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09.02.08 / Siegeszug der Linken / Die Linke: Annahme der Hartz-IV-Reformen war ihre Geburtsstunde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 09. Februar 2008

Siegeszug der Linken
Die Linke: Annahme der Hartz-IV-Reformen war ihre Geburtsstunde
von Hans Heckel

Horst Köhler muß sich sehr allein gefühlt haben. In einem als „eisig“ beschriebenen Gespräch mit dem Ältestenrat des Bundestages echauffierte sich der Bundespräsident über die Aufweichung der Hartz-Reformen, Stichwort: längere Zahlung von Arbeitslosengeld I. Prinzipienlos und sachlich falsch sei das. Die Koalition sei aus Machtkalkül vor der Linkspartei zurückgewichen. Politiker von Union und SPD wiesen die Kritik scharf zurück. Sie konstatierten laut „Spiegel“ „deutliche Zeichen der Entfremdung zwischen Präsident und Parlament“.

Mehr noch als die jüngsten Wahlerfolge illustriert das Bild des Präsidenten als letzten Rufer in der Wüste den Siegeszug der Linken. Erst der Zusammenschluß mit der „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) hatte der einstigen PDS den Weg in die westlichen Bundesländer geebnet. Die Geburtsstunde der WASG schlug mit der Verkündung der „Agenda 2010“ durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Frühjahr 2003, die noch im Juni des selben Jahres von den Parteitagen der SPD und der Grünen mit über 80prozentiger Mehrheit angenommen wurden. Kernstück der Agenda: die Hartz-Reformen, deren letzte Stufe zum 1. Januar 2005 als „Hartz IV“ in Kraft trat.

Nachdem Versuche aus der SPD-Linken, die Reformen zu stoppen, gescheitert waren, rief der bayerische IG-Metall-Funktionär und (Noch-) SPD-Politiker Klaus Ernst mit sechs Freunden per E-Mail zur Gründung einer linken Alternative zur SPD auf, die zu den kommenden Bundestagswahlen antreten solle. Nur sechs Wochen nach Veröffentlichung hatten den Brief 2200 Menschen unterzeichnet.

Im Juli 2004 fand sich ein bunter Haufen aus Gewerkschaftern, frustrierten Sozialdemokraten und versprengten Linksradikalen zur Gründung der WASG zusammen. Von Beginn an spekulierten die Medien darüber, ob sich der frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine dieser neuen Formation als Galionsfigur zur Verfügung stellen würde, doch der hielt sich angesichts der zunächst unsicheren Erfolgsaussichten des jungen Vereins noch zurück.

Im Januar 2005 dann wurde aus dem Verein WASG die gleichnamige Partei, die kurz darauf beschloß, an den Landtagswahlen in Nord-rhein-Westfalen im Mai teilzunehmen. Zwar verpaßte die WASG mit 2,2 Prozent den Einzug in den Landtag deutlich – dennoch war sie nun mit einem Schlag zum politischen Faktor aufgestiegen. Denn ihr Ergebnis gab den Ausschlag für den Machtwechsel an Rhein und Ruhr, erstmals seit Jahrzehnten verloren die Sozialdemokraten die Macht in Düsseldorf an Union und FDP, Kanzler Schröder zog dramatische Konsequenzen und kündigte Neuwahlen zum Bundestag für den 22. September an.

Nun ging es Schlag auf Schlag: Am 18. Juni 2005 trat der bislang zögerliche Oskar Lafontaine der WASG bei und leitete mit Gregor Gysi die Fusion mit der PDS ein. Allerdings gab es in der WASG anfangs Widerstände. Einige

WASGler störten sich am allzu dunkelroten Profil der Post-SED, anderen wiederum war die Gysi-Truppe gar nicht links genug, weil sie in Regierungsverantwortung in einigen Ländern, etwa Berlin, auch Sparbeschlüsse mitgetragen hatte.

Doch die Abweichler wurden schließlich von der fusionswilligen Parteiführung beiseite geschoben. Zur Bundestagswahl kandidierten WASG-Politiker auf der PDS-Liste, die sich jetzt „Die Linkspartei“ nannte. Noch vor der Bundestagswahl kündigten Linkspartei-Chef Lothar Bisky und WASG-Vorstandsmitglied und -initiator Klaus Ernst an, den Zusammenschluß gemeinsam voranzutreiben.

Bei Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg im März 2006 scheiterte die WASG / Linkspartei allerdings mit 2,6 und 3,1 Prozent erneut an der Fünf-Prozent-Hürde. Im Mai 2007 schließlich gelang mit 8,4 Prozent in Bremen der erste Einzug in ein westdeutsches Landesparlament. Am 16. Juni 2007 schlossen sich Linkspartei / PDS und WASG dann endgültig zur Partei „Die Linke“ zusammen.

Der Erfolg der WASG ist weniger auf ihre Mitgliederstärke (im Frühjahr 2007 kaum 12000) zurückzuführen. Vielmehr war die neue Formation über ihre Genossen von Beginn an eng verzahnt mit den diversen Facetten des linken und linksradikalen Lagers in Westdeutschland. Die Zusammensetzung der Landtagsfraktion in Bremen, Niedersachsen und Hessen bietet einen Querschnitt aus dogmatischen Kommunisten von der alten DKP, radikalen Autonomen und „Spontis“, Attac- und Antifa-Aktivisten und so weiter. Ohne über eigene starke Organisationsstrukturen verfügen zu müssen, kann sich die WASG und nun „Die Linke“ darüber hinaus eines dicht geknüpften Netzwerks bedienen, das nicht nur am linken Rand seit den 60er Jahren entstanden war, sondern auch über Kanäle, Mittelsleute und Sympathisanten bis weit in die linke Mitte hinein verfügt. Die Vorfeldbereiter und Stichwortgeber sitzen zu Hauf in Sozialverwaltungen, Betreuungseinrichtungen, in Gewerkschaften und Universitäten. Zudem verhalf die Linke den linken Flügeln in der SPD, bei den Grünen und sogar in der Union zu neuem Rückenwind.

Keine fünf Jahre ist es her, daß ein sozialdemokratischer Bundeskanzler eine selbst von seinen bürgerlichen Gegenspielern anerkannte Agenda 2010 auf den Weg brachte. Heute steht der Bundespräsident im Kreise des Ältestenrats allein mit seinem Reformwillen, isoliert sogar von der Union, seiner eigenen Partei.

Foto: Che Guevara im Rücken: Der Parteichef der Linken Oskar Lafontaine

 

Zeitzeugen

Lucy Redler – Die Tochter eines Sozialpädagogen und einer Kinderpflegerin kam 1979 in Hann. Münden zur Welt, wuchs aber in Kassel auf. Nach dem Abitur studierte sie an der HWP in Hamburg. Nach dem Studium zog sie nach Berlin. 2006 wurde sie Mitglied des Berliner Landes- und des Bundesvorstandes der WASG. Nach der von ihr abgelehnten Fusion mit der PDS gründete sie mit Gleichgesinnten in der WASG die Berliner Alternative für Solidarität und Gegenwehr. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als hauptamtliche Angestellte der trotzkistischen Sozialistischen Alternative.

Klaus Ernst – Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken kam 1954 in München zur Welt. Als 15jähriger verließ er Elternhaus und Schule. Er begann eine Elektromechanikerausbildung und studierte später wie Lucy Redler an der HWP Volkswirtschaftslehre und Sozial­ökonomie. 1972 trat er der IG Metall und zwei Jahre später der SPD bei, aus welcher der Schröder-Kritiker aber 2004 ausgeschlossen wurde. Er gehörte zu den Gründern der WASG und war von 2005 bis zur Fusion mit der PDS deren Bundesvorsitzender.

Kreszentia (Tina) Flauger – Die Spitzenkandidatin der Linken bei der letzten niedersächsischen Landtagswahl kam 1966 in Kiel zur Welt, wo sie mit drei Geschwistern auch aufwuchs. Die gelernte Datenverarbeitungskauffrau war bis 2006 als Arbeitsvermittlerin beschäftigt. Zur Zeit arbeitet sie für ihren Parteifreund im Deutschen Bundestag Axel Troost. Neben Dieter Dehm steht sie an der Spitze der niedersächsischen Linken. Zur Linken kam sie über die WASG.

Inga Nitz – Die Landessprecherin der Linken in Bremen von 2005 bis 2007 kam 1979 in Berlin zur Welt. Wie Kreszentia (Tina) Flauger arbeitete auch sie als Arbeitsvermittlerin. Seit 2007 sitzt sie für die Linke, zu der sie über die PDS kam, in der Bremischen Bürgerschaft.

Willi van Ooyen – Der 1947 geborene Spitzenkandidat der Linken bei der letzten Landtagswahl in Hessen ist von Beruf Prokurist und Pädagogischer Leiter der Praunheimer Werkstätten gGmbH in Frankfurt, ist verheiratet und hat zwei Söhne.


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