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08.03.08 / Mit »brutaler Gewalt« ins Kosovo? / Rußland ist über die Unabhängigkeitserklärung verstimmt, leistet Serbien aber keine Rückendeckung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Mit »brutaler Gewalt« ins Kosovo?
Rußland ist über die Unabhängigkeitserklärung verstimmt, leistet Serbien aber keine Rückendeckung
von Wolf Oschlies

Laut diplomatischer Lehre geschehen in der Politik Fehler und – schlimmer noch – Dummheiten. Die am 17. Februar proklamierte Unabhängigkeit des Kosovo ist ein Fehler gegenüber Serbien, dem völkerrechtswidrig 15 Prozent seines Territoriums genommen wurden, und eine Dummheit gegenüber Rußland, das diese Eigenmächtigkeit von EU und Nato nie billigte und in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Gremien gegen sie Front machen wird.

„Ständiger Vertreter“ Rußlands bei der Nato ist seit dem 9. Januar Dimitrij Rogosin – eine Ernennung, die sich Strategie-Experte Alexander Konowalow nur mit „Putins ausgeprägtem Sinn für Humor“ erklären konnte. Rogosin (* 1963), Ex-Chef der nationalistischen Partei „Rodina“ (Heimat), gilt in Rußland als Brachialschwätzer, „dessen Aussagen niemals seriös und überlegt sind“, so Leonid Sluzki, Vizevorsitzender des Parlamentsausschusses für Außenpolitik.

Wie zum Beweis dessen präsentierte am 22. Februar die Agentur „Interfax“ eine Äußerung Rogosins, herausgefischt aus einer Videokonferenz „Moskau–Brüssel“: Rußland behalte sich ein militärisches Eingreifen im Kosovo vor, werde eventuell brutale Gewalt einsetzen, „damit andere uns respektieren“. Im russischen Außenministerium kam Entsetzen auf, während Putins EU-Beauftragter Sergej Jastrschemb-skij beruhigte: „Es ist gut bekannt, daß das Kosovo-Problem, wie ähnliche Probleme in anderen Weltregionen, nicht militärisch gelöst werden kann. Wer Rußland anderes unterstellt, erweckt unsere stärkste Verwunderung. Ich bin überzeugt, daß unsere EU-Partner unsere Haltung zum Kosovo gut verstehen“.

Rogosins Äußerung sei „zerknittert“ (skomkanno) verbreitet worden, rügte Außenpolitiker Sluzki, und auch „Interfax“ korrigierte sich umgehend: „Falls EU und Nato das Mandat verletzen, das die UN abgesteckt haben, dann bedeutet das, daß sie gewissermaßen im Konflikt mit der UN sind. Denn dann wird die Welt künftig nicht mehr nach dem Völkerrecht geordnet, sondern mit brutaler Gewalt, also mit militärischen Mitteln“, so der von Rogosin bestätigte Wortlaut seiner Aussage.

Damit hatte er allen im Westen den Spaß verdorben, die mit lauten Anklagen gegen Rußland ihr schlechtes Gewissen in Sachen Kosovo übertönen wollten, allen voran US-Vizeaußenminister Nicolas Berns, einer der Haupteinpeitscher kosovarischer Unabhängigkeit: „Rußland betreibt eine zynische Kosovo-Politik. Es ist mit seiner Haltung isoliert, kaum ein Land unterstützt es. Im Kosovo gibt es keine Russen, die den Kosovaren helfen würden, Rußland stört nur die Regelung des Kosovo-Problems.“

Dieser Tobak war eindeutig zu stark für die Russen, deren Außenministerium in „undiplomatischem“ Klartext antwortete: „Offener Zynismus der USA ist, allein die kosovo-albanische Seite zu unterstützen und 100000 Serben im Kosovo in Ghettos zu verbannen. Es ist Zynismus, das serbische Volk zu erniedrigen, dem man im Tausch für die Zerstückelung Serbiens eine europäische Perspektive anbietet. Die amerikanische These von der Einmaligkeit des Kosovo ist unmoralisch, weil sie nur Ausgewählten Eigenstaatlichkeit gibt, anderen aber nicht. Rußland ist nicht isoliert, vielmehr haben jüngste Beratungen im UN-Sicherheitsrat, im Europarat etc. gezeigt, daß viele seine Position einer Kompromißlösung Belgrad–Pristina teilen. Wir warnen vor den Folgen einer Verstärkung des Separatismus, der die internationale Rechtsordnung bedroht.“

Doch sollte die Welt Rußlands Widerstand fürchten? Der Kalte Krieg ist endgültig vorbei, Rußland kann keine militärischen Abenteuer mehr wagen. Seine Armee ist ein Haufen Schrott, wie die „Nesavisimaja gaseta“ (Unabhängige Zeitung) am 13. Februar gnadenlos dokumentierte: Demotivierte Wehrpflichtige, unqualifizierte Offiziere, Halbierung des Bestands an Interkontinentalraketen, starke Verminderung an Panzern und Kampfflugzeugen, keine atomaren U-Boote mehr etc. Acht Jahre Putin-Herrschaft waren für die Armee eine Zeit der radikalen, wiewohl unfreiwilligen „Abrüstung“. Rußland hat sich 1999 die Aussicht auf einen eigenen Sektor im Kosovo durch Jelzins Eigenmächtigkeiten wie der Besetzung des Flughafen Pristina verscherzt und zog 2003 seine Soldaten aus der Region ab. Zurück-schicken wird es diese nicht, auch wenn im Kosovo die dortigen Serben und in Belgrad Premier Kostunica noch so sehr darum bitten.  

Um so ernster sollten Rußlands Kosovo-Bedenken genommen werden: „Rußland hat keine direkten Interessen am Balkan insgesamt oder am Kosovo speziell“, erklärte Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der international angesehenen Fachzeitschrift „Rossija v globalnoj politike“ (Rußland in der Globalpolitik). Aber Rußland fürchtet sich vor dem albanischen Separatismus, dessen destruktiven Auswirkungen auf Europa und dem würdelosen Einknicken der Europäer vor dem Kosovo-Engagement der USA. Russisches Engagement ist hingegen der „Juschni potok“ (Südstrom), eine internationale Gasleitung, die Serbien auf Jahre hinaus von seinen Energiesorgen befreien wird.

Postskriptum: Rußland entdeckt derzeit seinen Landsmann Antid Janow wieder, der 1912 von den Fronten des Ersten Balkankriegs berichtete und dabei nicht an Rügen über die Grausamkeit und Feigheit der Albaner sparte. Janow hieß mit bürgerlichem Namen Leo Trotzki.   

Foto: Nicht allein: Serben tragen Fahnen jener Staaten, die die Unabhängigkeit des Kosovos nicht anerkannt haben.


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