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01.03.08 / Als wäre sie eine zweite Sophie Scholl ... / Klaus Rainer Röhl über die seiner Meinung nach jugendgefährdende Ulrike-Meinhof-Biographie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-08 vom 01. März 2008

Als wäre sie eine zweite Sophie Scholl ...
Klaus Rainer Röhl über die seiner Meinung nach jugendgefährdende Ulrike-Meinhof-Biographie von Jutta Dittfurth

„Will Ulrike Gnade oder freies Geleit“, fragte einst Heinrich Böll. Der Dichter nannte die Frau, die gesagt hatte, daß auf Bullen natürlich geschossen werden könne, mit Vornamen. Sie war ja eine Genossin. Etwas anderes als freies Geleit oder Gnade kam für ihn und die anderen Gutmenschen gar nicht in Betracht. Keine Gnade für die Opfer.

Böll ist tot, aber der Geist der Mitleidslosigkeit mit den Opfern der RAF lebt. 100 halblegale und illegale, teils im Ausland gedruckte Flugschriften und Broschüren von Sympathisanten verbreiteten schon damals die Theorie, daß Ulrike Meinhof ermordet worden sei. Um eine solche, allerdings verklausulierte Legendenbildung geht es auch in dem neuen Buch von Jutta Ditfurth: „Ulrike Meinhof – Eine Biographie“.

Die RAF hat sich selbst zur Geschichte erklärt, die Legenden schienen nachhaltig zerstört. Aber das Gefühl, damals in einer großen Zeit gelebt und viel Gutes für Deutschland getan zu haben, ist bei den meisten Beteiligten geblieben, und viele neue junge Menschen sind inzwischen herangewachsen und wollen die bittere, ernüchternde Nachricht über die Menschen mordenden Gruppe nicht wahrhaben und suchen immer noch die „Wahrheit über die RAF“. Alle unentwegt alten und ahnungslos neuen Sympathisanten haben seit kurzem ein Buch, in dem ihre geheimen Sehnsüchte und offenen Verdächtigungen gegen den Staat neu geweckt und ausführlich bedient werden. Jutta Ditfurths Buch.

Die Mitbegründerin und spätere Aussteigerin aus der Partei der Grünen, Jutta Ditfurth, hat das Buch unter enger Zusammenarbeit mit Mitgliedern des bedingungslos sympathisierenden einstigen „Angehörigen-Kreises“ geschrieben und von den überlebenden Mitgliedern der RAF bevorzugt die unbelehrbaren befragt. Jutta Ditfurth stellt in einem umfangreichen, scheinbar lapidar und nüchtern geschriebenen Buch Ulrike Meinhof als eine zweite Sophie Scholl dar, eine verspätete Antifaschistin, die mit ihrem Untergrund-Kampf auch ihren Vater, der Mitglied der NSDAP war, und ihre Pflegemutter, Renate Riemeck, treffen wollte, die ebenfalls Mitglied der Partei und Assistentin eines Professors war, der bei der SS den Rang eines Obersturmbannführers hatte. Jutta Ditfurth hat nun – in sechs Jahren Recherchearbeit – herausgefunden, daß das dortige Museum, wie alle Museen in Deutschland, Bilder der sogenannten entarteten Kunst an die zentrale Sammelstelle in München abgeliefert hat. Also hat sich der Vater Meinhof „im Kampf gegen die entartete Kunst hervorgetan!“ Zu allem Überfluß soll Ulrike Meinhof auch noch einen tiefen Groll gegen ihre Pflegemutter gehegt haben, weil sie eine Liebesbeziehung ihrer Tochter vor dem Abitur gewaltsam auseinandergebracht habe. Nazi-Assistentin, und dann auch das noch? Au Backe. Aber deshalb die Rote Armee Fraktion? Die Bomben, die Morde?

Wer immer Ulrike Meinhof gut kannte, wußte, daß sie die Tätigkeit ihres Vaters niemals thematisiert hat, und ihre Pflegemutter Renate Riemeck bewunderte und verehrte. Obwohl sie manchmal lachend erzählte, daß dieser einst das Goldene HJ-Abzeichen verliehen wurde. Als Atomwaffengegnerin Mitglied der illegalen KPD arbeitete sie auch später ungetrübt mit ihrer Pflegemutter zusammen. Beide empfanden sich als Gegner des Nationalsozialismus und bekämpften „Hitler in Euch“. Später freilich, viel später, gab es Krach. Frau Riemeck schrieb nämlich, als ihre Pflegetochter in den Untergrund ging, den Artikel „Gib auf, Ulrike!“ und distanzierte sich von der RAF. War das der Grund, jetzt auf die tote Frau Riemeck einzuschlagen, die sich nicht mehr zur Wehr setzen kann?

Jutta Ditfurth bemüht sich, ihre Märtyrer-Ikone in ein gutes Licht zu stellen und muß sie deshalb von allen irdischen Flecken reinigen. Wie die Vorwürfe:

1. Ulrike Meinhof habe ihre Kinder entführen lassen, um sie in ein Waisenlager der Palästinenser in Jordanien zu bringen. Dies dementiert Jutta Ditfurth, Sie wollte es nicht. Beweis: Hörensagen.

2. Ulrike Meinhof habe den Anschlag auf das Springer-Hochhaus in Hamburg geplant und geleitet, bei dem Arbeiter und Angestellte zum Teil schwer verletzt wurden. Hier wird das sonst so redselige Buch ganz einsilbig: Es gäbe auch Leute, die anderer Meinung sind. Wer, wird nicht verraten.

3. Ulrike Meinhof sei, nachdem Ensslin und Baader sie wochenlang nur noch beschimpft und geschnitten und sich am ersten Verhandlungstag in Stammheim von dem Anschlag in Hamburg distanziert hätten, völlig zusammengebrochen und habe sich wenige Tage später erhängt. Jutta Ditfurth: Die Zwistigkeiten waren längst beendet. Sie war bester Laune und dachte nicht an Selbstmord. Beweis: Hörensagen eines Besuchers.

Dies ist die zentrale Stelle des Ditfurth-Buches. Zwei Gutachten über die Tote, die den Selbstmord bestätigen, auch das auf Wunsch der Angehörigen vorgenommene, verwirft sie.

Die Autorin unterstellt also, daß Ulrike Meinhof ermordet wurde. Von wem, kann sie nicht sagen. Das geheimnisvolle Killerkommando scheint ihr nicht unwahrscheinlich.

Es war das große Verdienst des Austschen ARD-Films und der anschließenden „Spiegel“-Serie, den Selbstmord Ulrike Meinhofs lückenlos und endgültig aufgeklärt und ihr damit die Achtung vor der letzten freien Entscheidung, die ein Mensch fällen kann, zurückgegeben zu haben. Sie ist, wie der Autor dieses Artikels bereits 1993 vermutete, durch einen unvorstellbaren Gruppenterror von Baader und Ensslin regelrecht in den Tod getrieben worden. Regelrecht: nämlich exakt nach den Regeln eines der schlimmsten stalinistischen Stücke von Bertolt Brecht: „Furchtbar ist es zu töten. / Aber nicht andere nur, auch uns töten wir, / wenn es nottut.“ Ein Exemplar des Brechtstücks „Die Maßnahme“, in dem diese Stelle angestrichen war, fand sich in der Zelle von Gudrun Ensslin. Noch Fragen?

Schon sieht man, wie das gutmenschliche Milieu, etwa in der „Süddeutschen Zeitung“, Frau Ditfurth für bare Münze nimmt. Der dortige Rezensent Willi Winkler findet das Motiv des nachgeholten Antifaschismus immerhin bedenkenswert, lobt das Buch und paraphrasiert am Ende noch einmal jene, seit Hochhuth bis zum Überdruß strapazierte Phrase: „Ulrike Meinhofs Leben ist eine deutsche Geschichte.“ Eine sehr deutsche Rezension.

Wichtiger ist die Frage, was aus den vielen Tausenden geworden ist und was aus ihnen werden soll, die bis heute überzeugt blieben und nun erst recht überzeugt sind: Die Gefangenen der RAF sind in Stammheim ermordet worden! Sie haben unsere Kinder und Enkelkinder erzogen, haben über uns zu Gericht gesessen, über die Deutschen Gedichte, Satiren und Theaterstücke verfaßt und Magister- und Doktorarbeiten geschrieben über diesen Staat und seine Bewohner. Glauben auch sie, obwohl längst in Beruf und vielfach in Amt und Würden, teilweise sogar schon im Ruhestand: „Der Kampf geht weiter“?

Jutta Ditfurths Buch ist kein ärgerliches, sondern ein höchst gefährliches, ich finde sogar, jugendgefährdendes Buch.                 Klaus R. Röhl

Jutta Ditfurth: „Ulrike Meinhof – Eine Biographie“, Ullstein Verlag Berlin 2007, gebunden, 479 Seiten, 22,90 Euro

 

Klaus Rainer Röhl war bis 1967 mit Ulrike Meinhof verheiratet. 1968 wurde die Ehe geschieden. Im Mai 1970 gründete sie die sogenannte Rote Armee Fraktion, die Röhl von der ersten Stunde an erbittert bekämpfte. Er beschrieb die RAF in seinem neuen Buch „Du bist Deutschland – Satiren aus der europäischen Provinz, München 2007.


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