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23.02.08 / Kostspielige Weltraumträume / ISS-Forschungslabor Columbus: Die Tief- und Höhepunkte eines europäischen Gemeinschaftsprojektes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-08 vom 23. Februar 2008

Kostspielige Weltraumträume
ISS-Forschungslabor Columbus: Die Tief- und Höhepunkte eines europäischen Gemeinschaftsprojektes
von H.-J. Mahlitz

Es sollte ein Lehrstück in Sachen Europa werden. Wurde es auch. Freilich nicht ganz so, wie die Brüsseler Lehrherren und ihre deutschen Musterschüler sich das vorgestellt hatten. Als sie 1985 das Columbus-Programm beschlossen, hatten sie gleich zwei ehrgeizige Ziele im Visier: Durch gemeinsame Kraftanstrengung wollten sie technologisch zu den beiden Welt-(und Weltraumfahrt-) Mächten USA und Sowjetunion aufschließen. Und den Völkern in der immer größer und zugleich europaskeptischer werdenden Gemeinschaft wollten sie demonstrieren, daß auch höchst komplexe Vorhaben in supranationaler Gemeinschaftsverantwortung besser als auf nationaler Ebene zu bewältigen seien – Multikulti-Management als europäischer Weltmachttraum. Technologisch stellte sich wenigstens ein Teilerfolg ein: Was von dem ursprünglichen Columbus- Projekt übrigblieb, ist nun in die Internationale Raumstation ISS integriert und wird – so die durchaus berechtigten Hoffnungen – in den nächsten Jahren einiges an nützlichen und spektakulären Forschungsergebnissen bringen. Aber der Preis ist hoch, für viele Kritiker entschieden zu hoch. Denn politisch geriet Columbus zum Flop. Die Bürger Europas mußten – im krassen Gegensatz zu den hehren Zielen der Politiker – erfahren, daß die hochgelobten Gemeinschaftsstrukturen für solche Vorhaben eben doch nicht geeignet, sondern eher schädlich sind. Zur Kasse gebeten wurden für diese bittere Erkenntnis übrigens nicht die Politiker, sondern die Bürger – wenigstens in dieser Beziehung funktionieren die altbekannten Prinzipien also auch auf gesamteuropäischer Ebene.

Mehr als eine Milliarde D-Mark sollten wir Bürger nach der ursprünglichen Planung für Columbus blechen. Der Name stand anfangs für ein dreigliedriges deutsch-französisch-italienisches „Gesamtkunstwerk“: eine freischwebende Forschungsplattform, die nur zur Wartung gelegentlich an die – damals ebenfalls in Planung befindliche – Internationale Raumstation (ISS) andocken sollte, ein permanent mit der ISS verbundenes Modul sowie eine davon völlig unabhängige Experimentierstation auf polarer Erdumlaufbahn. Für den Verkehr zwischen den drei Komponenten sollte sogar ein eigenes Raumfahrzeug entwickelt werden. In nur vier Jahren brachten die Einheitseuropäer das Kunststück fertig, die technologischen und wissenschaftlichen Ansprüche an ihren Vorposten im All zu reduzieren und zugleich die Kosten um schlappe 50 Prozent hochzutreiben. Dies und ständige politische Querelen veranlaßten die uneinigen Partner, das Programm abzuspecken. Es blieb nur noch das ISS-Modul APM (Attached Pressurized Module), das sich nun Columbus nennen durfte. Die Streitereien im Multikulti-Management eskalierten, bis 1994 eine neue Firma namens Eurocolumbus gegründet wurde, mit Hauptsitz in Bremen und Zweitsitz in Turin. Nach nur einem Jahr war auch diese Konstruktion am Ende.

Nun sollte EADS in Bremen als Hauptauftragnehmer Europa den Weg ins Weltall ebnen, assistiert von Alenia in Turin. Dies sowie die Beteiligung weiterer 39 Firmen aus zwölf Ländern machte das Vorhaben nicht gerade einfacher. Aber unverdrossen wurde weitergeplant, verworfen, neu geplant, bis die ESA, die sich gern auf einer Ebene mit der NASA sieht, 1996 einen offiziellen Auftrag für den Bau des ISS-Moduls Columbus erteilte. Die Kosten für das Schrumpfprojekt waren inzwischen auf 880 Millionen Euro geklettert. Daß Raumfahrt auch etwas mit Science Fiction zu tun hat, mag man daran erkennen, daß diese Summe offiziell als „Festpreis“ bejubelt wurde. Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus: Als die US-Raumfähre Atlantis am 7. Februar 2008 mit Columbus im Bauch abhob, war die Milliardengrenze längst überschritten. Experten schätzen, daß allein der Kompetenzwirrwarr zwischen den europäischen Partnern die Kosten um mindestens ein Viertel hochgejagt hat. Über all diesen Querelen ist der durchaus beachtliche wissenschaftliche Wert des Projekts leider in den Hintergrund getreten. Die Experimente an Bord des Weltraumlabors haben drei Schwerpunkte. Materialforschung: Unter den besonderen Bedingungen der Schwerelosigkeit sollen neuartige Werkstoffe, zum Beispiel Metallverbindungen oder Kristalle, mit heute noch kaum vorstellbaren Eigenschaften entwickelt werden. Biologie: Hier erwarten die Wissenschaftler wichtige Erkenntnisse über Entstehung und Entwicklung des Lebens auf der Erde und daraus resultierend eine Reihe praktischer Anwendungsmöglichkeiten. Medizin: Spezifische Untersuchung des Herz- Kreislauf-Systems und neurologische Experimente am Gehirn sollen zu besseren Therapiemöglichkeiten und Medikamenten führen.

Ohne Zweifel hat Europa mit Columbus zu den führenden Raumfahrtnationen aufgeschlossen; die daran beteiligten Wissenschaftler, Techniker und sonstigen Mitarbeiter, nicht zuletzt auch in Deutschland, können stolz darauf sein, nunmehr „auf Augenhöhe“ mit Amerikanern und Russen am Firmament zu schweben. Aber gemach: „Auf Augenhöhe“ heißt im Klartext, auf einer Flughöhe von durchschnittlich 340 Kilometer über dem Erdboden. Ein Lichtstrahl braucht dafür wenig mehr als eine Tausendstel Sekunde. Da schon von „Eroberung des Weltalls“ zu sprechen, ist angesichts der 13,5 Milliarden Jahre, die das Licht von den Grenzen des bislang bekannten Universums zu uns Irdischen unterwegs ist, wohl doch etwas vermessen. So bringt uns die bemannte Raumfahrt, ansonsten in ihrem Nutzwert nicht unumstritten, zumindest diesen Gewinn: die von Astro- und Kosmonauten immer wieder vermittelte Erkenntnis tiefster Demut und Bescheidenheit.


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