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08.03.08 / Kalte Kindheit / Ire erinnert sich an sein Leben ohne Liebe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Kalte Kindheit
Ire erinnert sich an sein Leben ohne Liebe

Bereits 1984 erschien in Irland der Roman „Das Haus“ der irischen Bestsellerautorin Leland Bardwell („Mutter eines Fremden“). Jetzt liegt eine deutsche Übersetzung vor, die der Berliner Parthas Verlag herausgebracht hat. Bardwell erzählt die Geschichte einer protestantischen Akademi-kerfamilie aus der Gegend von Dublin, eine Geschichte, die man nicht anders als tragisch bezeichnen kann. Bei dem Besuch seiner alten, hilfsbedürftigen Eltern in ihrem Haus am Meer – man schreibt das Jahr 1970, ein zeitlicher Fixpunkt, den sich der Leser im Verlauf der Lektüre selbst abstecken muß – wird der 53jährige Orientalist Cedric erneut mit seiner eigenen Entfremdung konfrontiert. Zwar fühlte sich der Weitgereiste, der als anerkannter Fachmann in einer mit gestohlenen Altertümern vollgestopften Wohnung in London lebt, schon immer irgendwie leer und nutzlos, wenn er in das Haus zurückkehrte, in dem er aufwuchs. Doch dieses Mal überläßt er sich den Erinnerungen, die ihn massiv bedrängen. Die Frage steht im Raum: Wird diese Konfrontation mit der familiären Vergangenheit zur Klärung seiner Identitätsprobleme beitragen? Ein beständig verständnisvolles Gegenüber findet Cedric in der  Wirtschafterin Teresa, der wahrscheinlich einzigen Bewohnerin des elterlichen Hauses ohne eine ans Pathologische grenzende Gemütslage.

Vom Umfang her und aus formalen Gründen ist Bardwells Werk eher als Erzählung zu bezeichnen. Dennoch gelingt es ihr mühelos, Spannungsfelder aufzubauen, die zeitlich über mehrere Generationen hinweg angelegt sind. Der Ich-Erzähler verwandelt sich häufig zur Dritten Person, ein Kunstgriff, den die Autorin zur Steigerung der Intensität einzelner Szenen verwendet. Sie vermag insbesondere durch Dialoge voller Anspielungen zu fesseln, gewürzt mit einer Prise von Sarkasmus, wenn sie den Lebensweg der fünf ungleichen Geschwister ans Licht bringt, Kinder einer unsäglich lieblosen Mutter und eines notorisch spröden Vaters. „Nein, was sage ich“, berichtigt sich der Protagonist, nachdem er schnörkellos festgestellt hat, seine Mutter sei absolut kalt: „Da war ja Richard, ihr einzig geliebtes Hätschelkind.“

Cedric weiß um den Grund seiner depressiven Verstimmungen, seines lebenslangen seelischen Ballasts. Es ist jene eigentümliche Stimmungslage, die seine Familie überschattet hat. Als irische Protestanten der gehobenen Mittelschicht hatten die Eltern ihre Kinder in das enge Korsett einer Lebensanschauung geschnürt, die einer längst untergegangen Zeit entstammte. Zweifellos waren sie selbst Opfer, und vor allem der jahrhundertealte Konflikt zwischen den Konfessionen hat naturgemäß dazu beigetragen, die Gemüter vieler Menschen zu verhärten. Ehrgeizig hatten die Eltern den akademischen Werdegang der drei Söhne mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln angeschoben. Während die Mutter unverhohlen nur in einen von ihnen, Richard, vernarrt ist, kann der Vater dem Ältesten, Cedric, seine Wertschätzung nach dessen glanzvollem Hochschulabschluß lediglich mit kleinen Liebesgaben wie dem Kredenzen eines besonderes Weines zu erkennen geben. Und wirklich, die beiden Söhne sind später immerhin „etwas geworden“, während James sich vollends aus dem Staub gemacht hat und vermutlich auf der anderen Seite der Erdkugel gestrandet ist.

Jene emotionale Not, die Cedric immer besonders in seinem Elternhaus bewußt wurde, sie hätte an Ort und Stelle aufgelöst werden können. Ihm ist durchaus bewußt, warum ihm dies verwehrt blieb. „Vorhin sagte ich, daß Liebe zu äußern mein großes Problem ist, und doch ist ganz sicher: genau davon handelt dieses Buch.“ Dagmar Jestrzemski

Leland Bardwell: „Das Haus“, Parthas Verlag, Berlin 2007, geb., 171 Seiten, 19,80 Euro


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