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02.02.08 / Ausbruch aus Gaza / Die Krise stürzt die ägyptische Führung in ein Dilemma

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 02. Februar 2008

Ausbruch aus Gaza
Die Krise stürzt die ägyptische Führung in ein Dilemma
von R. G. Kerschhofer

Der israelische Autor Tom Segev nannte den Gaza-Streifen „ein großes Gefängnis“ – und tatsächlich erinnerten die Szenen der letzten Tage irgendwie an einen Massenausbruch. Allerdings gingen die „Insassen“ nicht nach Ägypten, um zu fliehen, sondern um sich mit Waren einzudecken, die in dem von Israel eingekesselten Gebiet nicht mehr zu haben waren.

Möglich wurde dieser „kleine Grenzverkehr“, weil Hamas-Aktivisten in einer konzertierten Aktion zahlreiche Breschen in die Sperren an der 14 Kilometer langen Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten gesprengt hatten. Diese teils aus Beton und Stahl, teils auch nur aus Drahtverhauen bestehenden Sperren waren von Israel errichtet worden, um den Schmuggel – nicht nur den von Waffen – zu verhindern. Um auch den Schmuggel durch Tunnel zu unterbinden, zerstörte Israel auf der palästinensischen Seite außerdem hunderte Häuser, so daß sich heute ein Streifen Niemandsland durch die geteilte Grenzstadt Rafah zieht.

An der Einkaufsfreude der Palästinenser zeigt sich noch ein weiterer Aspekt, dessen Zynismus man in Europa geflissentlich ignoriert: Vor der Blockade waren alle Lieferungen nach Gaza über Israel gegangen, denn an der Grenzstelle Rafah hatte Israel nur Personenverkehr erlaubt. In Israel aber kosten alle Bedarfsgüter das Dreifache von dem, was sie in Ägypten kosten. Das heißt, daß alle Hilfsgelder für die Palästinenser – ob von im Ausland arbeitenden Verwandten, ob von Hilfsorganisationen, ob von der EU oder von arabischen Spendern – zu einem beträchtlichen Teil in Israel hängenblieben! Und das wird weiter so sein, falls Israel „humanitäre“ Lieferungen wieder zulassen sollte.

Der Gaza-Streifen, das kleinere der beiden nach der Gründung Israels den Arabern verbliebenen Fragmente Palästinas, stand bis zum „Sechstage-Krieg“ 1967 unter ägyptischer Verwaltung, wurde aber immer als Teil Palästinas behandelt. (Anders als das Westjordanland, das vom damaligen Königreich Transjordanien annektiert wurde.) 1967 wurden Gaza-Streifen und Sinai von Israel besetzt. In Camp David, wo 1978 der israelische Rückzug aus dem Sinai ausgehandelt wurde, versuchte Israel, den Gaza-Streifen wieder an Ägypten loszuwerden – was der ägyptische Präsident Anwar Al-Sadat konsequent ablehnte.

Daß Israel und die USA den Ägyptern vorwerfen, die Palästinenser nicht am Grenzübertritt gehindert zu haben, ist so grotesk, wie es ein Vorwurf der DDR gegen die Westmächte gewesen wäre, daß sie den Fall der Berliner Mauer nicht verhinderten. Und eigentlich noch grotesker, denn weite Teile der ägyptischen Halbinsel Sinai sind gemäß Camp David demilitarisiert. Jede Änderung wird von Israel abgelehnt – Ägypten darf also nur Grenzpolizei stationieren, und die war dem Massenansturm natürlich nicht gewachsen.

Ägyptens Präsident Mubarak steht unter massivem Druck der USA, den Zaun des Groß-Gefängnisses Gaza wieder dichtzumachen. Weigert er sich, droht die Einstellung der US-Getreidelieferungen, was zu Unruhen in Ägypten führen würde. Fügt er sich, wie es derzeit den Anschein hat, ist seine Lage kaum besser: Seine Order, in den Grenzgebieten alle Geschäfte zu schließen und den Warennachschub über den Suez-Kanal in den Sinai zu unterbrechen, erregt den Unmut weiter Bevölkerungskreise. Und eine zwangsweise „Repatriierung“ der Palästinenser – vor allem falls es zu Blutvergießen kommt – würde noch mehr Ägypter der Muslim-Bruderschaft in die Arme treiben.

Mit Hinweis auf die Grenzöffnung nach Ägypten trachtet Israel jetzt neuerlich, sich aus der ihm laut Völkerrecht als Besatzungsmacht zukommenden Verantwortung für die 1,5 Millionen „Gaza-Insassen“ zu stehlen. Und Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas – er hat eben eine dreitägige „Staatstrauer“ für den verstorbenen Chef der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ angeordnet – kam mit dem lächerlichen Angebot, seine Garde zum Schutz der ägyptischen Grenze abzustellen.

Die ägyptische Führung weiß längst, daß für konstruktive Lösungen die Einbindung der Hamas unerläßlich ist. Aber Israel und die USA und an deren Gängelband die europäischen Superdemokraten wollen das nicht zulassen – so wie sie auch die von der Hamas im Februar 2005 einseitig verkündete (bis Mitte 2006 eingehaltene) Waffenruhe und den demokratisch einwandfreien Hamas-Wahlsieg vom Januar 2006 ignorierten. An den Folgen ihrer Politik sind natürlich andere schuld ...


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