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16.02.08 / In welchem Zustand sind die Kirchen? / Darmstädter Insterburggruppe besuchte Gotteshäuser des Königsberger Gebiets

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-08 vom 16. Februar 2008

In welchem Zustand sind die Kirchen?
Darmstädter Insterburggruppe besuchte Gotteshäuser des Königsberger Gebiets
von Klaus Marczinowski

Die Ostpreußenreise der Heimatgruppe Darmstadt stand ganz im Zeichen der Losung: „Tage der Erinnerung in Wort und Bild“.

Zu einem gemeinsamen Reisehöhepunkt für alle wurde die Tagesfahrt „Städte und Dörfer, Häuser und Kirchen, Flüsse und Landschaften“ durch die Landkreise Insterburg, Wehlau, Labiau und Elchniederung. Hineinschauen in das ostpreußische Land hinter den großen Städten, das wurde für viele zu einem einmaligen Erlebnis.

Primäres Thema dieser Tagestour war das Schicksal der Kirchen im Königsberger Gebiet nach 1945. Die Reisegruppe hatte sich vorbereitet und wußte: 224 Kirchen, vorwiegend evangelischer Gemeinden, hatten bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Königsberger Gebiet gestanden. Davon hatten 134 Kirchen den Krieg unbeschadet überstanden, 20 weitere mit kaum nennenswerten Schäden und 70 Kirchen mit minder bis starken Zerstörungen. Heute sind 91 Kirchen völlig vernichtet und nicht mehr aufzufinden, 67 sind im ruinenhaften Zustand und nur 66 haben alle Zeiten überdauert.

So schmerzlich die Gruppe auch dieses Vorhaben berührte, sie wollte diesen Weg gehen und hatte das Schicksal ihrer Insterburger Lutherkirche vor Augen. Nachdem sie mit einem leichten Turmschaden den Krieg überstanden hatte, wurde zunächst die hölzerne Innenausstattung vernichtet und später Teile des Turms abgetragen. Das Kirchenschiff wurde bis 1972 industriell genutzt. Nach einem Brand wurde das Wahrzeichen der Stadt 1975 vollständig abgerissen.

In Norkitten steht die Gruppe vor den kläglichen Ruinenresten einer ehemaligen Pfarrkirche, die einstmals der Sohn des Alten Dessauers 1733 den Norkittern gestiftet hatte. Die durch den Krieg unversehrt gebliebene Kirche diente in den ersten Nachkriegsjahren als Lager für landwirtschaftliche Produkte und Geräte. Nach Dachreparaturen und baulichen Veränderungen, wie beispielsweise dem Einbau von Lastwageneinfahrten, wurde die Kirche als Lager für Kunstdünger genutzt. Ende der 80er Jahre begann ein unaufhaltsamer Zerfall des gesamten Gebäudes. Schweigen und Betroffenheit kommen unter der Gruppe auf, zumal das Schicksal der Familie einer Mitreisenden mit dem dieser Kirche und des Ortes eng verbunden ist.

Die Stadt Wehlau hatte den Krieg am 22. Januar 1945 mit der Besetzung durch sowjetische Truppen fast unbeschadet überstanden. Erst danach kam es zu Zerstörungen, von denen auch die Kirche nicht unverschont blieb. Sie diente zunächst als landwirtschaftlicher Speicher und sollte in den 60er Jahren gesprengt werden. Wie durch ein Wunder hielt der größte Teil der massiven baulichen Substanz dem Versuch der Vernichtung stand. Die Gruppe geht um die Kirche herum, fotografiert und findet bestätigt, daß die Wehlauer Heimatgruppe seit 1994 Erhaltungsarbeiten finanziert hat. Unter anderem erhielt der Turm eine neue Haube, und über eine neue metallene Wendeltreppe ist er bis zu einer Aus­sichtsplattform zu besteigen. Durch einen Türspalt des Haupteingangs sieht die Gruppe auf ein Holzkreuz am Ende des Kirchenschiffes. Eine kleine ins Mauerwerk eingelassene Steintafel informiert sie in Russisch und Deutsch: „Deutschordenskirche St. Jacobi. Erbaut 1260 bis 1280. Seit 1945 Ruine, ein zu erhaltendes Symbol für Wehlau“.

Als eine von wenigen Städten des Königsberger Gebietes überstand Tapiau den Zweiten Weltkrieg ohne größere Schäden. Die Pfarrkirche aus dem 16. Jahrhundert diente nach dem Krieg als Lagerhalle und beheimatete ein Geschäft. Dann ungenutzt, kam es in den folgenden Jahren zu baulichen Schäden. Mit der Wende und der Übergabe des Gebäudes im Jahre 1991 an die orthodoxe Kirche begannen Instandsetzungsarbeiten. Trotz gerade stattfindenden Gottesdienstes ist es der Gruppe möglich, das Gotteshaus zu betreten. Sie verweilt im Inneren des Kirchenschiffes, von einem leisen Chorgesang umgeben, und die Gedanken manches Gruppenteilnehmers eilen zurück in die Vergangenheit.

Auch die Kirche in Goldbach hatte den Krieg unversehrt überstanden, mußte aber ebenfalls den schweren Weg aller Kirchen im Königsberger Gebiet gehen. Die Gruppe besteigt eine Anhöhe und steht vor den Resten eines Saalbaus von 1706, die mehrere Storchenfamilien mit Leben erfüllen. Manchem Teilnehmer ist es Trost, daß die ehemalige Kirche doch noch einer ostpreußischen Aufgabe dient, und er schämt sich ein wenig, hier ein romantisches Fotomotiv gefunden zu haben.

In Groß Legitten gab es für die Gruppe die größte Überraschung ihrer Exkursion. Eigentlich erwartete sie hier auf ein Kirchenbauwerk aus dem 14. Jahrhundert zu treffen, das seit 1995 einen Prozeß des Wiederaufbaubeginns durchlebt. Dabei fabnd sie eine wiedererstandenen Ordenskirche einer neuen evangelischen Gemeinde vor. Aus dem gegenüberliegenden kleinen Wohnhaus kam der Gruppe der Türschließer der Gemeinde entgegen. Er begleitet sie durch ein gepflegtes Umfeld bis in die Kirche. Seine Worte, mit Stolz vorgetragen, werden übersetzt. Im „Kleinen Führer zur Information“ vom Förderverein Groß Legitten e.V., Dingelstädter Weg 1, 37085 Göttingen, ist ein Foto von 1994 zu sehen, das nur einen Schluß zu erlauben scheint: An dieser Kirche gibt es wirklich nichts mehr zu retten. In der Informationsschrift steht: „Nachdem das Gutachten vom Deutschen Zentrum für Handwerk und Denkmalspflege in Johannesberg / Fulda eine Kostenabschätzung in erschwinglicher Höhe für die Sicherung gemacht hatte, tat sich 1995 eine kleine Gruppe früherer Bewohner des Kirchspiels und des weiteren Umkreises zusammen, um diese Kirche vor dem gänzlichen Zerfall zu retten.“ Weiter wird der Leser informiert, daß es auch eine finanzielle Unterstützung durch die Bundesregierung Deutschlands gab. Nach 60 Jahren wieder eine evangelische Landgemeinde im Königsberger Gebiet – da stören die deutschen Besucher in keinster Weise die wenigen nicht immer historisch fachgerecht ausgeführten baulichen Maßnahmen. Anerkennung und Respekt gebührt den ehemaligen Bürgern von Groß Legitten, den heutigen Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde!

Nur kurz verweilt die Gruppe in Groß Baum an der Kirche aus den Jahren 1923 bis 1926, einem Feldsteinbau mit Altarnische und einem später errichteten Ziegelturm. Das Gebäude ist in bestem Zustand, bloß keine Kirche mehr. Auf einem Schild links neben der Eingangstür ist in russischer Sprache „Kulturhaus“ zu lesen. Eine Verwendung als Kino scheint die Erklärung für die zugemauerten Fenster des Kirchenschiffes zu sein.

Der ehemaligen evangelischen Kirche in Mehlauken / Liebenfelde gilt der letzter Arbeitsbesuch. Man ist überrascht, hier auf eine italienisch wirkende Basilika mit abseits stehendem Turm zu stoßen, entworfen nach dem Vorbild der Friedenskirche in Potsdam und erbaut in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zunächst wirtschaftlich genutzt, blieb sie seit 1989 ohne Verwendung und verwahrloste. 1993 wurde der Bau der orthodoxen Kirche übergeben. Aus Geldmangel konnten bisher erst die Dächer mit einer metallenen Eindeckung restauriert und das zum Teil beschädigte Mauerwerk sanierungstechnisch gesichert werden. Die Aufbauarbeiten werden ihre Fortsetzung finden, und die Gruppe fährt mit ein wenig Optimismus weiter, daß diese Kirche als historisches Bauwerk den Heimatfreunden aus Liebenfelde erhalten bleiben wird.


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