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02.02.08 / Fastnacht auf dem Gutshof / Das Wissen um alte regionale Bräuche darf nicht verlorengehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 02. Februar 2008

Fastnacht auf dem Gutshof
Das Wissen um alte regionale Bräuche darf nicht verlorengehen
von Anne Bahrs

Meine liebe Freundin Elisabeth leidet unter der Alzheimer Krankheit. Lange haben wir Tür an Tür in unserer schönen Reihenhaussiedlung gelebt und viel gemeinsam unternommen. Elisabeth stammt aus Ostpreußen, und das Heimweh nach der Heimat hat sie lange begleitet. Wir sind etliche Male zusammen in Masuren gewesen und sind, als es möglich war, auch in das von den Russen annektierte Gebiet gefahren. Zunächst fürchtete ich, Elisabeth würde sehr traurig sein, als wir vergeblich nach ihrem Elternhaus in Heinrichswalde suchten. Denn auch letzte Trümmer waren abgeräumt. Das Marktfleckchen in der Elchniederung hatte einst einen Bahnhof mit Verbindung nach Königsberg und Tilsit. Der Ort heißt nun Slaws, aber wir lernten hier doch einige inzwischen alt gewordene Leute kennen, die aufhorchten, wenn wir miteinander sprachen.

„Verstehen Sie uns?“ fragte ich die zwei Frauen, die am Marktstand helfend eingriffen. „Aber ja doch!“ kam die spontane Antwort, und im Laufe des sich anschließenden kurzen Gespräches folgte die Einladung, „dort drüben in dem kleinen Giebelhaus“ einen kühlen Saft zu trinken.

„Wir waren zum Blaubeeren sammeln, wissen Sie ...“

Elisabeth war glücklich, und auch ich freute mich, daß wir in unseren Koffern noch einige Mitbringsel hatten, Gastgeschenke wie Aspirin und Nylon-Strumpfhosen, die nicht viel Platz forderten und gern angenommen wurden.

Die Jahre gingen darüber hin. Als Elisabeths Erkrankung deutlich wurde, war sie für ein Jahr mein Pflegling. Wir nahmen die Mahlzeiten gemeinsam in meiner Wohnung ein, und immer wieder brachte ich das Gespräch auf Ostpreußen, besonders auf Heinrichswalde, und dann trat ein Leuchten in Elisabeths Augen. An ihre Kindheit konnte die Freundin sich noch gut erinnern. Aber ihr Erzählen wurde immer weniger, und als sie sich nicht mehr orientieren konnte, hielten ihre Kinder Ausschau und fanden nach langem Suchen ein Heim, in dem die Kranke nun gut betreut wird. Ich besuche sie regelmäßig. Dadurch habe ich Kontakt bekommen zu einer Frau, die im Rollstuhl sitzt und sich auch oft im Garten aufhält.

Eines Tages – Elisabeth und ich saßen auf einer Bank im Schatten – rollte sie in unsere Nähe, wir unterhielten uns. Nach einer Weile bot sie an: „Sie dürfen Schwester Ilse zu mir sagen!“ Danach erfuhren wir, daß sie Diakonissin ist und „dort drüben im Mutterhaus Bethanien“ lebt, nun nach einem schweren Unfall selbst auf Pflege angewiesen sei. „Unser Orden betreut auch diese Einrichtung, aber er ist zu klein. Zur Bewältigung der vielen Aufgaben wird Hilfe von außen benötigt. – Leider kann ich nichts weiter tun, als hier und dort zu plaudern, vor allem aber darf ich zuhören, wenn die Lust zum Erzählen gekommen ist ... Und ich merke, daß manche Pfleglinge sich freuen, wenn ich sie anspreche  nau!“ „Ach bitte, Schwester Ilse, erzählen Sie ...“

Da flog ein Lächeln über das Gesicht dieser Frau. „Ja, wo fange ich an? – Ach, folgen Sie mir doch in unsere große Küche, da war es auch so heimelig warm!“ sagte sie, und ganz eindringlich blickte sie dabei Elisabeth an.

„Die Ringe über dem Feuerloch sind rot von der Glut im Herd. Mutter und ich wollen gleich Krapfen backen zum Fastloawend. Das ist doch heute. Unsere Lehrerin haben wir Schulkinder schon rumgekriegt mit dem Spruch: ‚Frau Lehrerin, erlauben Sie uns Schlitten zu fahrn. Die Raben sind gekommen und haben uns die Bücher weggenommen. Deshalb konnten wir eigentlich nicht zur Schule kommen!‘ – Nur die Religionsstunde durfte sie uns nicht erlassen. Zu einer langen Schlange binden wir die Schlitten zusammen. Überall wohnen ja Kinder, 40 sind wir in der Schule, alle bei Frau Gutzeit, die auch studiert haben soll und die Frau eines Lehrers ist, der aber Soldat sein muß. Wir werden alle in einem Raum unterrichtet.“

„Woher stammen Sie denn, Schwester Ilse?“ frage ich. „Na von Schakuhnen komme ich, nicht weit vom Kurischen Haff, wo Gilge und Memel ein Dreieck machen und die Grenzstation mitten auf der Memelbrücke bei Ruß ist ... Ach, was rede ich! – Ist’s doch ein Jammer! Unser scheenes Ostpreußen ... aber darum erzähle ich auch so gern davon. Und einen schönen Spruch habe ich mir auch wieder gestickt, wie damals unsere Mutter für das Paradehandtuch in der Küche: ‚Sich regen bringt Segen!‘ hab’ ich ganz fein in Kreuzstich gefertigt und eingerahmt. Hängt nun bei mir in der Garderobe. – Ja, ein Stückchen Heimat habe ich immer noch bei mir. Und die Krapfen schmecke ich auch noch, obgleich ich sie gar nicht mehr essen darf! Aber wissen’S, das ist ein Leben bei uns! Der Gutsherr hat ein Schwein spendiert. Das soll zur Erhöhung der Freude beitragen.

Das Schmausen kommt aber erst später. Vorher haben auch die Jungs noch viel zu tun. Die Schweinsblase haben sie gekriegt. Die wird nun aufgepumpt, und wenn man sie kneift und zwickt, jault sie ganz fürchterlich. Blechbüchsen haben sie schon lange gesammelt, die werden durchlöchert und so zusammengebunden, daß sie gewaltig scheppern. Dann basteln sie Reime mit unverständlichen Segenswünschen, die sie natürlich gegen gute Waren eintauschen wollen.

Vater und Mutter kennen das schon und haben vorgesorgt. Mutter stellt Kringel und Hörnchen bereit, auch etwas Geräuchertes für die immer hungrigen Mägen, und Vater spendiert Münzen. Die hat er schon seit Wochen gesammelt, damit genügend Kleingeld in den Beutel kommt, das sich hernach teilen läßt. Wie gut, daß unsere Ohren noch Krach vertragen! Wenn die singenden ‚Musikanten‘ alle Häuser im Dorf abgeklappert haben, treffen sie auf der Tenne des Gutshofs mit den größeren Burschen und Mädchen zusammen, die alles für den Festschmaus richten. Denn heute wird nur das Vieh versorgt und sonst nichts gearbeitet.

Nun ist die Gruppe mit den Bogen oder Bügeln eingetroffen. Das sind die jungen Leute von den umliegenden Höfen. Sie sind auch hungrig. Auf der Tenne dampft der Fliederbeersaft im großen Kessel, und die Männer kriegen ein Rumchen dazu. Nach dem Essen werden die Tische weggeräumt. Dann formieren sich die jungen Leute, um den Bogenreigen zu tanzen. Sie hatten Haselstrauchgerten geschnitten, daraus die kleinen und großen Bogen oder Bügel geformt und mit bunten Bändern geschmückt. Die Paare müssen dort hindurch tanzen. Das Volk steht im Kreis drumherum, stampft mit den Füßen und klatscht im Takt.

Allen ist reichlich warm, und nicht nur einer sagt hernach: ,Frauchen, Frauchen, da war wat los! ... Wie schad‘, dat alles vorbei is ... Aber träumen davon, dat is scheen!‘ – Und wenn dat draußen so schummrig und hubbrig is, denn ... ist das doch .... eine gute Gelegenheit, solche Erlebnisse und Erinnerungen aufzuschreiben!“

Nun reiche ich auch dieser Schwester Ilse, die so bildhaft erzählen kann, meine Hände und bedanke mich: „Und tun Sie das, liebe Schwester! Fangen Sie noch heute damit an! Es wäre doch schade, wenn auch das Wissen um unsere alten regionalen Bräuche verlorengeht!“


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