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08.03.08 / Lerchen und Massenmord / Arno Surminski über einen menschenfeindlichen Vogelfreund von Auschwitz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Lerchen und Massenmord
Arno Surminski über einen menschenfeindlichen Vogelfreund von Auschwitz

Der Jubel war groß, als bei der 80. Verleihung des Oscar Österreich den Zuschlag bekam für den besten nicht-englischsprachigen Film „Die Fälscher“. In der österreichisch-deutschen Co-Produktion geht es um die unglaubliche Geschichte einer Fälscherwerkstatt im KZ Sachsenhausen. Dort hatte die SS die Häftlinge gezwungen, englische Pfundnoten zu fälschen, um den Gegner zu schwächen. 130 Millionen Pfund Sterling entstanden unter dem Code-Namen „Operation Bernhard“. So absurd die Geschichte heute klingt – die Sonderhäftlinge waren froh um jeden Tag, den sie leben konnten.

Durch Romane und Zeitzeugen heute eher bekannt ist eine andere unglaubliche Geschichte aus der Zeit des Schreckens: das Mädchenorchester von Auschwitz, im Juni 1943 auf Befehl der SS durch die polnische Musiklehrerin Zofia Tschaikowska aufgebaut. Die Mitglieder waren musikalisch begabte Häftlingsmädchen, die durch die Aufnahme ins Orchester vor der Vernichtung bewahrt wurden. Das Orchester spielte am Tor, wenn die Arbeitskolonnen aus- und einmarschierten ...

Nun kommt eine weitere unglaubliche Geschichte hinzu: Während die Häftlinge in Auschwitz darbten und um ihr Leben bangten, war ein Biologe damit beschäftigt, die Vogelwelt von Auschwitz zu dokumentieren. Der Ornithologe, der als SS-Mann nach Auschwitz abkommandiert war, hatte nur Möwen, Schwalben oder Graureiher im Kopf. Eine Geschichte, die den Schriftsteller Arno Surminski in ihren Bann zog. Entstanden ist eine Novelle von großer Intensität. Surminski stellt dem Vogelforscher, den er Grote nennt, den polnischen Häftling Marek zur Seite. Und der Leser erlebt vornehmlich aus der Sicht dieses unschuldig inhaftierten Kunststudenten die Bemühungen des Vogelfreunds und Menschenverächters Grote, die heile Vogelwelt zu dokumentieren. Grote, der Unhold? Grote, der Familienvater? Es sind seltsame Gedanken, die Marek durch den Kopf gehen, als er mit Grote im Lager und in der Umgebung umherstreift. „Er lacht wie ein normaler Mensch, ging es Marek durch den Kopf. Bestimmt kann er auch singen und Klavier spielen. Zum Glück konnte er nicht zeichnen. Dafür brauchte er Marek Rogalski. Du wirst ihm hundert Vögel zeichnen, du wirst mit ihm nach Krakau fahren und irgendwann nicht mehr ins Lager zurückkehren.“

Bizarr sind die Momente, in denen die Idylle auf die Realität trifft: „Sie erlebten die Heimkehr der Rohrdommeln. Die Wildenten begannen, ihre Nester zu bauen. Dort eine Bachstelze, hier eine Lerche, ein Schwarm Gimpel hüpfte im Haselstrauch. Grote fotografierte die bunten Vögel und schwärmte von ihren Bälgen, die er in ein Museum nach Bonn oder Wien geben wollte. Es gab nur eines, das diese Idylle störte: das Rasseln der Züge, die auf dem Bahnhof Oswiecim einliefen …“ – „Er nimmt nicht wahr, was hier vorgeht, dachte Marek. Er blickt zum Himmel, und zu seinen Füßen liegt das Elend …“

Marek überlebte Auschwitz. Grote wurde verurteilt, dann aber vorzeitig entlassen und konnte als Wissenschaftler Erfolge feiern. Ihn gab es wirklich, wenn auch unter anderem Namen.

Und auch die Geschichte ist so oder ähnlich geschehen. Eine Geschichte, die einem die Worte verschlägt und mitten ins Herz trifft.          SiS

Arno Surminski: „Die Vogelwelt von Auschwitz“, LangenMüller, München 2008, 192 Seiten, geb. mit Schutzumschlag, 17,90 Euro


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