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09.02.08 / Hin zu den Minderheitenrechten / Gemeinden wollen Loslösung von Venetien nach Tirol

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 09. Februar 2008

Hin zu den Minderheitenrechten
Gemeinden wollen Loslösung von Venetien nach Tirol
von Martin Schmidt

Im Frühjahr wird es ernst in Europa. Dann nämlich, wenn der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien verkündet und die mit den USA verbündete EU mit Gegenmaßnahmen Rußlands und anderer Staaten rechnen muß.

Im Schatten solcher vom Volkswillen diktierter großer Veränderungen der europäischen Landkarte steht die regionalpolitische Umorientierung des italienischen Wintersportzentrums Cortina d‘Ampezzo einerseits sowie der Gemeinde Robàan (ital.: Roana) und einiger anderer winziger Orte der sogenannten „Sieben Gemeinden“ andererseits. Nur auf den ersten Blick handelt es sich dabei um oberflächliche Verwaltungsangelegenheiten, tatsächlich sind diese Gebietswechsel von historischer wie minderheitenpolitischer Bedeutung. 

Außer daß sie bislang allesamt der Region Venetien angehören und von dort weg wollen, gibt es jedoch wenig Gemeinsamkeiten. Cortina ist ein nobler Wintersport-ort in den Dolomiten. Spätestens mit der Austragung der Olympischen Winterspiele von 1956 wurde es weltweit bekannt und gilt wegen seiner erstklassigen Hotels und feinen Geschäfte als Tummelplatz der „Schönen und Reichen“. Ganz anders ist die Situation in den Sieben Gemeinden (Schlège / Asiago, Rotz / Rotzo, Robàan / Roana, Lusàan / Lusiana, Gell / Gallio, Jenève / Enego und Fütze / Foza) in der Provinz Vicenza und den „Dreizehn Gemeinden“ der Provinz Verona. Noch vor zwei Jahrhunderten wurde hier überall Zimbrisch gesprochen – ein althochdeutscher Dialekt, mitgebracht im 12. Jahrhundert von Einwanderern aus Bayern. Das Zimbrische hört sich wie eine Art Mischung aus Schwyzerdütsch und Bayrisch an und leitet sich von der mittelalterlichen italienischen Bezeichnung für die Neuankömmlinge ab, die irrtümlich für Nachfahren der germanischen Kimbern gehalten wurden: „I cimbri“.

Das ganze Gebiet ist extrem abgelegen. Insbesondere viele jüngere Leute finden dort keine Arbeit mehr und wandern ab. Die einmalige zimbrische Kultur ist stark gefährdet, zumal es insbesondere auf dem Hochplateau der Sieben Gemeinden keine dem benachbarten Trentino vergleichbare Wirtschaftsförderung gibt, die einen Ausweg aus den Strukturproblemen weisen könnte. In letzterem Punkt treffen sich die Interessen der Sieben Gemeinden mit denen Cortina d‘Ampezzos, das über vier Jahrhunderte lang – von 1511 bis 1919 – ein Teil Tirols war.

Diese Gemeinsamkeit offenbarte sich 2007 in zwei möglicherweise folgenreichen Volksabstimmungen. Nachdem acht bei Robaan gelegene Gemeinden am 6. Mai per Referendum die Loslösung von Venetien und den Anschluß an die autonome Provinz Trentino-Südtirol beschlossen hatten, folgte am 28. Oktober ein klares Bürgervotum in Cortina und den ladinischen Nachbargemeinden Col und Buchenstein zugunsten Südtirols.

Der Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder begrüßte die Entscheidung. Er wandte lediglich ein, daß auch Österreich mit seiner Schutzmachtfunktion für die Südtiroler in die Diskussion eingebunden werden müsse, da etwaige Grenzveränderungen keine rein inneritalienische Angelegenheit seien. Obwohl die italienische Verfassung und Gesetzgebung die Möglichkeit regionaler Gebietswechsel vorsieht und die Wunschprovinz Zustimmung signalisierte, sperren sich die maßgeblichen Politiker Venetiens hartnäckig gegen den Bevölkerungswillen in Cortina und den sieben Gemeinden. Regionalpräsident Giancarlo Galan drohte mit einer Anrufung des italienischen Verfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes. „Wer Wind sät, erntet Sturm“, warnte der Forza-Italia-Politiker.

Auf jeden Fall dürfte es den Mächtigen in Venedig und Rom schwer fallen, den klar bekundeten Volkswillen in den Sieben Gemeinden und in Cortina d‘Ampezzo, Col und Buchenstein zu ignorieren. So könnte es schon 2008 auch dort zu Grenzveränderungen kommen. Aus bundesdeutscher Sicht wäre das nur zu begrüßen, da diese Korrekturen die existentiell bedrohte altertümliche deutsche Kultur der Zimbern retten könnten und außerdem eine nachhaltige Förderung für die mit den Tirolern traditionell eng verbundenen Ladiner bedeuten würden.


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