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09.02.08 / Nach Helgoland / Die »Gefahren« eines Familientreffens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 09. Februar 2008

Nach Helgoland
Die »Gefahren« eines Familientreffens
von Waltraut Fabisch-Rynek

In jeder Familie gibt es bei Familientreffen einen Schwätzer, der sich mit ein und derselben – mehr oder minder appetitlichen Geschichte – in Szene setzt. Bei uns ist das Onkel Willi. Es wurden schon Wetten abgeschlossen, ob wir bereits beim Mittagessen das Besteck aus den Händen legten oder erst am Nachmittag die Kuchengabeln. Die größte Chance, mit seiner Erzählung zu beginnen, bot sich, wenn es Fisch gab.

„Ja“, begann er dann, „als ich noch ein junger Hecht war, hatte ich es nicht so sehr mit dem Wasser. Schon wenn ich auf einer Brücke stand und ins fließende Wasser sah, wurde mir mulmig. Um mich abzuhärten, entschloß ich mich zu einer Helgolandfahrt. Von der Insel Spiekeroog ging es mit einem kleinen Dampfer, der etwa 200 Personen faßte, in Richtung Helgoland. Nebenbei gesagt, es war Windstärke 7!“ Er schaute um sich, ob wir gebührend beeindruckt waren. „Das Geschaukel fing gleich hinter der Insel an. Ich stand auf dem Oberdeck an der Reling und ließ mir den Wind um die Nase wehen. Ein junger Mann trat neben mich. ,Toller Seegang, was?‘ Ich nickte nur und konzentrierte mich darauf, die Schaukelbewegungen des Schiffes mitzumachen. ,Gestatten, Kohlmorgen!‘ plapperte er weiter. ,Angenehm, Schlappkohl!‘ Irritiert starrte er mich an. Seine Wangen röteten sich hektisch – ein gefühlsbetonter Mensch. ,Eh, ich heiße wirklich Kohlmorgen.‘ ,Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich dabei bleibe, daß ich Friedrich Wilhelm Schlappkohl heiße?‘ Ich hätte das Wort ,übel‘ nicht in den Mund nehmen sollen, denn ich spürte meinen Magen fast in der Kehle.

Da zupfte mich jemand am Ärmel: ,Setzten Se sich, Schlappkohl, ehe Se schlapp machen! Sie sind janz der Seekrankentyp!‘ Ein junger Mann zog mich neben sich auf die Holzbank. Seine Aussprache verriet den Berliner. ,Watt hab’n Se heute jefrühstückt?‘ ,Das Übliche – Brötchen, Ei, Schinken‘, murmelte ich widerwillig. ,Da werd’n sich de Fische aba froin!‘ lachte er laut.

In diesem Augenblick sah ich, wie es einem Schrank von Kerl übel wurde. Kurz gesagt, alles flog ihm um die Ohren. Ich sprang auf, der Berliner schob mich zur anderen Schiffsseite und rief: ,Nach Lee, Mann, nach Lee! Mit Wind müssen Se opfern, mit Wind!‘

Als Helgoland in Sicht kam, hockte ich mit geschlossenen Augen und leerem Magen auf der Holzbank. Ich hätte mich nicht gewehrt, falls man mich über Bord geworfen hätte. – Mein Interesse an der Insel war gleich Null. Also“, Onkel Willi blickte Aufmerksamkeit heischend in die Runde, „ich kann jedem nur raten, sich vor einer Seereise zu informieren, was Luv und Lee bedeutet. Geopfert wird nur mit Wind!“

Er bemerkte nicht, daß wir alle zu essen aufgehört hatten und legte sich noch eine herrlich gebratene Seezunge auf den Teller. – Mir kam die Erkenntnis, daß er mit dieser Geschichte für eine Kurklinik mit Übergewichtigen ein großer Gewinn wäre.


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