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08.03.08 / Das Ännchen von Schallkallen / Wohne wo Fuchs und Has sich gute Nacht sage’n

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Das Ännchen von Schallkallen
Wohne wo Fuchs und Has sich gute Nacht sage’n
von Eva Kobs-Grommeck

Es war selten gemütlich in dem alten Forsthause. Jedes Stübchen trug Spuren eigener Prägung. Sollte man die Zimmer im einzelnen beschreiben, müßte man mit dem des alten Oberförsters beginnen. Ich befürchte jedoch, daß dieses den fortgeschrittenen, modernen Leser langweilt und damit lasse ich es klugerweise.

Ich möchte erzählen aus einer Zeit, da das Land der masurischen Seen unangefochten und unbekümmert dahin lebte, als man noch die deutsche Sprache dort vernahm, als der Deutsche die herrliche Weite des Landes atmete und der Pflug von den Händen deutschen Landmannes in die Ackerfurche gesetzt wurde. man müßte also mit der guten alten Märchensprache beginnen: „Es war einmal ...“

Ja, es war nach der Zeit, da der weise Feldherr Hindenburg dem Einmarsch der Russen kühn entgegentrat und der draufgängerische Hauptmann Fletscher die Zündschnur unter der Luisenbrücke in Tilsit mit seinem Degen durchschnitt.

Es war die Zeit des Ännchen von Tharau, so nannte Gottlieb Adomeit scherzend die kleine Anna Grigoleit aus Schallkallen, die er so gern leiden mochte. Anna hatte von seiner Liebe zu ihr nicht die geringste Ahnung. Sie war ja noch ein halbes Kind, was man zu jener Zeit tatsächlich noch mit 16 Jahren war. Alle Leute in Schallkallen fanden, daß Anna ein braves, gutes Mädel sei. Darum wurde sie allgemein Ännchen genannt, obwohl Tharau einige hundert Kilometer von Schallkallen entfernt war.

Mit Schallkallen war das überhaupt so eine Sache. Es lag ungefähr da, wo „Fuchs und Has’ sich gute Nacht sagen“ und bis Ultimo am nächsten Morgen schliefen, bis der Jäger sie weck­te. Das tat er liebend gern und dankte im Stillen den Tieren, die so verträumt, „entgegenkommend“ waren.

Am meisten freute sich die alte Haushälterin Trina, die am Alltag auf diese Art und Weise ein Festessen servieren konnte. Sie kochte mit Liebe, jedoch war der Ehrgeiz die Triebfeder ihres Handelns. Sie kollerte mit dem großen Puter auf dem Hofe um die Wette, wenn ihr die Arbeit nicht schnell genug von den Händen ging.

Das alles bewegte den alten Oberförster nicht. Erst recht nicht sein Ännchen, die Trost und die Freude seines zunehmenden Alters war. Der alte Herr hätte es seiner Tochter niemals verzeihen können, wenn sie irgendeine Dummheit hinter seinem Rücken getan hätte. Er bewachte sein Ännchen mit Argusaugen. Und das wußte auch Gottlieb Adomeit.

Wenn der alte Herr mit seinem Töchterchen in den Sommerferien die Badereise zu einem kleinen Nest an der Ostsee antrat, war er überglücklich. Die Badezeiten für Herren und Damen waren damals scharf voneinander getrennt. War sie für die Herren vormittags von 10 bis 11 Uhr festgelegt, so durften die Damen erst um halb zwölf am Strand erscheinen und ja nicht so frank und frei wie heute im Badekostüm, sondern schön angezogen betrat man ein Badehäuschen, das auf einem Steg schon teils im Wasser stand, von dem aus man dann bequem in die blaue Flut der Ostsee tauchen konnte.

Mit dem Badekostüm war das auch so eine Sache. Ännchen trug eins aus rotem Kattun. Dieses, es war eigentlich ein Baderöckchen, war etwas länger als das heutige Tennisröckchen, ja, seltsam und lustig, nicht wahr? Die Mode pflegt sich Menschen untertänig zu machen, gebildete und ungebildete. Sie ist ein zeitloses Phänomen. Ännchen aber war ein Kind ihrer Zeit, gut und unverdorben. Sie merkte darum auch nicht, daß Gottlieb Adomeit ihr den Hof machte. Und Gottlieb war schlau genug, um es richtig anzufangen.

Wenn der alte Oberförster von Schallkallen, Eduard Grigoleit, durch das Dorf ging, kam es nicht selten vor, daß er seinen Spazierstock mit dem Elchknauf wedelnd und schwenkend durch die Lüfte kreiste. Gerade so sah ihn Gottlieb eines Tages durch das Dorf lustwandeln, und er wußte, was das Blut in seinen Adern so beschwingte. Es war der Wein.

Als nach zehn Minuten Gottlieb den Spuren des Herrn Grigoleit nachging, fand er diesen – man sage und schreibe – unter einer Birke liegend, die Nase blutend. Daß Gottlieb Adomeit nicht ein mitleidiges Herz haben könnte, hatte in Schallkallen noch niemand angezweifelt. Ob sich der alte Oberförster darüber bisher im klaren war, blieb  dahingestellt. Er sollte sich nun davon überzeugen.

Gottlieb zog sein sauberes Taschentuch und versuchte, den alten Herrn sorgfältig der Blutspuren zu entledigen. Das war nun doch mehr als Zufall, wie es die Gottlosen nennen, daß in diesem Augenblick das Ännchen des Weges daher kam. Aufgeregt und ängstlich zugleich wurde sie, als sie in der Gestalt des Daliegenden ihren Vater erkannte. Wein war nichts Seltenes bei ihm gewesen, so aber doch diese Situation. Gottlieb Adomeit aber begrüßte Begegnung und Situation mit Freuden. In rührender Hilflosigkeit sah sie zu ihm auf und beider Blicke begegneten sich mit tiefer Zuneigung.

Einige Jahre später war das Gesetz der Herren- und Damenbadezeit für Gottlieb und für das Ännchen aufgehoben, weil das Familienbad andere Gesetze und Paragraphen aufstellte, die nicht nur Gottlieb und das Ännchen mit Freude erfüllten.


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