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08.03.08 / Zar, Reformer oder Putins Marionette? / Was die Welt von Dmitrij Medwedjew zu erwarten hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Zar, Reformer oder Putins Marionette?
Was die Welt von Dmitrij Medwedjew zu erwarten hat
von Wolf Oschlies

Ich habe nicht so viele Jahre dafür geackert, daß ich Rußland einem schwachen Präsidenten überlasse“, sagte Wladimir Putin im September 2007 bei einem Kongreß in Sotschi zu westlichen Politologen. Machte er sich über diese lustig? Putin ist überzeugt, selber der beste und stärkste Präsident zu sein, wahrte aber demokratische Contenance und lehnte eine dritte Amtszeit ab. Die dafür nötige Verfassungsänderung hätten die Russen liebend gern akzeptiert, aber Putin schob seinen langjährigen Weggefährten Dmitrij Medwedjew auf den Präsidentensessel, wird aus dem Hintergrund diesen schwachen Politiker nach Belieben dirigieren und nach mehrjähriger Schamfrist eine neue Präsidentenkarriere starten: Medwedjew, so der Medientenor seit Monaten, wird nicht Putins „posledowatel“ (Nachfolger) sein, sondern sein „preemnik“ (Fortsetzer). Weiter wie bisher!

„Das ist kaum eine demokratische Wahl, alles ist vorab bestimmt“, rügte Wähler Michail Gorbatschow am Wahltag, der auf seinen 77. Geburtstag fiel. Recht hatte er: Medwedjew – Favorit Putins und gemeinsamer Kandidat von Putins „Einigem Rußland“ und drei weiteren Parteien – wurde am 2. März bereits im ersten Wahlgang mit über 67 Prozent gewählt. Die Konkurrenten, die das harsche Zulassungssystem geschafft hatten – Kommunistenchef Gennadij Sjuganow, „Liberalen“-Führer Schirinowskij und Demokrat Andrej Bogdanow – waren nur Staffage, deren Beteiligung und Stimmenanteil, zusammen gute 30 Prozent, bloß Erinnerungen an sowjetische „Wahlen“ verhindern sollten.

Medwedjew erhielt noch am Wahltag gute Ratschläge von Experten, die im russischen Fernsehen zu Wort kamen. Der neue Präsident muß das Wirtschaftswachstum steigern und verstetigen, die Inflation senken und kontrollieren und vor allem im ganzen Land einen unternehmerischen Mittelstand fördern, nicht nur in Moskau und St. Petersburg. Alles andere wird dann von allein kommen, vor allem wird die Massenflucht junger Fachleute aus einem Rußland aufhören, dessen Regierung sich viel zu wenig um Bildung und Wissenschaft kümmert, hoffte am Wahltag Rußlands weltbekannter Physiker Sergej Kapiza.  

Im Wahlkampf gab sich Medwedjew als tatkräftiger Reformator, der nichts verspricht, aber vieles fordert. Seine vierjährige Präsidentschaft stellte er unter „vier I: Institutionen, Infrastruktur, Innovationen, Investitionen“. Aber dann verfiel er doch in Putin’sche Aufschneidereien: Rußland wird im Jahre 2020 zu den „fünf führenden Wirtschaftsmächten“ gehören, sein Bruttoinlandsprodukt verdreifachen, seine Produktivität vervierfachen, über die Hälfte aller Beschäftigten mit einer höheren Fachbildung ausstatten. Das alles sind „Mythen“, urteilte gnadenlos das Wirtschaftsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften, als es Ende Februar sein Programm „Aufgaben für den neuen Präsidenten“ vorstellte. Institutsdirektor Ruslan Grinberg warnte: „Ein systematischer Defekt russischer Wirtschaftspolitik ist das Ignorieren der allgemein akzeptierten Kennzeichen von Lebensqualität, also Lebenserwartung, Qualität der Bildung und des Gesundheitswesens, Einkommen der Bevölkerung.“ Ökonomen haben darauf ständig verwiesen, so Grinberg, aber von Breschnew bis Putin „haben die Mächtigen ihre Ratschläge mißachtet“. Jetzt öffnet sich mit jedem Jahr mehr die Schere sozialer Ungleichheit. Was tun? Jüngste Umfragen verdeutlichen, daß nur eine Minderheit der Russen an die schönen Perspektiven von Putin und Medwedjew glaubt. Die Mehrheit hat sich damit abgefunden, daß „im Lande alles zerfällt“, „unsere schwache Wirtschaft sich nur schleppend entwickelt“ und „wir ewig hinter vielen Ländern der Welt zurückbleiben werden“. Aber Medwedjew haben sie doch gewählt – in der stillen Hoffnung, daß der über ein „wolschebnoe slowo“ verfüge, ein Zauberwort. Wenn er eins besitzt, dann hat er es am Wahltag nicht ausgesprochen. Nach 23 Uhr traten er und Putin auf dem Moskauer Roten Platz vor eine begeisterte Menge, um unisono zu verkünden: „Dieser Sieg ist eine Garantie für die Fortsetzung eines erfolgreichen Kurses“. (Lesen Sie die Bilanz der Putin-Ära auf Seite 4).


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