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09.02.08 / Schiff über Land / Die ersten Jahre des ältesten, aktiven Dampfers

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 09. Februar 2008

Schiff über Land
Die ersten Jahre des ältesten, aktiven Dampfers

Ist es eigentlich ein gutes oder schlechtes Zeichen, wenn man nach der letzten Seite eines Buches ungläubig umblättert, nur um festzustellen, daß dies wirklich die letzte Seite ist? Im Grunde ist es ja gut, wenn ein Thema so fesselt, daß man gar nicht aufhören möchte zu lesen, allerdings ist es auch unerfreulich, wenn der Autor es nicht schafft, die Neugier seiner Leser ausreichend zu befriedigen. Der Schweizer Autor Alex Capus geizt mit Informationen und auch die Tatsache, daß es ihm in seinem aktuellen Roman „Eine Frage der Zeit“ eindrucksvoll gelingt, die Atmosphäre der Auswirkungen des Ersten Weltkriegs in einem Teil von Afrika einzufangen, macht das Informationsdefizit nicht vergessen.

„Blind und irr vor Erschöpfung kletterte Anton Rüter den Bahndamm hinauf, dem er seit der Morgendämmerung entgegengelaufen war. Zwischen den Büscheln harten Buschgrases raschelten Schlangen und Echsen, hoch über ihm brannte die Sonne, und hinter ihm lag das Hochland Ostafrikas …“ Auf diese mit „Nachspiel“ überschriebenen ersten Szene im Buch geht der Autor zur Verärgerung des Lesers nicht mehr ein. Stattdessen schildert er danach chronologisch den Bau des Dampfschiffes „Graf Götzen“ auf der Meyer Werft in Papenburg. Dieses von Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gegebene Schiff soll 1913 von drei Werftarbeitern begleitet in Kartons verpackt nach Deutsch-Ostafrika gebracht werden, um dort auf dem 750 Kilometer langen Tanganikasee Passagiere und Waren zu transportieren. Schiffsbaumeister Anton Rüter und die beiden Handwerker Rudolf Tellmann und Hermann Wendt sollen das Schiff in Kigoma wieder zusammenbauen. Nachdem das Schiff in Kartons von Daressalam von Eingeborenen 500 Kilometer über Land an den See getragen wurde, fangen die norddeutschen Arbeiter an, die „Götzen“ zusammenzusetzen. Als jedoch 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, wird den drei Männern vom Kapitänleutnant Zimmer Druck gemacht. Er braucht das Schiff nun für militärische Zwecke, da der kleine Dampfer „Wissmann“ nur noch bedingt seetauglich ist.

Alex Capus nimmt sich sehr viel Zeit bei der Beschreibung der Reaktionen der drei sozialdemokratischen Arbeiter auf Afrika. Alle drei haben Probleme zu akzeptieren, wie die Hierarchie vor Ort aufgebaut ist. Gleichzeitig erwähnt der Autor auch, daß der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika seine Reden zuerst auf Suaheli hält und versucht, Kontakt zu den Einheimischen aufzubauen. Allerdings krankt auch er an der Vorstellung, daß man erwachsene Schwarze wie Kinder maßregeln und bei kleinen Vergehen wie Kriminelle behandeln müsse, da sie nicht genügend eigenen Verstand hätten.

Parallel zu den Erlebnissen der drei Schiffsbauern erzählt der Autor die Geschichte des egozentrischen britischen Oberleutnants Spicer Simson, der aufgrund seiner prahlerischen Geschichten, seines tätowierten Körpers und seiner vielen Mißgeschicke auf der Karriereleiter nicht weiterkommt. Doch Spicer Simson scheitert nicht durchgehend, 1916 gelangt er durch Zufall an den Auftrag, die beiden zerlegten Schiffe „Mimi“ und „Toutou“ nach Belgisch Kongo zu bringen, um sie am Tanganikasee wieder zusammenzusetzen und die dort befindlichen deutschen Schiffe zu versenken. Das scheinbar abstruse Unternehmen gelingt. Die „Wissmann“ wird zerstört. Die „Götzen“ allerdings wird von ihren norddeutschen Erbauern geschützt, indem sie verpackt auf den Grund des Sees gesetzt wird.

Hier endet das Buch. Bedauerlicherweise hat auch der Verlag nicht darauf bestanden, einen Informationsteil hinzuzufügen. Der Leser, der keinerlei Vorinformationen mitbringt, erfährt noch nicht einmal, daß der Roman auf einer historisch wahren Geschichte basiert. Wer sich also nach der Lektüre nicht die Mühe macht, im Internet zu suchen, was aus der „Götzen“ und den drei deutschen Werftarbeitern wurde, bleibt unwissend. Dabei ist auch das weitere Schicksal der „Götzen“, die heute unter dem Namen „Liemba“ als ältester noch aktiver Dampfer in Tansania verkehrt, spektakulär.                 Bel

Alex Capus: „Eine Frage der Zeit“, Knaus, München 2007, geb., 300 Seiten, 19,95 Euro


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