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02.02.08 / Politisches Narrentreiben / Regierungskrise in Italien – Niveauloses Theater im Parlament

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 02. Februar 2008

Politisches Narrentreiben
Regierungskrise in Italien – Niveauloses Theater im Parlament
von Sophia E. Gerber

Es ist Karnevalszeit in Italien. Doch das eigentliche Narrentreiben findet derzeit nicht etwa auf den Straßen, sondern auf der politischen Bühne statt. In der vergangenen Woche boten die Parlamentarier ihren Bürgern ein Spektakel der besonderen Art. Den Auftakt bildete der Rücktritt des früheren Justizministers Clemente Mastella. Die kampanische Staatsanwaltschaft setzte ihn, seine Frau und 21 weitere Politiker der christlichen Udeur-Partei wegen Amtsmißbrauchs unter Hausarrest. Gleichzeitig erklärte die Udeur ihren Austritt aus der Koalition und stürzte Italien in eine tiefe Regierungskrise.

Daraufhin stellte der damalige Ministerpräsident Romano Prodi die Vertrauensfrage zunächst in der Abgeordnetenkammer, dem Unterhaus des italienischen Parlaments. Erwartungsgemäß gewann er dort das Votum aufgrund seiner komfortablen Mehrheit. Staatspräsident Giorgio Napolitano hatte Prodi bis zum Schluß davor gewarnt, auch im Oberhaus anzutreten. Stattdessen riet er ihm, freiwillig abzutreten, um ihn – wie schon im Frühjahr 2007 – gegebenenfalls erneut mit einer Kabinettsbildung zu betrauen. Damals war der Regierungschef wegen des italienischen Engagements in Afghanistan gestürzt, aber schnell wieder ins Amt gelangt.

Doch diesmal stellte sich Prodi dem Senat, obwohl ihm ohne Mastella eine Niederlage drohte. Die Abstimmung geriet zum großen Showdown. Es spielten sich Szenen ab, die deutsche Politiker (v)erblassen lassen. So fiel der greise Udeur-Senator Nuccio Cusumano in Ohnmacht und mußte auf der Krankenbahre hinausgetragen werden. Er war zuvor von einem Parteikollegen als „Stück Scheiße“, „Verräter“ und „Schwuchtel“ beschimpft und bespuckt worden, weil er Prodi das Vertrauen aussprechen wollte. Der ehemalige Justizminister Roberto Castelli von der Lega Nord trug abwechselnd Aussprüche des faschistischen Diktators Mussolini und Prodis vor und ließ raten, wer der Urheber sei. Nach dem Votum, das der 68jährige frühere EU-Kommissionspräsident Prodi mit 156 gegen 161 Stimmen knapp verloren hatte, ließen Abgeordnete des rechten Oppositionslagers Champagnerkorken knallen. Senatspräsident Franco Marini ermahnte sie, der Palazzo Madama sei keine Kneipe. 

Der Vorhang für Prodi ist nach nur 20 Monaten Amtszeit gefallen – es war die 61. Regierung in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Scheitern zeigt nicht nur die Probleme einer Koalition, sondern die Krise des gesamten politischen Systems. Die Ursachen sind ein Sammelsurium aus geltendem Wahl- und Verfassungsrecht, Parteienzersplitterung und Korruption. Seit 1993 verfügte das Land über ein kombiniertes Mehrheits- und Verhältniswahlrecht. Doch mitten im beginnenden Wahlkampf 2005 kippte der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der jetzt mit einem Marsch auf Rom droht, um Neuwahlen zu erzwingen, in einem Hauruckverfahren das Wahlgesetz. Ergebnis war ein reines Verhältniswahlrecht mit Mehrheitsbonus. Damit wollte der Cavaliere, wie er sich nennt, seinem Mitte-Rechts-Bündnis angesichts knapper Prognosen eine Mehrheit beschaffen.

Die Rechnung ging allerdings nicht auf. Prodis Mitte-Links-Union gewann die Wahlen mit einem hauchdünnen Vorsprung, bekam aber dank Berlusconis Reform 340 der 630 Sitze in der Abgeordnetenkammer. Dafür mußte der Regierungschef fortan ein Regenbogenbündnis aus zehn verschiedenen Parteien zusammenhalten. Von diesen konnten viele nur deshalb ins Parlament einziehen, weil der Cavaliere die bis dahin geltende Vierprozenthürde auf zwei Prozent gesenkt hatte. Ein geschicktes Manöver, um die Zersplitterung des linken Gegners zu fördern. Die Heterogenität der Parteien, deren Spektrum von Katholiken über Sozialisten und Grüne bis hin zu den Kommunisten reichte, führte immer wieder zu koalitionsinternen Streitigkeiten. Häufige Fraktionswechsel und Parteiabspaltungen behinderten die Parlaments- und Regierungsarbeit zusätzlich. Ferner schränkte die Verfassung den italienischen Premier in seinen Zuständigkeiten derartig ein, daß er seine politischen Zielvorstellungen im Ministerrat kaum durchzusetzen vermochte. Ein weiteres Problem stellt die verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft dar. Mastella war beispielsweise als Trauzeuge eines befreundeten Mafioso aufgetreten, mit einem Militärjet auf Staatskosten nach Monza zum Formel-Eins-Rennen geflogen und hatte Chefarztposten nach Parteibuch vergeben. Es grenzt an ein Wunder, daß Prodi unter diesen Umständen die massive Verschuldung der Staatsfinanzen abbremsen oder die Bekämpfung der Steuerhinterziehung erzielen konnte.

Angesichts der Krise sind sofortige Neuwahlen, wie sie der in Umfragen vorn liegende Oppositionsführer Berlusconi fordert, die schlechteste Perspektive. Italien braucht zuerst ein neues Wahlrecht, das mit einer höheren Sperrklausel und ohne Bonussystem die Zersplitterung der Sitzverteilung verhindert und klare, stabile Mehrheiten garantiert. Eine parteiübergreifende Übergangsregierung, wie sie Napolitano favorisiert, könnte dessen Ausarbeitung übernehmen. Voraussetzung dafür ist jedoch, trotz Karneval, die Maske der politischen Couleur abzulegen und zu kooperieren.

 

Ökonomisch keine »bella figura«

Wettbewerbsfähig waren die Italiener in den vergangenen Jahren allenfalls auf dem Fußballfeld. Der Mittelmeeranrainer gehört zu den Wachstumsschlußlichtern in der EU, die Staatsfinanzen sind in einem desolaten Zustand. Reformen fallen den italienischen Politikern offenbar noch schwerer als den deutschen. Gerade mal um 0,9 Prozent stieg das reale Bruttoinlandsprodukt zwischen 2000 und 2006 im Jahresdurchschnitt.

Das kommt nicht von ungefähr, ökonomisch gesehen macht das Land schon seit geraumer Zeit keine bella figura mehr:

1. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Von der Lombardei bis Kalabrien konnte man zwischen 2000 bis 2006 kaum von der Zunahme des globalen Warenhandels profitieren. Während dieser um 40 Prozent stieg, brachte es Bella Italia auf ein Plus von mickrigen zwei Prozent. Daß die Italiener den Anschluß verpaßt haben, liegt unter anderem an der miserablen Entwick-lung der Lohnstückkosten, die seit dem Jahr 2000 um fast 30 Prozent stiegen. Die Wirtschaft ist chronisch produktivitätsschwach. Durch den Euro kann Rom die schlechte Produktivität auch nicht mehr an anderer Stelle ausgleichen. Früher verbilligte die Regierung italienische Produkte durch eine Abwertung der Lira. Dies beflügelte die Exporte wieder.

2. Problematische Wirtschaftsstruktur. Was viele Unternehmen zu bieten haben, ist derzeit in den Wachstumsregionen der Welt weniger gefragt. Denn in Asien sowie Mittel- und Osteuropa hungert man eher nach Maschinen und technischem Wissen als nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die immerhin sieben Prozent der italienischen Exporte ausmachen. Und auch mit Mode made in Italy kann man nicht überall punkten. Die Mehrzahl der italienischen Betriebe hat es ohnehin nicht leicht, ihre Produkte jenseits der Grenzen zu verkaufen. Denn rund 95 Prozent sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten, die gar nicht erst die Kapazitäten fürs Exportgeschäft haben. Die kleinteilige Firmenstruktur macht das Land am Apennin nicht gerade attraktiv für ausländische Kapitalgeber. Die internationalen Finanziers werden nicht zuletzt von der italienischen Bürokratie, undurchschaubaren Zuständigkeiten und der mangelnden Reformbereitschaft der Politik abgeschreckt.

3. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage füllt sich der Staatssäckel nicht. Der öffentliche Schuldenberg ist höher als die jährliche Wirtschaftsleistung. Dadurch fehlen die Mittel für dringende Infrastrukturinvestitionen.                IW

Foto: Im italienischen Senat spielten sich dramatische Szenen ab: Selbst körperliche Übergriffe kamen vor.


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