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16.02.08 / Bücher statt Brunnen / Königsbergs Vizebürgermeisterin möchte mehr Geld für Soziales statt Prestigebauten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-08 vom 16. Februar 2008

Bücher statt Brunnen
Königsbergs Vizebürgermeisterin möchte mehr Geld für Soziales statt Prestigebauten
von Jurij Tschernyschew

Königsbergs Vizebürgermeisterin Tatjana Morosowa ist erbost, und sie sagt es auch, beispielsweise auf der Sitzung der Kommission für soziale Fragen des Gebietsabgeordnetenrats der Stadt Königsberg Ende letzten Jahres. Sie erzürnt es, daß der Sozialetat der Stadt für das laufende Jahr keine Ausgaben zur Förderung der Bibliotheken der Stadt mehr vorsieht. Dabei sieht sie einen Finanzbedarf von 29 Millionen Rubel (gut 800000 Euro). Sie verweist darauf, daß jeder dritte Königsberger Nutzer der städtischen Bibliotheken sei. Es handele sich um Schüler, Studenten und Rentner, aber auch qualifizierte Berufstätige, welche die Bücherhallen beruflich nutzten. Dabei drohe der Buchbestand zu großen Teilen zu veralten. Viele Medien stammten noch aus der Sowjetzeit. Wegen der schlechten Finanzsituation der Bibliotheken müßten die Leser für viele Serviceleistungen wie Fernleihe, Computerrecherchen oder Computerausdruck extra bezahlen.

Echauffiert übte sie Kritik an der Prioritätensetzung bei der staatlichen Ausgabenpolitik: „Man muß nicht immer Springbrunnen mit Kolonnaden bauen, sondern sich auch um die Sozialpolitik kümmern.“ Das war eine Spitze gegen den mit vielen Säulen geschmück­ten neuen Springbrunnen, der im vergangenen Jahr bei der städtischen Bibliothek aufgestellt worden ist. Früher wuchsen anstelle der Säulen seltene und schöne Bäume. Für den Bau der Fontäne und der Kolonnaden ist doppelt soviel Geld ausgegeben worden, wie gemäß Tatjana Morosowa für die Entwicklung der Bibliotheken für 2008 nötig gewesen wäre.

Man mag dazu ja stehen, wie man will, doch ist es in der Tat schon auffallend, wie pompös und repräsentativ das offizielle Königsberg baut. Kann und sollte sich Königsberg das wirklich leisten? Der Springbrunnen, von dem die Vizebürgermeisterin sprach, sollte tatsächlich schon seit langem gebaut werden, ist also eine langfristig geplante Anschaffung, doch war es wirklich nötig, derart teuren Marmor zu verwenden und eine ganze Kolonnade in griechischem Stil zu bauen? Diese Reichtümer müssen nun rund um die Uhr bewacht werden, ein eigener Wachtdienst wurde engagiert.

Geht man weiter durch die Stadt, wird man feststellen, daß dies nicht der einzige Ort ist, der geschützt werden muß. Auch der Siegesplatz (Hansaplatz) und der Platz vor dem Denkmal der Mutter Rußland und dem Denkmal der Kosmonauten und andere Orte werden bewacht.

Außerdem ist in den vergangenen Jahren nach europäischem Vorbild das Pflastern mit hochwertigen Platten in Mode gekommen, die bei Regen und Schnee zur Qual für die Stadtbewohner werden, weil man auf ihnen ausrutscht wie auf Eis. Bei diesem Wetter füllen sich die Arztpraxen. Das Interessanteste aber ist, daß die erst anläßlich der 750-Jahrfeier gelegten Platten bereits häßlich geworden sind, da diese für Straßen nicht geeignet sind. Vorher waren viele Brücken mit Kopfsteinpflaster bedeckt, das noch aus der Vorkriegszeit erhalten geblieben war. Heute trifft man die Pflastersteine meist auf Anwesen reicher Bürger an.

Gelinde gesagt ambitioniert sind auch die Pläne für das Umfeld des Oberteichs. Die Arbeiten haben bereits begonnen – um den Teich wurden schon Hunderte Bäume gefällt, an ihre Stelle sind gepflasterte Wege getreten. Am Ufer soll eine Marmor-Granit-Befestigung entstehen und auch sonst noch so einiges aus Stein und Beton. Hierfür sind Ausgaben in Höhe von mehreren Millionen Rubel eingeplant. Für bedeutend weniger Geld hätte man die Natur erhalten und einen Ort schaffen können, an dem die Städter sich hätten erholen können, entweder beim Fahrradfahren oder bei einem Spaziergang an einem ökologisch sauberen Ort. Auf diese Weise wäre ein Park entstanden, wie man ihn in Berlin, Hamburg und anderen europäischen Städten findet. Doch die Pläne der Stadtoberhäupter sind andere – sie wollen so viel Geld wie möglich in kurzer Zeit verbauen.

Dabei gibt es in der Stadt viele Orte, die viel Geld benötigen, um in Ordnung zu kommen. Diese Stellen befinden sich nur wenige Schritte von den Kolonnaden aus Marmor und Granit entfernt, an der Theaterstraße.

In seiner Wahlkampfkampagne kündigte der neue Bürgermeister Alexander Jaroschuk an, sich für die Verschönerung der Wohnviertel einsetzen zu wollen, doch das Defizit im Haushalt 2008 beträgt 501 Million Rubel (fast 14 Millioen Euro), so daß fraglich ist, ob sich 2008 etwas zum Besseren wenden wird.

Foto: Prachtvoll, aber nicht unumstritten: Mancher würde das Geld für Prestigebauten wie diesen im vergangenen Jahr eingeweihten, 52 Millionen Rubel (etwa 1,5 Millionen Euro) teuren Brunnen lieber für Soziales ausgeben.


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