dreschens in Betrieb zu halten.

Wenn mir danach zumute war, kam ich mit langem Rock und Blumenkranz im Haar und nahm auf dem Roßwerk Platz. Dann erträumte ich mir dazu eine hochlehnige Kutsche, und Bubi war der Kutscher, der unentwegt mit einem selbstgefertigten Peitschchen Pferde antrieb, die ebenfalls nur erdacht warne. Oder wir besetzten die vier Balken mit Puppen, Teddybären und Holztieren. Eines Tages aber kamen wir auf eine Idee, die uns geradezu wirsch machte. Wir entschlossen uns, an diesem Tag nur lebendige Fahrgäste mitzunehmen. Aber wen?

„Mit unserer Mieze fangen wir an!“ schlug ich vor.

„Die bleibt nicht auf dem Balken sitzen!“ gab Bubi zu bedenken.

„Ich hol einen Korb und pack ein Kissen rein! Das gefällt ihr bestimmt!“ So dachte ich. Aber es gefiel ihr nicht. Mieze war es gewohnt, frei zu sein.

Ich trug den Kartoffelkorb zurück und holte den Einkaufskorb mit den beiden Deckeln. Da mußte Mieze hinein, ob sie nun wollte oder nicht. Wir brauchten Fahrgäste! Erleichtert blickten Bubi und ich auf den ersten nunmehr besetzten Balken. Aber wen sollten wir noch einladen? Mit Hahn und Hühnern klappte sicher gar nichts. Mohrchen, der Hofhund, war zu groß. Gefügig genug schien mir eigentlich nur meine kleine Gans für eine Karussellfahrt. Ein Gisselchen, das zwischen Gelb und Weiß im Gefieder stand und allein heranwuchs, da es das einzige überlebende Tierchen war von einem Nest voll Eier.

Dieses Gisselchen zeigte sich immer sehr ängstlich, und bei lauten Geräuschen lief es meistens hinter mir her. Auch sonst war das kleine Tier viel in meiner Nähe, wenn ich auf dem Hof spielte. Ich war gewissermaßen sein Gefährte. Die kleine Gans packte ich in den offenen Korb und sie blieb auch ruhig darin stehen. Damit hatten wir den zweiten Fahrgast für unser Karussell.

Auch ein dritter fiel mir bald ein. Ich dachte da an einen Frosch. Die Idee fand Bubi prima. Schnell holte ich unsere alte Milchkanne und schon waren wir unterwegs zu der kleinen sprindigen Wiese, auf der unser Storch häufig seinen Bedarf deckte. Nach kurzer Zeit hatten wir fünf muntere Quakgesellen in der Kanne. Aber auserkoren wurde von uns der Größte, um den Kleineren die eventuelle Furcht zu ersparen, die für sie ein solches Abenteuer vielleicht bedeutete. Der Auserwählte hing dann bald wie in einer schaukelnden Gondel in der Milchkanne am Roßwerk. Auch Mieze hatte sich inzwischen beruhigt. Die kleine Gans schrie nur, wenn sie mich nicht sah; das war nichts Neues. Ein Problem blieb lediglich der noch letzte unbesetzte Balken. Und der bereitete uns wahres Kopfzerbrechen, denn uns fiel kein Fahrgast mehr ein. Ich bat Bubi, weiterhin angestrengt nachzudenken und ging inzwischen Fliederblätter holen, die wir als Fahrkarten ausgeben wollten. Als ich wiederkam, meinte Bubi: „Ihr habt doch kleine Ferkel. Können wir davon nicht eins nehmen?“

„Was meinst du, wie die quietschen, wenn man sie greift! Und was dann mein Opa sagt, möchte ich nicht hören!“

„Dann müssen wir uns Stichlinge aus der Tränke holen!“ entschied Bubi jetzt.

„Fische karussellfahren zu lassen ist dumm!“ wandte ich ein.

„Hm!“ machte Bubi daraufhin. Das tat er immer, wenn er sich wie ein Mann vorkam.

„Hol doch euren Angorakater!“ schlug ich schließlich vor.

„Der ist zu schade!“ meinte Bubi dazu, bedeutsam lächelnd.

„Ach, der ist zu schade und unsere Mieze nicht!“ empörte ich mich nun.

„Unseren Schnurr kannst du doch nicht mit eurer Mieze vergleichen! Der Schnurr ist was ganz Besonderes und eure Mieze bloß eine gewöhnliche Katze!“

Jetzt schlug meinen Empörung in Wut um. „Euer Kater taugt überhaupt nichts, sagt meine Oma! Der sitzt bloß faul rum. Er fängt nicht mal Mäuse!“ fauchte ich.

„Das hat deine Oma gesagt!“

„Jawohl, das hat sie gesagt, und das hätte sie nicht gesagt, wenn es nicht stimmte!“

„So seid ihr!“ sagte Bubi daraufhin. Dann drehte er sich um und ging. Als er ein Stück weg war, blieb er noch einmal stehen und rief: „Ich komme nie wieder!“

„Das brauchst du auch nicht!“ schrie ich ihm daraufhin aus Leibeskräften nach. Dann begann ich, die Tiere wegzubringen. Allein machte mir das Ganze auch keinen Spaß.


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