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23.02.08 / Alleskönner im Dauerurlaub / Beobachtungen bei einer Reiseleiterausbildung an der türkischen Riviera

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-08 vom 23. Februar 2008

Alleskönner im Dauerurlaub
Beobachtungen bei einer Reiseleiterausbildung an der türkischen Riviera
von Robert B. Fishman

Antalya. In den grauen Bergen hängen dunkle Regenwolken. „Günayden, Guten Morgen“, schallt es in der schwachen Morgendämmerung fröhlich aus den Buslautsprechern auf 50 verschlafene Touristen: Bus-Ausflug ins Taurusgebirge. „Günayden“, rufen die Reisenden zurück, erst müde, dann schon ein bißchen wacher, während der Bus die ersten Kurven ins Gebirge nimmt. Reiseleiter Sabih klappt eine Türkei-Karte aus, erklärt die Geographie seines Landes und den Weg. Anderthalb Stunden Fahrt, die erste Pause an einem Stausee, Mit-

tagessen, nachmittags an den Kalksinterterrassen von Pamukkale, Welterbe der Vereinten Nationen, Besichtigung einer antiken griechischen Ruinenstadt, abends ein Hotel in Pamukkale, am nächsten Tag eine Teppichfabrik. Er plaudert in fast perfektem Deutsch mit charmantem Akzent von Türken und Deutschen, spielt ironisch mit den Vorurteilen der einen gegen die anderen. „Sie haben zweieinhalb Millionen Türken in Deutschland. Wie sieht der Türke aus?“ will er von seinem Publikum wissen. Und antwortet selbst: Die Türken, erzählt er mit einem Lächeln in der Stimme, seien vor 3000 oder 4000 Jahren mit hohen Wangenknochen, gelblicher Hautfarbe und Schlitzaugen nach Kleinasien gekommen. „Mit der Zeit haben wir uns hier mit mehreren Völkern vermischt und die Schlitzaugen sind länger geworden, sie sind dann – zu Schlitzohren geworden.“ Die Lacher hat er auf seiner Seite.

„Der Anfang“, sagt Sabih später, „ist sehr wichtig.“ Möglichst in den ersten 15 Minuten müsse ein Reiseführer erkennen, welche Art Gruppe er vor sich habe. Dann müsse er die Leute für sich gewinnen und sich durchsetzen. „Immer freundlich, mit Humor, aber bestimmt.“ Diesmal hat es geklappt.

Für Annette Paatzsch ist der feinsinnige türkische Reiseleiter, der seinen Job auch nach mehr als 20 Jahren noch „mit Freude“ macht, ein „sehr gutes Anschauungsobjekt“. „Sabih hat die Begabung, die ein Reiseleiter braucht“, lobt die Ausbilderin: „Immer ein Lächeln und die Fähigkeit, so zu erzählen, daß bei den Gästen Bilder im Kopf entstehen.“ Er kenne die deutsche Mentalität, den deutschen Humor und verstehe, damit zu spielen.

Annette Paatzsch bildet mit ihrem Kompagnon Andreas Damson an der türkischen Riviera und im westfälischen Münsterland angehende Reiseleiterinnen und Reiseleiter aus. Für ihre fünf Lehrlinge hat sie den zweitägigen Ausflug in die Berge gebucht: Anschauungsunterricht. Reisebusse spucken Touristenmassen auf den Parkplatz in Pamukkale. In dicke Anoraks und Regenjacken gewickelt ziehen sie gruppenweise zu den grau gewordenen Kalkterrassen, baden ihre Füße im warmen Quellwasser und pilgern zum antiken Amphitheater auf dem Hügel über der Ausgrabungsstadt Hierapolis. Im Bus hat Sabih klare, freundliche Anweisungen gegeben: „Wir gehen zusammen zum Eingang. Dann treffen wir uns hier wieder um halb Vier oder um Vier auf dem Parkplatz auf der anderen Seite. Dazu folgen Sie dem Hauptweg immer geradeaus zum anderen Ende des Geländes.“ Alles klar.

Was so einfach aussieht, klappt nicht immer. Nach dem Ausflug, Vorträgen über Gruppendynamik, Reiserecht, Konfliktmanagement und zahlreichen Übungen zu Kommunikation, Vortragstechnik und Rhetorik stehen die angehenden Reiseleiter zwei Tage später auf dem noch einsamen Parkplatz des Nationalparks Termessos. Abwechselnd wollen sie zeigen, was sie gelernt haben. Jeweils zu zweit haben sie Führungen durch die Ruinenstadt Termessos im Nationalpark und durch die Altstadt von Antalya vorbereitet. Die Busfahrten begleiten die anderen Kursteilnehmer mit Ansprachen und Kommentaren. Letzte Lagebesprechung vor der Wanderung: „Wir gehen jetzt ungefähr 20 Minuten diesen Weg hoch in die Ruinenstadt“, erklärt Kursteilnehmerin Franziska, die die Gruppe durchs Gelände führen soll. „Wenn wir oben sind, erzähle ich euch etwas zur Geschichte der 3000 Jahre alten Stadt Termessos. Antje wird euch den Nationalpark vorstellen.“

Der steinige, steile Weg nach oben zieht sich in die Länge. In einem Reisebuch hatte Franziska gelesen, daß der Aufstieg 20 Minuten dauert. Nach mehr als einer halben Stunde tauchen die ersten Ruinen am Wegesrand auf. Einige Wanderer fotografieren, andere unterhalten sich angeregt oder bleiben stehen, um die kilometerweite Aussicht über menschenleere, zerklüftete Fels- und Waldlandschaft zu bewundern. An der ersten Weggabelung geht ein Teil der Gruppe verloren. Die anderen laufen kreuz und quer zwischen den Ruinen herum. Immer wieder versucht Franziska, ihre Schäfchen für einen Vortrag zusammen zu bekommen. Im dritten Anlauf hören die meisten zu. Unten im Tal wartet schon der Bus. Mittags muß die Gruppe in Antalya sein. Dort stehen ein Essen, eine Stadtführung und ein Einkaufsbummel auf dem Programm. 

Unten in der Stadt lauern nach einer halben Stunde Busfahrt die nächsten Tücken des Reiseleiterdaseins. Wie ein Hühnerhaufen läuft die Gruppe auf die als „Freßmeile“ bekannte Hauptstraße zu. Im mittäglichen Gedrängel diskutieren die Kursteilnehmer, welcher Weg der beste sei. Zwischen hupenden Autos, dröhnenden Bussen und Restaurantbesitzern, die versuchen, Passanten in ihre Lokale zu locken, wird die Verständigung schwierig.

Schließlich landet die Gruppe in einem Lokal über der lauten Hauptstraße. Während der Muezzin durch den Verkehrslärm lautstark zum Mittagsgebet ruft, wertet Andreas das Geschehen aus. „Das war jetzt eine schwierige Situation“, erklärt er und ergänzt: „Da muß man schnell den Blick schärfen, entscheiden und zu seiner Entscheidung stehen, auch wenn sie vielleicht nur zu 70 Prozent gut ist.“ Also ein Lokal aussuchen und mit allen hingehen, um zu vermeiden, daß Teilnehmer im Gewusel verloren gehen. „Der Gast“, erklärt Anette, „hat dafür bezahlt, daß er seinen Kopf zu Hause lassen darf.“ Deshalb muß der Reiseleiter alles regeln und möglichst alles können: vermitteln, erklären, organisieren, informieren, souverän bleiben und immer für alle vorausdenken.  „Schon am Flughafen müßt ihr wissen, daß die nächste Toilette erst nach zwei Stunden Fahrt kommt und den Leuten sagen, daß sie das Flughafenklo nutzen sollen.“

Techniker, Kindermädchen, Ermutiger, Beruhiger, Seelentröster, Schlichter, Leiter, Lehrer, Manager, Inspirator und Problemlöser soll ein Reiseleiter sein. Streß pur für ein Gehalt, das seinen Namen kaum verdient. Zwischen 50 und höchstens 200 Euro zahlen die Veranstalter pro Tag. Dennoch lieben nicht nur Andreas und Anette diesen Beruf.

Die Begeisterung der Reisenden nach einer erfolgreichen Tour ist für Andreas einmalig. „Und jeder Tag ist anders“, ergänzt Anette. Michael, der seit vielen Jahren Reisen leitet und zu Hause in München Tourismus unterrichtet, erlebt seine Erfahrungen mit den Reisegruppen als „Reichtum, der mit Geld nicht aufzuwiegen ist“.

 

Hauptberuf Urlaub

In Deutschland gibt es weder eine einheitliche Ausbildung noch ein festgelegtes Berufsbild für Reiseleiter. Einige Veranstalter bilden ihre Reiseleiter selbst aus. Erwartet werden einschlägige Erfahrungen (vor allem für Studienreisen), ein Hochschulabschluß zum Beispiel in Kunstgeschichte oder einem anderen Fach, das auf der Reise gefragt ist, sehr gute Kenntnisse des Reiselandes und der dortigen Sprache, Führungserfahrung, großes Geschick im Auftreten und im Umgang mit Gruppen, Konfliktfähigkeit, Organisationstalent, Streßresistenz, große Einsatzbereitschaft möglichst rund um die Uhr, exzellente Allgemeinbildung, ausgeprägte Dienstleistungsbereitschaft und hohe soziale Kompetenz.

Bezahlt wird für solche „Alleskönner“ wenig. Die Tagessätze für Reiseleiter liegen zwischen 80 und 120 Euro. Manche Veranstalter zahlen weniger, einige wenige bis zu höchstens 200 Euro. Reisekosten trägt der Veranstalter.

Beliebt ist der stressige, aber spannende Job bei Hochschulabsolventen, die auf Reisen wertvolle praktische Erfahrungen zum Beispiel im Umgang mit und der Führung von Menschen sowie in fremden Kulturen für die spätere Karriere sammeln. 

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit sieht im Tourismus als jetzt schon größtem Arbeitgeber weltweit und in Deutschland viel Zukunftspotential. Allerdings werden die Gäste mit zunehmender Reiseerfahrung immer anspruchsvoller. Im Trend liegen Kurzurlaube, Städte-, Event-, Sport-, Wellness- und Gesundheitsreisen. Weil die Menschen in Deutschland immer älter werden, steigt auch die Nachfrage nach Reisen für die sogenannten „Silver Ager“. Die verkaufen sich jedoch nur, wenn die Veranstalter sie nicht als solche anbieten. Zunehmend gefragt sind neben den üblichen Pauschalreisen auch Baukastenangebote. Hier stellen sich die Kunden nach ausgiebiger Beratung ihre Reise selbst zusammen.

Reiseleiter gibt es auf dem Markt weit mehr, als die Veranstalter brauchen. Wer allerdings neben den allgemeinen Qualifikationen Spezialkenntnisse mitbringt, hat noch Chancen. Bei Anbietern von „Senioren“reisen haben zum Beispiel Reiseleiter mit pflegerischem und medizinischem Wissen einen Vorteil. Auch ausgefallene Sprachkenntnisse und Detailwissen über das aktuelle Geschehen in einem Zielgebiet können helfen.

Foto : Attraktion: Touristen auf den Kalksinterterrassen in Pamukkale


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